Wie krank ist Merkel wirklich?
Der Bundeskanzlerin geht es wohl bestens – doch ist dies nicht ein Hingucker?
Berlin. Betrachtet die Bundeskanzlerin hier nur ein Bild – oder steckt mehr hinter der scheinbar harmlosen Szene? Zieht sich die einstmals mächtigste Frau der Welt aus der Politik zurück? Ausgebrannt vom Regierungsgeschäft, von EU-Ärger, vom ewigen Streit mit Koalitionspartnern. Immer diese Attacken aus München – und nun auch noch die Nervensäge Donald Trump! Was ist dran an Insideraussagen, die Kanzlerin unterzöge sich einer Farbtherapie und verbringe deshalb jüngst viel Zeit mit dem Betrachten von Kunst?
Soweit bekannt ist, geht es Angela Merkel gut. Doch in etwa so könnte eine »Fake News« beginnen, die geeignet wäre, das Internet aufzumischen und Klicks zu generieren: Ein minimaler wahrer Kern – Merkel sieht sich ein Bild an – wird umstellt von wüsten Spekulationen, viel gut- oder bösartiger Fantasie und einer ganzen Armee an Fragezeichen.
Wer aber könnte hinter unserer gefälschten Falschnachricht stehen? Ideologische Hetzer, die bestimmte Entscheidungen Merkels als »geisteskrank« brandmarken wollen? Fremde Mächte, die das Vertrauen der Deutschen in Demokratie und Regierung erschüttern wollen – oder doch nur Geschäftemacher, die an Klickzahlen Geld verdienen? Und was lässt sich sinnvoll gegen solche »Fake News« unternehmen? Im Dezember schlug Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ein »Abwehrzentrum gegen Desinformation« vor. Diese Idee stößt zwar auf Kritik: Am Freitag erklärte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, dem »Weserkurier«, man brauche »keine zensurähnlich arbeitende Behörde«. Er halte die Idee von Bundesinnenminister Thomas de Maizière für »problematisch«. Jede gute Zeitung sei ein kleines derartiges Zentrum. Dennoch scheint eine Debatte um »Fake News« und die Verantwortung sozialer Medien überfällig.
Im Dezember hausierte Innenminister Thomas de Maizière mit einem »Abwehrzentrum gegen Desinformation«. Nun beginnt eine seriöse Diskussion über den Umgang mit Internet-Falschmeldungen. Wladimir Putins Arm ist lang. An diesem Mittwoch reicht er bis ins PaulLöbe-Haus des Bundestags. Dort trifft sich der Ausschuss »Digitale Agenda« zu einem Fachgespräch. Dass derselbe – einst gegründet zur Beratung von Themen wie Breitbandausbau oder Start-up-Förderung – nunmehr vor ausgebuchten Rängen die Demokratie verteidigen soll, liegt an der vermeintlichen Fernsteuerung der USPräsidentschaftswahl durch den Kreml. »Fake News« destabilisieren die Demokratie! Jetzt muss gehandelt werden! Bereits im Dezember hatte Innenminister Thomas de Maiziére (CDU) rhetorisch so markig wie inhaltlich nebulös von einem »Abwehrzentrum gegen Desinformation« gesprochen, das im Kanzleramt aufgebaut werden solle.
Dieses Internet bedroht das Abendland also einmal mehr mit dem Untergang – siehe auch »Killerspiele«. Diejenigen, die zu solchen Gelegenheiten als Experten eingeladen werden, kennen diesen Aufmerksamkeitsmechanismus. »Über die Wirkungen und Effekte von Fake News und Social Bots auf die politische Meinungsbildung gibt es bisher weder in den USA noch noch in Deutschland ausreichende und ergiebige Studien, weswegen eine Regulierung zum jetzigen Zeitpunkt ohne eine empirische Grundlage passieren würde«, sagt Markus Reuter vom Verein netzpolitik.org in seinem Statement. Und Simon Hegelich, Professor an der Hochschule für Politik in München, warnt vor einer »Trump-Panik«.
Tatsächlich wurde jüngst eine Studie veröffentlicht, die den Einfluss von »Fake News« auf die Präsidentschaftswahl in den USA stark relativiert: Nur 14 Prozent der Wähler hatten sich demnach vor allem über soziale Netzwerke wie Facebook informiert, auf denen sich solche Falschnachrichten verbreiten, so Matthew Gentzkow und Hunt Allcott von der Stanford University. Selbst die nach Klickzahlen und Verbreitungsgrad erfolgreichsten Falschnachrichten hätten nur einen Bruchteil der Bürger erreicht – und von diesen habe ihnen nur die Hälfte Glauben geschenkt. Für den Wahlsieg Donald Trumps entscheidender als Fake News dürfte im Rückblick die amerikanische Bundespolizei FBI gewesen sein, die nur wenige Tage vor der Wahl eine abermalige Prüfung im sogenannten E-Mail-Skandal um Hillary Clinton angekündigt hatte.
Propaganda, Falschmeldungen und Gerüchte gibt es, seit es Medien gibt. Ist »Fake News« überhaupt ein nützlicher Begriff – oder nur ein Kampfausdruck? Sinnvoll, so der Expertentenor bei der Anhörung, ist der Ausdruck, um eine bestimmte Sorte von Falschmeldungen zu beschreiben: Solche, die in Aufbau und In- halt speziell für soziale Medien und deren Mechanismen zugeschnitten sind und auf diese zurückgehen.
Reuter warnt vor der Vorstellung, hinter Fake News auch politischen Inhalts stünden stets wenige, strategische »Player«. Vielmehr seien sie Ausdruck einer »neuen Praxis in sozialen Medien«. Nicht gehen sie statt auf Agenten auf Geschäftemacher zu- rück. Vergangenen Herbst identifizierte die New York Times einen Informatikstudenten in Tiflis als Urheber und Multiplikator kruder politischer Geschichten zum US-Wahlkampf. Freimütig erklärte dieser, es sei ihm nur um Geld gegangen: Je wilder die Geschichte, desto mehr Klicks – und mehr Einnahmen, etwa durch Werbung. Unter anderem lancierte der 22-Jährige mit großem Erfolg eine Geschichte als Nachricht, die zuvor eine kanadische Webseite als Satire verbreitet hatte. Und ein ProTrump-Spin habe sich halt besser verkauft als die Pro-Clinton-Stories, mit denen er es zuerst versucht habe. Auf der anderen Seite, erinnerte Daniel Fiene, Leiter Digitalstrategie der »Rheinischen Post«, verdienten auch die Plattformbetreiber gut an solchen Nachrichten, wenn diese durch Zahlungen prominenter verbreitet werden als gewöhnliche Postings.
Was hier wie ein Drehbuch für eine Kinofarce klingt, ist in anderen Fällen allerdings bitterer Ernst mit bösartigem Hintergrund und poten- ziell gefährlichen Folgen. Zum Beispiel für Anas Modamani: Im September hatte der junge Mann, aus Syrien geflüchtet, mit seinem Telefon ein Bild von sich neben der Bundeskanzlerin aufgenommen und ins Internet gestellt. Seither wird dieses Foto von Dritten immer wieder zweckentfremdend mit Terrorismus oder Kriminalität gebracht. Nach dem Terroranschlag im Flughafen von Brüssel am 22. März 2016 tauchte sein Konterfei mit der suggestiven Überschrift »hat Merkel ein Selfie mit einem der Brüssel-Terroristen gemacht?« auf Facebook auf. Ende Dezember wurde er mit den jungen Männern aus einer Flüchtlingsunterkunft in Verbindung gebracht, die in Berlin einen Obdachlosen zu misshandeln versuchten: »Obdachlosen angezündet. Merkel machte 2015 Selfie mit einem der Täter!« Auch im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin tauchte Modamanis Bild auf. Derlei rassistische Kampagnen machen einen Bärenanteil der zumindest auf deutsch verbreiteten Falschmeldungen in Netzwerkmedien aus.
Dieser Fall wird nach derzeitigem Stand am 6. Februar vor Gericht verhandelt. Der Rechtsanwalt Chan-jo Jun möchte durchsetzen, dass solche Montagen mit dem Bild seines Klienten nicht mehr auf Facebook auftauchen. Darüber hinaus, erklärt der Anwalt, wolle man aber auch erreichen, dass »Facebook endlich deutsches Recht beachtet«. Bisher verstießen »Verleumdungen und Beleidigungen« nicht gegen die »Gemeinschaftsstandards« der Plattform und würden daher »grundsätzlich nicht von Facebook entfernt«.
Um dieses Problem geht es auch in einem dieser Tage vorgelegten »Aktionsplan« der Unionsfraktion im Bundestag, der freilich auf de Maizières Schnellschuss vom Abwehrzentrum nicht mehr eingeht und stattdessen die Plattformbetreiber in die Pflicht nehmen will. Zwar seien Plattformanbieter schon jetzt verpflichtet, Inhalte zu löschen, die »die rechte Dritter« verletzen, doch werde dem nicht ausreichend und nach intransparenten Kriterien nachgekommen. Dies müsse sich ändern. Ferner will die Union eine 24-Stunden-Frist festlegen, innerhalb derer nachvollziehbar über Löschbegehren entschieden werden müsse, es seien Beschwerdestellen einzurichten, für die man »Mindeststandards« definieren wolle – nach Vorbild der »regulierten Selbstregulierung« etwa des Jugendmedienschutzes. Zu prüfen sei ein Gegendarstellungsrecht wie im Pressegesetz. Laut Christian Stöcker von der Hamburger Hochschule HAW wäre es technisch kein Problem, Richtigstellungen ebenso prominent anzuzeigen wie Falschmeldungen.
Auch ein Werbeverbot im Umfeld als falsch identifizierter Inhalte will die Union prüfen. Entscheidend bleibt daher, wer – bei zu Abertausenden erwartbaren Richtigstellungsersuchen – so schnell recherchieren soll, was stimmt und was nicht. Reuter warnt vor einer »privatisierten Rechtssprechung«, bei der etwa Facebook zugleich »Ermittler, Richter und Henker« zu werden drohe. Stöcker brachte die Landesmedienanstalten ins Spiel, um die sich ein öffentlichrechtlicher Wahrheitsfindungsmechanismus gruppieren könne. Wer aber will schon eine staatliche Stelle zur Ermittlung des Richtigen und Falschen in Medien und Öffentlichkeit?
Zumindest dazu gibt es solide Daten: 51 Prozent der Bundesbürger nämlich. Auf eine repräsentative Umfrage, ob es eines »Ministeriums« bedürfe, dass »wahre Nachrichten von unwahren unterscheidet«, antworteten dem Medienprojekt »Jung und naiv« jüngst 17 Prozent der Befragten mit »auf jeden Fall« und 34 Prozent mit »eher ja«.
Das ist wohl nicht minder bedenklicher als die »Fake News« selbst.
Für den Wahlsieg Donald Trumps entscheidender als »Fake News« dürfte das FBI gewesen sein.