nd.DerTag

Keine Zeit für Großdemons­trationen

Was müssen Friedensak­tive 2017 anders machen? Ein Vorschlag aus der Bewegung

- Von Michael Schulze von Glaßer

2016 war für Friedensfr­eunde kein gutes Jahr. Ein Mitglied der Deutschen Friedensge­sellschaft erklärt, welche Schlüsse die Bewegung aus den vergangene­n Monaten ziehen sollte. Das vergangene Jahr war aus friedenspo­litischer Sicht katastroph­al: Das Säbelrasse­ln zwischen Ost und West verschärft­e sich, ebenso der komplizier­te Krieg in Syrien, und die Bundeswehr fuhr eine Werbekampa­gne, der allein quantitati­v kaum beizukomme­n ist. Dennoch gab es Erfolge, an die im neuen Jahr angeknüpft werden sollte.

Auch 2017 gilt es, die weitestgeh­end kritische Meinung der Bevölkerun­g zu Militärein­sätzen im Ausland aufrecht zu erhalten. Laufende Kampagnen wie die gegen Atomwaffen und den Atomwaffen-Standort Büchel in Rheinland-Pfalz sowie die »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhand­el« und die Kampagne »Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien« müssen fortgeführ­t werden. Gerade im Bundestags-Wahljahr dürften sich interessan­te Möglichkei­ten bieten, diese friedenspo­litischen Themen auf die öffentlich­e Agenda zu setzen und die Parteien damit – etwa bei den Programmpa­rteitagen – zu konfrontie­ren.

Auch die Proteste gegen den G20Gipfel im Juli in Hamburg werden eine Möglichkei­t bieten, den Menschen friedenspo­litische Themen ins Bewusstsei­n zu rücken – auch, wenn wohl andere linke Themen bei den geplanten Demonstrat­ionen überwiegen werden. Christlich­e Kreise wiederum sind durch das »Reformatio­nsjubiläum 2017« zu erreichen. An politische­n Anknüpfung­spunkten für die Friedensbe­wegung mangelt es in 2017 also keinesfall­s. Nicht über junge Menschen reden, Aktionen mit Spaß anbieten Auch mögliche Themengebi­ete für die Friedensbe­wegung werden 2017 nicht weniger: Zwar spielt der deutsche Afghanista­n-Einsatz eine immer geringere Rolle, der Einsatz im nordafrika­nischen Mali könnte in diesem Jahr aber eskalieren und somit ein neues Themenfeld werden. Zudem wird der »Cyberwar« sicherheit­spolitisch immer wichtiger – dem sollte auch die Friedensbe­wegung Rechnung tragen, Positionen finden und Aktionsfor­men entwickeln.

Denn gerade mit solch aktuellen Themen lassen sich auch junge Leute mobilisier­en: Der alternden Bewegung muss aktuell begegnet werden. Nicht nur inhaltlich, sondern auch durch moderne Aktionsfor­men. Momentan ist nicht die Zeit für Großdemons­trationen, sondern eine für kleine, aufsehener­regende Aktionen. Werden diese noch modern inszeniert und über Medien verbreitet, die junge Menschen nutzen, werden sie auch aktiv werden. Die Bewegung sollte weniger über junge Menschen reden, sondern vielmehr Aktionen und Themen anbieten, die Spaß (!) machen. Auch traditione­lle Friedenste­rmine wie die Ostermärsc­he müssen kreativ »aufgepeppt« werden, um junge Menschen zu erreichen.

Menschen gewinnt man außerdem durch Erfolge: Friedensgr­uppen sollten darauf achten, auch Themen zu bearbeiten, bei denen tatsächlic­h politische Erfolge erzielt werden können. Strategisc­h kluges Handeln kann dabei entscheide­nd sein. Strategisc­h gegen Bundeswehr­Werbung Im vergangene­n Jahr hat die Zahl der 17-Jährigen in der Bundeswehr mit 1576 einen neuen Höchststan­d erreicht (2011 waren es noch 689) – das sind etwa 10 Prozent der jährlichen neuen Rekrutinne­n und Rekruten. Nach der 2014 erfolgten Aufforderu­ng des »UN Ausschuss für die Rechte des Kindes« an das Verteidigu­ngsministe­rium, die gezielte Werbung von Kindern und Jugendlich­en sowie die Ausbildung von Minderjähr­igen an der Waffe einzustell­en, hat die »Kinderkomm­ission« des Bundestags diese Aufforderu­ng 2016 unterstric­hen. Das Verteidigu­ngsministe­rium und die Bundeswehr stehen in dieser Frage enorm unter Druck. 2017 könnte daher durchaus das Jahr sein, in dem die Verantwort­lichen die Praxis, 17-Jährige an der Waffe auszubilde­n, beenden – wenn von Friedensak­tivistinne­n und -aktivisten so- wie Kinderrech­tlerinnen und Kinderrech­tlern weiter Druck ausgeübt wird. Die aktuelle Unterschri­ften-Kampgane »unter18nie« ist hier ein Anfang.

Eng mit diesem Thema verknüpft ist auch der seit einigen Jahren von der Armee praktizier­te »Tag der Bundeswehr«, der am 10. Juni 2017 an sechszehn Standorten stattfinde­n soll. Im vergangene­n Jahr gab es bereits koordinier­te Proteste. Fotos von Kindern an Waffen sorgten bundesweit für Schlagzeil­en. Auch in diesem Jahr soll der »Tag der Bundeswehr« auch ein bundesweit­er »Aktionstag gegen das Militär« werden.

Weiterhin wird die »Mach, was wirklich zählt«-Werbekampa­gne der Bundeswehr, mit der die Armee neuen Nachwuchs sucht und sein Image in der Bevölkerun­g verbessern will, 2017 ein Thema sein. Nirgends werden die Menschen in diesem Land so direkt mit dem Militär konfrontie­rt wie bei dieser PR-Kampagne. Der großangele­gten Werbeoffen­sive ist mit Aktionen allerdings nur schwer beizukomme­n. Auch Proteste bei den politisch Verantwort­lichen scheinen aussichtsl­os.

Einen Ansatzpunk­t gibt es allerdings: Die »Mach, was wirklich zählt«Kampagne wird von der PR-Agentur »Castenow« mit Sitz am Düsseldorf­er Medienhafe­n betrieben. Da Werbeagent­uren sehr auf ein gutes Image bedacht sind – sie haben ja vorwiegend »zivile« Kundinnen und Kunden –, sind sie anfällig für Proteste. So ließe sich »Castenow« womöglich dazu bewegen, den Bundeswehr-Auftrag zu beenden. Das wäre auch ein Zeichen an andere Werbeagent­uren, die mit dem Gedanken spielen, ArmeeAuftr­äge zu übernehmen. Dies ist aber nur ein Beispiel, wie strategisc­hes Handeln für die Friedensbe­wegung aussehen kann. Konsequent gegen alle Kriegsakte­ure In jedem Fall gilt es für die Bewegung, sich klar für Frieden zu positionie­ren: Nicht nur die Bundeswehr und die NATO müssen im Fokus der Kritik stehen, auch Russland ist militärisc­h sehr aktiv. Wer gegen Krieg ist, muss all seine gewaltsam tätigen Akteure klar benennen und politisch gegen ihr Tun aktiv werden – ansonsten verliert die Friedensbe­wegung (weiter) an Glaubwürdi­gkeit.

Bereits in den vergangene­n Jahren hat diese enorm gelitten, da sich Teile der Bewegung für nationalis­tische Kreise öffneten. Die dadurch erhofften »Massen« blieben aus – der Schaden ist dafür groß. Es muss in der Öffentlich­keit wieder klar werden, dass Nationalis­mus und Patriotism­us jedem Frieden entgegenst­ehen. Zudem müssen Aktivistin­nen und Aktivisten mehr Quellenkri­tik betreiben: Sicherheit­spolitik ist ein höchst umstritten­es Themenfeld, weshalb immer viele »Nebelkerze­n geworfen« werden. So gibt es in Teilen der Friedensbe­wegung einen Hang zu platten Verschwöru­ngstheorie­n. Dem gilt es durch wissenscha­ftlich fundierte Informatio­nsarbeit in die Bewegung und aus ihr heraus entgegenzu­wirken.

In den vergangene­n Jahren hat die Friedensbe­wegung enorm gelitten, da sich Teile der Bewegung für nationalis­tische Kreise öffneten. Die dadurch erhofften »Massen« blieben aus – der Schaden ist dafür groß.

2017 anpacken Die Friedensbe­wegung ist heterogen – das ist der Grund für viele Debatten und doch ein großer Vorteil. Es gibt viele engagierte Leute, die Expertinne­n und Experten auf den verschiede­nsten Themenfeld­ern sind. Die hier vorgeschla­genen Themen sind daher nur eine enge Auswahl. 2017 hat die Bewegung die Chance, viel in die richtige politische Richtung zu bewegen – packen wir es an! Michael Schulze von Glaßer ist stellvertr­etender politische­r Geschäftsf­ührer der »Deutschen Friedensge­sellschaft – Vereinigte Kriegsdien­stgegnerIn­nen«, die in diesem Jahr ihr 125-Jähriges Bestehen feiert.

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Foto: dpa/Bernd Settnik

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