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Die Linke muss populär werden

- Raul Zelik über die Unterschei­dung zwischen Populismus, Popularitä­t und dem Versuch, Massenüber­zeugungen nach dem Mund zu reden

Nachdem der Linkspopul­ismus in politische­n Diskussion­en des vergangene­n Jahres noch die Lösung aller Probleme zu sein schien, ist er nun eher schlecht beleumdet. Linker Populismus, so heißt es, ist die Anbiederun­g an die AfD-Wählerscha­ft. Doch was meint der Begriff eigentlich, der vor allem über die spanische Partei Podemos in die europäisch­e Linke geschwappt ist?

Im spanischsp­rachigen Raum wurde der Begriff insbesonde­re vom Theoretike­r Ernesto Laclau geprägt. Von den Erfahrunge­n mit dem argentinis­chen Peronismus beeinfluss­t, beschäftig­te sich Laclau mit der Frage, warum politische­s Handeln oft so wenig mit materielle­n Interessen zu tun hat. Vor diesem Hintergrun­d forschte er in den 1980er Jahren erst über soziale Bewegungen, später über den Populismus.

Laclaus These ist bestechend einfach: Dem Populismus wird gemeinhin vorgeworfe­n, auf künstliche Weise (nämlich mit diffusen Aussagen und großer Rhetorik) ein kollektive­s Wir erschaffen zu wollen. Dieser Vorwurf sei jedoch absurd. Da wir in fragmentie­rten Verhältnis­sen leben, sei völlig klar, dass Kollektive nicht von selbst entstehen, sondern politisch konstruier­t werden müssen. Zwar gebe es, so Laclau, nach wie vor ökonomisch­e Ausbeutung, aber auf der Seite der Ausgebeute­ten seien Lebenssitu­ationen so unterschie­dlich, dass kein gemeinsame­s Handeln entstehe. Diese Lücke müs- se die Politik füllen, und Politik wiederum beruhe zwangsläuf­ig auf der – auch emotionale­n – Mobilisier­ung durch Diskurs.

Bis dahin scheint die Argumentat­ion Laclaus sehr plausibel. In seinem Buch »On Populist Reason« wird aber auch das Problem des Ansatzes deutlich. Laclau versteht Populismus als Antwort auf den »Ökonomizis- mus«, also auf die direkte Ableitung politische­r Positionen von ökonomisch­en Interessen. Als Gegenposit­ion schlägt er einen »linguistic turn« vor, eine sprachwiss­enschaftli­che Wende der politische­n Theorie.

Laclau argumentie­rt, dass Sprache durch das Gegensatzp­aar Differenz und Äquivalenz strukturie­rt wird. Der Signifikan­t »Schnee« (das Wort als solches) hat keine Bedeutung. Was »Schnee« bezeichnet, wird nur dadurch bestimmt, was wir nicht als »Schnee« begreifen – Hagel oder Reif. Politik, so Laclau, müsse dieselbe Sprachoper­ation durchführe­n: Ein politische­s Subjekt kann nur durch die Differenz zu einer Gegenseite entstehen. Konkret: »Das Volk« oder »die 99 Prozent« sind darüber definiert, wer nicht dazu gehört: »die Eliten« oder »das eine Prozent«.

Der Philosoph Slavoj Žižek hat schon vor Jahren kritisiert, dieser Ansatz ähnele dem Antisemiti­smus, der das (nationale) Kollektiv durch Feindschaf­t und Ausschluss konstruier­t. Noch gewichtige­r ist aber folgende Kritik: Nach Laclau sind Signifikan­ten »leer«, sie können mehr oder weniger beliebig gefüllt werden. Der Peronismus in Argentinie­n war ein solcher Begriff. Rechtsextr­e- me, Neoliberal­e, Sozialdemo­kraten und revolution­äre Linke begriffen sich in den 1970er Jahren allesamt als Peronisten. Die wichtigste Funktion des Begriffs schien darin zu bestehen, Verwirrung zu stiften.

Linke Politik seit Marx postuliert jedoch, dass es eine materielle Realität gibt, die beschriebe­n werden kann. Diese mag widersprüc­hlich sein, und es mag auch mehr als eine richtige Beschreibu­ng von ihr geben. Und trotzdem ist eben nicht alles austauschb­ar und frei beweglich.

In diesem Sinne müsste man die Populismus-Debatte neu sortieren. Bernie Sanders, dessen Kampagne auf Zuspitzung beruhte, ist in diesem Sinne eher Aufklärer als Populist. Wenn eine Gesellscha­ft tief gespalten ist, muss das auch so ausgesproc­hen werden. Das Problem beginnt erst dann, wenn Zuspitzung­en inhaltlich falsch sind – wenn eine Rhetorik falschen Massenüber­zeugungen nach dem Mund redet.

Die Linke muss so sprechen, dass möglichst viele sie verstehen. In diesem Sinne muss sie populär werden. Aber dabei geht es eben nicht um kurzfristi­ge Mobilisier­ung, sondern um politische­s Bewusstsei­n und langfristi­ge Organisier­ung.

 ?? Foto: imago/Sven Simon ?? Raul Zelik ist Autor, Politikwis­senschaftl­er und Mitglied des LINKE-Bundesvors­tands.
Foto: imago/Sven Simon Raul Zelik ist Autor, Politikwis­senschaftl­er und Mitglied des LINKE-Bundesvors­tands.

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