Jung, männlich, gewaltbereit
Polizeieinsatz in Köln in der Silvesternacht
Gäbe es zu dem Vorgang eine Volksabstimmung, wäre die Sache denkbar einfach: Eine Mehrheit von 79 Prozent der Bürger dieses Landes hält laut einer Umfrage des Instituts Forsa das Verhalten der Kölner Polizei in der Silvesternacht für richtig, rund um den Kölner Hauptbahnhof Besucher der Silvesterparty in der Innenstadt aufgrund ihrer Herkunft zu kontrollieren. Rund 1000 Männer, vornehmlich aus dem nordafrikanischen Raum, waren am 31. Dezember von der Polizei abgefangen worden.
Glücklicherweise ist für die Polizei das Ergebnis von Meinungsumfragen nicht bindend, gleiches gilt für die Justiz. Dass die Umfrage von einem Kölner Privatsender aber in Auftrag gegeben und veröffentlicht wurde, spricht für eine bedenkliche Entwicklung: Demokratie wird mit der Herr- schaft der Mehrheit gleichgesetzt; Minderheiten haben sich dieser Mehrheitsdiktatur gefälligst zu ergeben.
Minderheiten sind dabei keine festgezurrten Gebilde. Jeder von uns ist Teil einer Minderheit. Das ist, zugegeben, für die meisten ein irreführender Gedanke, aber er wird dann deutlicher, wenn wir uns konkrete Situationen vor Augen führen. Wer sich etwa als bayerischer Katholik im protestantisch geprägten Norden niederlässt, wird dort auf gesellschaftliche Gepflogenheiten und Rituale stoßen, die ihm fremd vorkommen, die er in seiner Heimat als Angehöriger der Mehrheitskultur an den Rand verdrängt weiß, hier aber so dominant sind, dass er selbst mit seinen Vorstellungen unvermittelt in der Minderheit ist. Noch viel mehr gilt dies, wenn er in den Osten kommt, der durch 40 Jahre DDR weitgehend entchristianisiert und säkularisiert wurde. Er muss dann darauf vertrauen, dass die Mehrheit keine pauschalen Urteile über ihn fällt und seine Verhaltensmuster zumindest toleriert.
Pauschale Urteile über andere sind das Gift, mit dem die Beziehungen in einer sich demokratisch verstehen-
Minderheiten müssen darauf vertrauen können, dass die Mehrheit keine pauschalen Urteile über sie fällt.
den Gesellschaft nachhaltig zerstört werden. Wer ausgrenzt, tut anderen Gewalt an, wer ausgegrenzt wird, übernimmt nicht selten die negativen Gruppenzuschreibungen. Der Kölner Polizei wird nun genau das vorgeworfen: Durch eine pauschale Einteilung möglicher Gewalttäter anhand eines äußeren Kriteriums (Hautfarbe, Erscheinungsbild) Menschen aus Nordafrika negativ zu charakterisieren. Die Polizei widerspricht und betont, dass nicht allein das Aussehen entscheidend war, ob jemand kontrolliert wurde oder nicht. Von Bedeutung sei auch das Verhalten gewesen oder der Umstand, dass es sich um eine größere Gruppe junger Männer gehandelt habe. Einzelne Araber, der in Begleitung einer Frau unterwegs gewesen seien, hätte man dagegen nicht kontrolliert.
Es gibt Augenzeugenberichte, die diese Version der Polizei bestätigen. Allerdings gibt es auch hier ein Dilemma: die Einordnung von möglichen Gewalttätern anhand eines äußeren Kriteriums und damit die Zuordnung von Einzelnen zu einer potenziell gefährlichen Minderheit. Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies hatte kurz vor Silvester in einem Interview mit dem »Kölner Stadtanzeiger« erklärt, dass die Gewaltbereitschaft insbesondere bei jüngeren Männern im Alter von 16 bis 26 Jahren gegeben sei – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft. Dass Gewaltkriminalität vor allem männlich und jung ist, ist allerdings sowohl für die meisten Medien wie für das Gros der Politik eine unangenehme Erkenntnis, denn diese Tatsache eignet sich denkbar schlecht zur Diskriminierung von Migranten und Flüchtlingen.
Die Erkenntnis ist aber nicht neu; sie traf zu allen Zeiten in allen Kulturen zu. Schon William Shakespeare ließ in seiner Komödie »Wintermärchen« einen alten Schäfer stöhnen: »Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: Denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen.«