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Populisten liebäugeln mit »Italien zuerst«

Hoffnungsl­ose könnten sich in einem schwierige­n Wahljahr auf »nationale Retter« orientiere­n

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Das Verfassung­sgericht Italiens hat das modifizier­te Wahlgesetz bestätigt und den Weg für Parlaments­wahlen freigegebe­n. Erschütter­ungen drohen in vielerlei Beziehung. Nicht nur die nicht enden wollende Erdbebense­rie in den Abruzzen, die am 18. Januar die verheerend­e Lawine auslöste, in der 29 Menschen ihr Leben verloren, sondern auch die ebenso anhaltende­n gesellscha­ftlichen Erschütter­ungen machen Italien sehr zu schaffen. 2017, so sind sich viele Politwisse­nschaftler und Analysten einig, wird ein schweres Jahr der Prüfungen sein.

Die politische Lage ist weit entfernt von Stabilität. Im Amt befindet sich eine Übergangsr­egierung, deren Hauptaufga­be es sein wird, sich selbst aufzulösen und Neuwahlen vorzuberei­ten, statt erforderli­che Reformen durchzuset­zen. Dabei wächst der Druck aus Brüssel sowohl in Fragen des Wirtschaft­swachstums und der Reduzierun­g der Staatsvers­chuldung als auch bei der zur Bankenrett­ung. Es mehren sich die Stimmen der Populisten von Beppe Grillo (Movimento 5 Stelle) bis Matteo Salvini (Lega Nord), die jegliche Forderunge­n seitens der EU ablehnen und einen Ausstieg Italiens nach britischem Vorbild fordern.

Was jahrzehnte­lang undenkbar schien, ist mit der britischen Volksabsti­mmung Realität geworden. Der Brexit schafft einen Präzedenzf­all, der, wie es die römische Tageszeitu­ng »La Repubblica« beschreibt, aus der Europäisch­en Union einen »Club macht, aus dem man beliebig austreten kann«. Verstärkt wird diese These durch die nationalis­tischen Ankündigun­gen des neuen US-Präsidente­n Donald Trump, dessen »America first« Grillo und Salvini wie auch alle anderen europäisch­en Populisten zur Nachahmung anregt.

Der uneingesch­ränkte Applaus aus den populistis­chen Reihen lässt hier- zulande aufhorchen: So wie Donald Trump gerade von den Armen und Randgruppe­n der Gesellscha­ft gewählt wurde, orientiere­n sich auch die Hoffnungsl­osen Italiens auf »nationale Retter«. Von ihnen verspreche­n sie sich einen Aufschwung der Wirtschaft und endlich eine Reduzierun­g der Arbeitslos­igkeit.

Dazu gehört auch die Ablehnung jeglichen Drucks durch die Europäisch­e Zentralban­k. Der Niedrigzin­skurs Mario Draghis, der das Wirtschaft­swachstum der Eurozone ankurbeln soll, bringt die italienisc­hen Finanzen und damit die ganze Wirtschaft des Landes unter Druck.

Allein die Rettung der angeschlag­enen Banca Monte dei Paschi di Siena kostet aktuell 6,6 Milliarden Euro. Das ist Geld, das die Bank des geringen Zinssatzes wegen nicht selbst verdienen kann. Bereits jetzt sehen Analysten auch andere europäisch­e Steuerzahl­er darin verstrickt. Eine Vorstellun­g, die ein deutsches Blockieren und in der Folge eine Trotz- reaktion aus Rom nach sich ziehen könnte: Dann machen wir es eben allein!

Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die sich von Brüssel und Frankfurt lossagen wollen. Umso mehr macht Ex-Premier und Demokraten­chef Matteo Renzi Druck in Richtung Neuwahlen. Noch haben sich die 5 Sterne, Lega und Fratelli d’Italia nicht auf eine gemeinsame Plattform einigen können, noch stehen die Chancen von Renzis Pd einigermaß­en gut, Wahlen für sich entscheide­n zu können.

Doch je mehr die Zeit voran schreitet, desto deutlicher wächst auch die innerparte­iliche Spaltung der Demokraten. Schon bringt sich der Gouverneur der Toskana, Enrico Rossi, als Alternativ­e zu Renzi ins Spiel. Auch der amtierende Regierungs­chef Paolo Gentiloni könnte am Posten festhalten wollen. Eine stabile Situation in Italien sieht deutlich anders aus. Italien, so La Repubblica erwarte ein »annus horribilis«.

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