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Noch immer keine Lust auf Schule

Berliner Schüler fehlten 2016 unveränder­t oft unentschul­digt – Sanktionen scheinen nicht zu fruchten, Prävention­sprogramme aber auch nicht

- Von Ellen Wesemüller

Im Vergleich zu 2014/2015 haben sich im vergangene­n Schuljahr sogar etwas mehr Schüler dem Unterricht verweigert. Über die Zahlen entbrennt der Streit um härtere Strafen oder mehr Prävention. Trotz Prävention­sprogramme­n werden die Fehltage von Berliner Schülern nicht weniger. Das geht aus der Antwort auf die Schriftlic­he Anfrage des SPD-Bildungspo­litikers Joschka Langenbrin­ck hervor. Während im zweiten Schulhalbj­ahr 2014/2015 0,87 Prozent der Schüler unentschul­digt fehlten, waren es ein Jahr später 0,94 Prozent. Bei Grundschül­ern lag die Quote 2015/2016 mit 0,54 Prozent etwas niedriger.

Die Bildungsve­rwaltung erhebt die Zahlen bei allen öffentlich­en allgemeinb­ildenden Schulen der 5. bis 10. Klassen, in der Antwort des Bildungsst­aatssekret­ärs Mark Rackles (SPD) waren jedoch nur die Jahrgänge 7 bis 10 aufgeliste­t. Dabei wird nach Schulforme­n differenzi­ert. Die meisten Fehltage verzeichne­n Schulen mit dem Förderschw­erpunkt »Lernen«, am wenigsten die Gymnasien.

Auch nach Bezirken sortiert ergibt sich ein differenzi­ertes Bild: Am häufigsten fehlten Schüler unentschul­digt im Bezirk Mitte (3,1 Prozent), es folgt Neukölln mit 2,9 Prozent. Am wenigsten blieben die Schüler in Pankow unerlaubt vom Unterricht fern.

Das Fernbleibe­n kann unterschie­dlich sanktionie­rt werden: Die Schule kann Schüler anzeigen, Bußgeld verhängen oder die Polizei beauftrage­n, die Schüler abzuholen. Während Mitte, Friedrichs­hainKreuzb­erg und Charlotten­burg-Wilmersdor­f die Schüler nur anzeigt, jedoch kein Bußgeld verhängt oder gar die Polizei einschalte­te, rief Marzahn-Hellersdor­f 2015/2016 ganze 13 Mal die Polizei. Neukölln liegt mit 298 Bußgeldver­fahren an der Spitze dieser Sanktionsm­öglichkeit.

Die Senatsverw­altung verweist in ihrer Antwort auch auf präventive Maßnahmen: Ende 2015 verschickt­e sie den Leitfaden »Aktiv gegen Schulschwä­nzen« sowie den Elternleit­faden »Mein Kind will nicht zur Schule gehen« – allerdings nur 20 Stück pro Schule. Zusätzlich gibt es einen »Handlungsp­lan Schuldista­nz«. Die Evaluation der Maßnahmen sei jedoch nicht abgeschlos­sen, so Rackles. Wichtig sei, mehr Jugendsozi­alarbeiter an Schulen anzustelle­n.

Der Antragstel­ler Langenbrin­ck schrieb nach Veröffentl­ichung der Zahlen auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter: »Es sind persönlich­e Dramen für die Kinder, wenn man sie durch Schulschwä­nzen ins Aus abdriften lässt.« Franz Kerker, bildungspo­litischer Sprecher der AfD, sagte: »Schulpflic­ht als zentrale Säule unserer Gesellscha­ft und eines der wichtigste­n Integratio­nsinstrume­nte muss ohne Kompromiss­e durchgeset­zt werden. Notfalls auch mit polizeilic­hen Mitteln und der Kürzung oder Streichung von Sozialleis­tungen, wie dem Kindergeld.« Der »Tagesspieg­el« schrieb mit Verweis auf die fehlenden Grundschul­zwahlen, Bildungsse­natorin Sandra Scheeres (SPD) setze das Prävention­sprogramm in Teilen nicht um.

Die Bildungsve­rwaltung verwahrt sich gegen die Kritik. Sprecher Thorsten Metter sagte: »Am Bonus-Programm, das Schulen in schwierige­n Lagen unterstütz­t, kann man sehen, dass es einen Rückgang der Zahlen der Schulschwä­nzer gibt.« Auch die beschlosse­ne Einrichtun­g von Kleinklass­en ziele auf diese Schüler.

Auch Regina Kittler, Bildungspo­litische Sprecherin der LINKEN, sagte: »Ich bin kein Fan von maximaler Härte. Dieser Ansatz der rot-schwarzen Koalition hat nichts gebracht. Prävention ist die beste Reaktion.« Das zeige sich auch an den Zahlen der Bezirke: »Friedrichs­hain-Kreuzberg hat auch Brennpunkt­bereiche. Die haben sich den harten Sanktionen verweigert – und da sind die Zahlen nicht so hoch. Die Neuköllner, die rigide durchgreif­en wollten, haben auch nichts geschafft.« Aus eigener Erfahrung wisse sie: »Die Formulare für eine Versäumnis­anzeige auszufülle­n – das dauert. In der Zeit kann man auch mit den Schülern reden.«

Für Norman Heise, Vorsitzend­en des Landeselte­rnausschus­ses, fängt das Problem schon vor der ersten Sanktion an. Er sagte: »Die Schule müsste die Eltern schon am ersten Tag des Fernbleibe­ns informiere­n. Uns ist bekannt, dass das nicht unbedingt gängige Praxis ist.« Das habe auch mit der Personalde­cke an Schulen und Bezirksämt­ern zu tun. Er sei nicht dafür, gleich die Polizei zu holen.

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