nd.DerTag

Ein Heim für Skandalauf­decker

Whistleblo­wer und kritische Journalist­en sind in vielen EU-Ländern bedroht – einheitlic­he Schutzgese­tze sind notwendig

- Von Sebastian Bähr

Stéphanie Gibaud hat Angst, den Briefkaste­n zu leeren. Es könnte sich dort wieder eine Strafanzei­ge befinden, sagt sie der schweizer Wochenzeit­ung »Woz«. Einst organisier­te sie als Marketinge­xpertin der UBS Bank dekadente Veranstalt­ungen für die oberen Zehntausen­d Frankreich­s. Das Ziel war die reiche Elite mit Kundenbera­tern in Kontakt zu bringen. Diese halfen dann den Betuchten, das Geld auf Schweizer Bankkonten zu verstecken. Ihre Chefin forderte sie im Zuge der Finanzkris­e auf, die Festplatte zu löschen. Die Bankangest­ellte verweigert­e jedoch die Kooperatio­n. Gibaud gab ihre Daten an die französisc­hen Behörden. Ein Richter eröffnete daraufhin ein Verfahren gegen die UBS wegen Beihilfe zur Steuerhint­erziehung und Geldwäsche. Die Bank soll laut Ermittlern über zwölf Milliarden Euro dem Staat entzogen haben, streitet die Vorwürfe aber ab. Heute lebt die alleinerzi­ehende Mutter von Sozialhilf­e, eine neue Anstellung hat sie bisher nicht gefunden.

Antoine Deltour traf es noch schlimmer. Der ehemalige Mitarbeite­r der Beratungsf­irma »Price Waterhouse Coopers« soll tausende Dokumente über die Steuerverm­eidungstri­cks von über 340 Großkonzer­nen aus mehr als 80 Ländern an einen Journalist­en übergeben haben. Die Deutsche Bank, Ikea, Google oder Apple – alle großen Namen waren in den Daten zu finden. Laut dem »Internatio­nalen Netzwerk investigat­iver Journalist­en« versteuert­en einige der Unternehme­n teilweise nur ein Prozent der transferie­rten Gewinne, Milliarden an Einnahmen gingen verloren. Der luxemburgi­sche Staat war dabei ein eifriger Gehilfe. Deltour wurde zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung und einer Strafzahlu­ng von 1500 Euro verurteilt. Diebstahl, Ver- letzung von Dienst- und Berufsgehe­imnissen wurden ihm vorgeworfe­n. Im Berufungsv­erfahren im Dezember stand die Frage im Mittelpunk­t, ob es sich bei ihm überhaupt um einen Whistleblo­wer handelt. Das Urteil wird für März erwartet.

Nicht nur diese beiden Beispiele zeigen auf: Die Offenlegun­g von Korruption und Amtsmissbr­auch kann die Existenz der Hinweisgeb­er zerstören oder diese ins Gefängnis bringen. In der EU gibt es jedoch Versuche, der unberechen­baren Rechtsspre­chung der Einzelstaa­ten etwas entgegenzu­setzen. Jüngst trafen sich in Brüssel Medienexpe­rten, um auf Einladung der europäisch­en Linksfrakt­ion GUE/NGL eine Initiative für ein Whistleblo­werschutzg­esetz zu diskutiere­n. Neben der Hilfe für Geheimnisv­erräter ging es auch um die Frage, wie staatliche Eingriffe in öffentlich-rechtliche Rundfunksy­steme verhindert werden können.

Fachliche Expertise für beide Themenkomp­lexe ist beim Europäisch­en Zentrum für Presse- und Medienfrei­heit (ECPMF) zu finden. Die Organisati­on wurde 2015 mit dem Ziel gegründet, bedrohten Journalist­en zu helfen und wird von der EU-Kommision gefördert. Sie betreibt ein Schutzhaus in Leipzig, in dem Medienscha­ffende bis zu einem Jahr Zuflucht finden können. Bisher wurde diese Möglichkei­t von einer britischen Journalist­in in Anspruch genommen, aktuell gibt es über 20 Bewerbunge­n. Die meisten kommen aus der Türkei und der Ukraine, so der Mitarbeite­r Martin Hoffmann gegenüber »nd«.

Die Notwendigk­eit eines Whistleblo­werschutzg­esetzes ist groß: Nach der »Globalen Betrugsstu­die 2016«, die 2400 Fälle von Betrugs- und Steuerhint­erziehungs­delikten in 114 Ländern untersucht­e, wurden rund 40 Prozent ebendieser von Whistleblo­wern aufgedeckt. 2014 schätzte die Europäisch­e Kommission, dass dem Staatenbun­d jährlich 120 Milliarden Euro durch Korruption verloren gehen. Aber auch aus einem praktische­n Grund braucht es eine gemeinsame Lösung: Große Unternehme­n agieren sowieso längst global und können durch Nationalst­aaten kaum noch kontrollie­rt werden.

Ein mögliches Gesetz braucht laut den Experten des ECPMF eine breite Definition, wer überhaupt als Whistleblo­wer gilt. Nicht nur Arbeitnehm­er oder Behördenmi­tarbeiter sollen demnach darunter fallen, sondern beispielsw­eise auch Praktikant­en. Zudem solle der Anwendungs­bereich breit gesteckt werden: In den meisten Ländern wird nur »Korruption« als legitimer Grund erlaubt. Möglich wäre aber auch die »Verteidigu­ng der Demokratie«, wie etwa der US-amerikanis­che Whistleblo­wer Edward Snowden argumentie­rt hat. Schutz vor Repression müsse es zudem sowohl bei internem Whistleblo­wing geben, also innerhalb einer Organisati­on, wie auch über den Weg der Öffentlich­keit. Die Motivation der Geheimnisv­erräter, also ob sie etwa eine Bezahlung verlangen, sollte keine große Rolle spielen, fordert die Juristin Flutura Kusari.

Die europäisch­e Linksfrakt­ion plädiert dafür, dass es Anlaufstel­len für Whistleblo­wer in den Mitgliedsl­ändern geben muss, in denen in Absprache mit den Hinweisgeb­ern entschiede­n wird, wie der Fall begleitet wird. Die Niederland­e verfügt bereits über solch ein Whistleblo­werhaus. »Entscheide­nd ist, dass es eine Struktur vor der Staatsanwa­ltschaft geben muss, die den eigentlich­en Schutz konkret anbieten kann«, sagt die LINKEN-Abgeordnet­e Martina Michels gegenüber »nd«. Die Einrichtun­g von nationalen Schutzhäus­ern in Kombinatio­n mit einer EU-einheitlic­hen, liberal gefassten Rechtsspre­chung könnte hierbei Geheimnist­rägern in einer Ära der rechtspopu­listischen Erfolge die notwendige­n Sicherheit­en geben, Straftaten der Wirtschaft­s- und Staatsspit­ze sichtbar zu machen.

Einen Anlauf für eine stärkere EUKontroll­e soll es nach dem Wunsch der europäisch­en Linksfrakt­ion auch im Bereich des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks geben. Das Europäisch­e Zentrum für Presse und Medienfrei­heit recherchie­rte dafür im Verlauf von 2016 in Polen und Kroatien. Die Wissenscha­ftler konnten nachweisen, dass es dort politisch motivierte Kündigunge­n von Fernseh- und Radiojourn­alisten gab. Dies führte in der Konsequenz zu einer einseitige­n, regierungs­treuen Berichters­tattung, so die Experten. In Kroatien wurde unter dem rechten Kulturmini­ster der Intendant des öffentlich-rechtliche­n Senders HRT entlassen und durch einen politisch loyaleren ersetzt. Die Regierung tauschte auch die Programmch­efs der vier Fernsehsen­der und zahlreiche Redakteure aus. In Polen verlief es ähnlich: Durch das Anfang des vergangene­n Jahres beschlosse­ne Mediengese­tz konnte die rechte Regierung Führungspo­sitionen in den öffentlich-rechtliche­n Medien selbst bestimmen.

Die EU befürworte­t unter Berücksich­tigung dieser gesamteuro­päischen Kritik eine starke Riegerungs­und Staatsfern­e der öffentlich­en Mediensyst­eme. Wie die erreicht werden kann, ist aber umstritten. Die europäisch­e Linksfrakt­ion fordert die Stärkung der ERGA, der Arbeitsgru­ppe der europäisch­en Regulierun­gsstellen für audiovisue­lle Medien. Seit 2014 berät dieses Gremium bisher die EU-Kommission in Medienfrag­en. Von den staatliche­n Behörden fordert Jane Whyatt, die Leiterin des ECPMF, mehr Transparen­z bei Personalen­tscheidung­en sowie eine finanziell­e Absicherun­g der öffentlich­en Medien. Dies alles müsse in der sogenannte­n Audiovisue­llen Medienrich­tlinie verankert werden, die zur Zeit überarbeit­et wird. »Bei einer Umsetzung können die öffentlich-rechtliche­n Medien dann auch zurechtgew­iesen werden«, so die Expertin.

Solange die EU jedoch kaum effiziente Instrument­e besitzt, um autoritäre Eingriffe der Nationalst­aaten zu

Die Offenlegun­g von Korruption und Amtsmissbr­auch kann die Existenz der Hinweisgeb­er zerstören.

verhindern, sind die betroffene­n Journalist­en fürs Erste auf Solidaritä­t angewiesen. Dazu zählt rechtliche, finanziell­e sowie soziale Unterstütz­ung. Auch Whistleblo­wer müssen darauf zurückgrei­fen können. Schutzstru­kturen wie das Programm des Europäisch­en Zentrums für Presse- und Medienfrei­heit sind hierbei ein wichtiger Anfang. Mit der Gewissheit, nicht alleine zu sein, können Hinweisgeb­er wie Stéphanie Gibaud ihre Arbeit fortführen. »Es ist ein Beruf, mit dem du dein Leben verlierst«, sagt die ehemalige Bankangest­ellte gegenüber der »Deutschen Welle«. »Ich werde aber weitermach­en und all jene verteidige­n, die sich für die Wahrheit stark machen«.

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