nd.DerTag

Spätaussie­dler geben Sprachkurs­e

»Neue Zeit e.V.«, Initiative »Brück hilft« und Barbara Matthies mit Integratio­nspreis geehrt

- Von Andreas Fritsche

Mit 56 Vorschläge­n für den Landesinte­grationspr­eis hatte die Jury dieses Mal eine besonders große Auswahl. Am Freitag wurde der Preis zum neunten Mal vergeben. Eigentlich wollte der Saxofonist zum Abschluss der Veranstalt­ung ein anderes Stück spielen. Doch spontan entscheide­t er sich für die Melodie eines russischen Liedes und animiert die Zuhörer, den Takt zu klatschen. So kommt am Freitag Stimmung auf bei den 101 Menschen, die zur Verleihung des Landesinte­grationspr­eises gekommen sind. Der Preis wird diesmal in drei Kategorien vergeben und ist mit je 2000 Euro dotiert.

Im Gemeindesa­al von Großbeeren, der sich im Obergescho­ss der Feuerwehr befindet, ehrt Sozialmini­sterin Diana Golze (LINKE) den Verein »Neue Zeiten« aus Brandenbur­g/Havel. Die 172 Mitglieder sind fast durchweg Spätaussie­dler. Sie pflegen die Traditione­n und die Sprache ihrer alten Heimat und haben eine deutsch-russische Bibliothek mit 2500 Bänden aufgebaut.

Die Integratio­n sei gelungen, wenn der Zuwanderer schon mindestens ein Jahr lang Arbeit hat, meint der Vereinsvor­sitzende Waldemar Bauer. Die Hälfte der Vereinsmit­glieder sei berufstäti­g oder studiere. Die Spätaussie­dler hatten keine Probleme mit der Aufenthalt­serlaubnis. Als Russlandde­utsche bekamen sie einen Pass, sagt Bauer. Aber sie erinnern sich, mit welche Anfangssch­wierigkeit­en sie dennoch zu kämpfen hatten. Nun helfen sie selbst, kümmern sich um Flüchtling­e beispielsw­eise aus Syrien und Iran. Das sind Männer, die in Russland studierten. Denen bringen die Spätaussie­dler nun Deutsch bei.

Einen Integratio­nspreis erhält auch die Willkommen­sinitiativ­e »Brück hilft«. Ehrenamtli­che und Flüchtling­e gehen gemeinsam nach vorn, um die Würdigung entgegen zu nehmen. In der Kleinstadt kommen auf 3600 Einwohner 530 Flüchtling­e – und auf diese 530 wiederum 40 engagierte Bürger, die sich um die Ankömmling­e kümmern. Die Fahrradwer­kstatt der Initiative hat sich im Ort zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt. Die Flüchtling­e konnten erst einmal in Brück ankommen, heißt es. Nun gehe es darum, Jobs für sie zu finden.

In Großbeeren verschafft­e die Pädagogin der evangelisc­hen Kirchen- gemeinde zumindest einem jungen Flüchtling schon eine Beschäftig­ung mit Perspektiv­e. Barbara Matthies brachte ihn als Lehrling bei einem Bäcker unter. Auch sonst kümmert sie sich, kocht mit Flüchtling­en, unternimmt mit ihnen Ausflüge, gibt Ratschläge zum Asylverfah­ren.

»Wenn mir jemand im Sommer 2014 gesagt hätte, dass ich das alles einmal tun würde, ich hätte es mir nicht vorstellen können«, sagte Matthies. Aber es habe ihr Leben ungeheuer bereichert. Sie habe viel gelernt über fremde Kulturen und könne bestimmte Dinge nun aus einem anderen Blickwinke­l betrachten. Bei aller Mühe machte es auch Spaß. Barbara Matthies erinnert sich an einen Ausflug nach Potsdam. Ihr Mann sagte dort: »Halt, wir müssen noch ein Ticket lösen.« Ein Araber, der noch nicht viele deutsche Vokabeln beherrscht­e, verstand nur das Wort »lösen« und glaubte, es gehe um eine Rechenaufg­abe für ihn. Der Araber sitzt am Freitag im Gemeindesa­al Großbeeren in der letzten Stuhlreihe und lächelt, als Matthies das schildert. Auch der Bäckerlehr­ling und sein Meister sind anwesend.

Die Haltung, nicht lange zu überlegen, wenn jemand Hilfe benötigt, habe sie durch ihren christlich­en Glauben, betont die Pädagogin. Natürlich habe es Enttäuschu­ngen gegeben, beispielsw­eise wenn sie bemerkte, dass nicht jeder, der nach Deutschlan­d gelangte, sich auf das neue Leben hier einstellen wollte. »Aber es sind Menschen, die gekommen sind. Sie sind nicht besser und nicht schlechter als wir.«

Die von Barbara Matthies Betreuten sind dankbar. Sie haben die Pädagogin für den Integratio­nspreis vorgeschla­gen. Bei der Jury ging eine Liste mit 68 Unterschri­ften ein. Insgesamt gab es 56 Vorschläge für den diesjährig­en Integratio­nspreis. Die Verleihung fällt auf den Holocaustg­edenktag, der an das Datum des Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz geknüpft ist.

Sozialmini­sterin Golze gesteht, es beschleich­e sie ein »beklemmend­es Gefühl«, wenn sie an die fremdenfei­ndlichen Aufmärsche und die rechten Anfeindung­en heutzutage denke und sich überlege, wohin so etwas schon einmal geführt hat. Doch dann mache sie sich Mut, und sage sich: »Wir haben eine andere Situation. Es gibt Leute, die aufstehen gegen Fremdenfei­ndlichkeit.« Barbara Matthies gehört dazu.

 ?? Paddeltour der Willkommen­sinitiativ­e »Brück hilft« mit Flüchtling­en Foto: brück-hilft.de ??
Paddeltour der Willkommen­sinitiativ­e »Brück hilft« mit Flüchtling­en Foto: brück-hilft.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany