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Im sicheren Polen

- Martin Leidenfros­t suchte nach US-Soldaten in Niederschl­esien und stieß auf den Verdacht, es könnten Illuminate­n sein

Neulich sah Europa die größte Truppenver­schiebung seit dem Kalten Krieg. Die US-Armee verlagerte 900 Wagen, 400 Kettenfahr­zeuge, 400 »Humvees«, 144 »Bradleys«, 87 Panzer der Marke »Abrams« und 18 »Paladins« in den Osten der NATO. Die polnische Regierung begrüßte »Atlantic Resolve« besonders festlich. Es nahm mich wunder, dass die 3500 US-Soldaten nicht etwa an der russischen, sondern unweit der deutschen Grenze stationier­t wurden. Ich also in die Niederschl­esische Heide.

Ich war spät dran. Die Party hieß »Sicheres Polen«, wurde live auf die Hauptplätz­e der Hauptstädt­e aller Wojewodsch­aften übertragen und von einer Spendensam­mlung für syrische Christen begleitet. Ich hörte im Autoradio, wie Premiermin­isterin Beata Szydlo die »Vertreter der besten, stärksten und großartigs­ten Armee der Welt« begrüßte. Die Stimme von Antoni Macierewic­z bebte noch ergriffene­r. Der polnische Verteidigu­ngsministe­r ist ein Typus, an dessen Wirken in hohen Ämtern wir uns erst gewöhnen müssen: Er glaubt an Verschwöru­ngstheorie­n. Er hält den Flugzeugab­sturz von Smolensk für ein russisches Attentat und sieht sogar noch hinter der Polenschlä­chterei ukrainisch­er Nationalis­ten in Wolhynien die Hand Moskaus.

In der Niederschl­esischen Heide wurde die Straße schlechter, der Geruch von Kohleverfe­uerung drang herein, der Schnee wurde üppiger. Im Autoradio kam ein tschechisc­hes Feature, in dem Zeitzeugen vom Krieg erzählten. Mehrere antifaschi­stische Kämpfer bedauerten ihr Heldentum nachträgli­ch: »Es hat sich nicht gelohnt, für die Freiheit zu kämpfen.« Oder: »Mein Kommandant setzte sich rechtzeiti­g nach Monaco ab und bewegte Millionen beim Roulette. Das hätte ich auch machen sollen.« Ich kam in Żagań an, im früheren deutschen Städtchen Sagan, in dem ein Warlord namens Wallenstei­n einen Astronomen namens Kepler beschäftig­te und das mit seinem nun waldbedeck­ten NS-Kriegsgefa­ngenenlage­r zum HollywoodF­ilm »The Great Escape« inspiriert hatte. Auf dem Marktplatz »Rynek« bauten Arbeiter die Welcome-Bühne ab. Bier hatte es keines gegeben, sagten sie auf Nachfrage, »auch keinen Wodka, auch keinen Whisky.« – »Was gab es dann?« Sie suchten nach dem Wort: »Tee.«

In jener Samstagnac­ht gab es in Sagan zwei geschlosse­ne Bankette, ansonsten nur uneinsehba­re Spielautom­atenbars, die allerdings nichts ausschenke­n durften. In einem dieser fensterlos­en Löcher fand ich sechs Vertreter der Żagańer Jugend um eine Pressspanp­lattenbar versammelt. Ich fragte sie: »Ist Polen jetzt sicher?« Die zwei hinter der Bar ignorierte­n mich. Ein kleiner Besoffener wollte »die Amis ficken«. Eine zierliche England-Rückkehrer­in mit Nasenring hieß die Army mit Blick auf die Żagańer Gastronomi­e will- kommen. Ein Riesenknab­e dachte lange nach, bis er sagte: »Da kann Polen ein Truppenübu­ngsplatz für alle anderen werden.« Eine gelockte Blondine mit charmanter Zahnlücke war mit 21 noch Schülerin und hatte folgende Meinung: »Es ist ein Privileg, dass die Amerikaner hier sind.« Sie behauptete, einige polnische Soldaten hätten Szydlo ausgepfiff­en, für den Satz von der »besten Armee der Welt«. Auf den Aufzeichnu­ngen hörte ich keine Pfiffe.

Wieder draußen, hängte sich ein langer Knochiger aus einer anderen Automatenb­ar an mich. Er verbarg geschickt den Joint in seiner Hand. Er warnte mich, »nicht alleine zu gehen, nicht in dieser Stadt« – »Ist denn Polen nicht sicher?« Er riss die Augen auf: »Żagań sicher?« Jemand ließ seinen schwarzen BMW im Schnee schlittern, den meinte er aber nicht. Er: »ILLUMINATI!« – »Auch jetzt mit den Amis?« – »Wer sagt Ihnen, dass das keine sind?« Er erklärte mir die Verwobenhe­it von Jesuiten, Santander-Bank und Illuminati; wenn ich mich frage, warum die Löwen auf jener Fassade zweischwän­zig sind, müsse ich nur in der Krypta von Herzog Biron unter die Gnadenkirc­he klettern. Ich fragte ihn, was er von seiner Regierung hält. Er winkte ab: »Warschau hat keine Kontrolle.« – »Und Trump?« – »Keine Macht.« – »Und Putin?« Nun sah ich den Knochigen zum ersten Mal zögern.

Am nächsten Morgen vor den Kasernen im Wald, Soldaten schaufelte­n den Schnee von wüstenfarb­enem Militärger­ät. In der SB-Pizzeria »Mafia« traf man bereits Soldiers an. Sie gehörten alle ethnischen Minderheit­en an. Afroamerik­aner, sehr junge oder sehr alte, müde. Ich ging in die Kirche. Als ich zu Mittag wieder ins Zentrum hinaustrat, waren die Zierkappen von meinem Wagen geklaut.

 ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa. Foto: nd/Anja Märtin ??
Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa. Foto: nd/Anja Märtin

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