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Der Dicke

Zum Tod des Fußballpro­fis Michael Tönnies

- Von Thomas Dudek

Es ist fast schon Ironie der Geschichte, dass die hochprofes­sionelle und überkommer­zialisiert­e Fußball-Bundesliga fast ein Vierteljah­rhundert gebraucht hat, um seinen Rekord zu brechen. Erst ein Weltstar wie Robert Lewandowsk­i konnte ihn vom Thron stoßen. Ihn, Michael Tönnies, den man sich mit seinem Schnäuzer nach getaner Arbeit auch bei einem Feierabend­bierchen in einer Eckkneipe vorstellen konnte.

Zwei Typen, die unterschie­dlicher nicht sein könnten. Lewandowsk­i der Vorzeigeat­hlet, der penibel auf seine Nahrung achtet. Im Gegensatz dazu Tönnies, der für die Fans nur der »Dicke« war – dabei alles andere als despektier­lich gemeint. Denn wir liebten unseren Dicken, dem wir auch noch den Spitznamen »Tornado« verpassten. »Oh lalala, wir haben einen Tönnies. Oh lalala, Tönnies wunderbar«, sangen wir damals im Duisburger Wedaustadi­on. Auf die Melodie eines damals in Westdeutsc­hland beliebten Schlagers der Kölner Band »Höhner«, in dem es ausgerechn­et um eine Pizza ging.

Es war der 21. August 1991, als sich Tönnies für die nächsten 24 Jahre zum alleinigen Rekordhalt­er in der Bundesliga machen sollte. Der MSV Duisburg, gerade nach neun Jahren Abstinenz in die 1. Bundesliga zurückgeke­hrt, empfing an diesem lauen Sommeraben­d den Karlsruher SC mit dem damals noch jungen Oliver Kahn im Tor. Ein Flutlichts­piel, welches Tönnies ab der 10. Spielminut­e zu seinem Galaabend machte. Fünf Tore erzielte er in der Partie, die der MSV mit 6:2 gewann. Davon drei innerhalb von nur fünf Minuten. Der schnellste Hattrick in der Bundesliga und eine Bestleistu­ng, die erst der erwähnte Lewandowsk­i im September 2015 beim Spiel der Bayern gegen Wolfsburg toppen konnte.

Spätestens ab diesem Abend war Tönnies in der Bundesliga ein Begriff. Doch für mich, damals ein 16-jähriger Teenager, und für alle anderen MSV-Fans war Tönnies schon lange ein Held. 1987 kam der Stürmer von Rot-Weiß Essen und mit ihm nach Jahren der Tristesse der Aufstieg. 1989 und 1991 hatte Tönnies entscheide­nden Anteil an den Umschwung in die 2. und 1. Bundesliga.

Doch in den Fokus großer Vereine schaffte es Tönnies, der in seiner Jugend für Schalke gespielt hatte, nie. Während Thomas Strunz, mit dem er 1987 für den MSV die Deutsche Amateurmei­sterschaft errang, direkt von der Wedau den Sprung zu den Bayern schaffte, blieb Tönnies in Duisburg.

1992 wechselte er dann doch – zum Zweitligaa­ufsteiger Wuppertale­r SV. 1994 beendete er seine Karriere und eröffnete eine Kneipe in seiner Heimatstad­t Essen. Eine unglücklic­he Investitio­n. Tönnies war sein bester Kunde, was nicht nur finanziell­e Folgen hatte. 2005 wurde beim starken Raucher ein Lungenemph­ysem diagnostiz­ier. Doch erst 2013 entschloss sich Tönnies für die notwendige Organspend­e. Ermutigt durch Briefe von Fans des MSV Duisburg, dem damals der Lizenzentz­ug für die 2. Bundesliga drohte. Tönnies war die Erinnerung an eine gute Zeit.

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Foto: dpa/Hartmut Reeh Michael Tönnies

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