Spätaussiedler geben Sprachkurse
»Neue Zeit e.V.«, Initiative »Brück hilft« und Barbara Matthies mit Integrationspreis geehrt
Mit 56 Vorschlägen für den Landesintegrationspreis hatte die Jury dieses Mal eine besonders große Auswahl. Am Freitag wurde der Preis zum neunten Mal vergeben. Eigentlich wollte der Saxofonist zum Abschluss der Veranstaltung ein anderes Stück spielen. Doch spontan entscheidet er sich für die Melodie eines russischen Liedes und animiert die Zuhörer, den Takt zu klatschen. So kommt am Freitag Stimmung auf bei den 101 Menschen, die zur Verleihung des Landesintegrationspreises gekommen sind. Der Preis wird diesmal in drei Kategorien vergeben und ist mit je 2000 Euro dotiert.
Im Gemeindesaal von Großbeeren, der sich im Obergeschoss der Feuerwehr befindet, ehrt Sozialministerin Diana Golze (LINKE) den Verein »Neue Zeiten« aus Brandenburg/Havel. Die 172 Mitglieder sind fast durchweg Spätaussiedler. Sie pflegen die Traditionen und die Sprache ihrer alten Heimat und haben eine deutsch-russische Bibliothek mit 2500 Bänden aufgebaut.
Die Integration sei gelungen, wenn der Zuwanderer schon mindestens ein Jahr lang Arbeit hat, meint der Vereinsvorsitzende Waldemar Bauer. Die Hälfte der Vereinsmitglieder sei berufstätig oder studiere. Die Spätaussiedler hatten keine Probleme mit der Aufenthaltserlaubnis. Als Russlanddeutsche bekamen sie einen Pass, sagt Bauer. Aber sie erinnern sich, mit welche Anfangsschwierigkeiten sie dennoch zu kämpfen hatten. Nun helfen sie selbst, kümmern sich um Flüchtlinge beispielsweise aus Syrien und Iran. Das sind Männer, die in Russland studierten. Denen bringen die Spätaussiedler nun Deutsch bei.
Einen Integrationspreis erhält auch die Willkommensinitiative »Brück hilft«. Ehrenamtliche und Flüchtlinge gehen gemeinsam nach vorn, um die Würdigung entgegen zu nehmen. In der Kleinstadt kommen auf 3600 Einwohner 530 Flüchtlinge – und auf diese 530 wiederum 40 engagierte Bürger, die sich um die Ankömmlinge kümmern. Die Fahrradwerkstatt der Initiative hat sich im Ort zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt. Die Flüchtlinge konnten erst einmal in Brück ankommen, heißt es. Nun gehe es darum, Jobs für sie zu finden.
In Großbeeren verschaffte die Pädagogin der evangelischen Kirchen- gemeinde zumindest einem jungen Flüchtling schon eine Beschäftigung mit Perspektive. Barbara Matthies brachte ihn als Lehrling bei einem Bäcker unter. Auch sonst kümmert sie sich, kocht mit Flüchtlingen, unternimmt mit ihnen Ausflüge, gibt Ratschläge zum Asylverfahren.
»Wenn mir jemand im Sommer 2014 gesagt hätte, dass ich das alles einmal tun würde, ich hätte es mir nicht vorstellen können«, sagte Matthies. Aber es habe ihr Leben ungeheuer bereichert. Sie habe viel gelernt über fremde Kulturen und könne bestimmte Dinge nun aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Bei aller Mühe machte es auch Spaß. Barbara Matthies erinnert sich an einen Ausflug nach Potsdam. Ihr Mann sagte dort: »Halt, wir müssen noch ein Ticket lösen.« Ein Araber, der noch nicht viele deutsche Vokabeln beherrschte, verstand nur das Wort »lösen« und glaubte, es gehe um eine Rechenaufgabe für ihn. Der Araber sitzt am Freitag im Gemeindesaal Großbeeren in der letzten Stuhlreihe und lächelt, als Matthies das schildert. Auch der Bäckerlehrling und sein Meister sind anwesend.
Die Haltung, nicht lange zu überlegen, wenn jemand Hilfe benötigt, habe sie durch ihren christlichen Glauben, betont die Pädagogin. Natürlich habe es Enttäuschungen gegeben, beispielsweise wenn sie bemerkte, dass nicht jeder, der nach Deutschland gelangte, sich auf das neue Leben hier einstellen wollte. »Aber es sind Menschen, die gekommen sind. Sie sind nicht besser und nicht schlechter als wir.«
Die von Barbara Matthies Betreuten sind dankbar. Sie haben die Pädagogin für den Integrationspreis vorgeschlagen. Bei der Jury ging eine Liste mit 68 Unterschriften ein. Insgesamt gab es 56 Vorschläge für den diesjährigen Integrationspreis. Die Verleihung fällt auf den Holocaustgedenktag, der an das Datum des Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz geknüpft ist.
Sozialministerin Golze gesteht, es beschleiche sie ein »beklemmendes Gefühl«, wenn sie an die fremdenfeindlichen Aufmärsche und die rechten Anfeindungen heutzutage denke und sich überlege, wohin so etwas schon einmal geführt hat. Doch dann mache sie sich Mut, und sage sich: »Wir haben eine andere Situation. Es gibt Leute, die aufstehen gegen Fremdenfeindlichkeit.« Barbara Matthies gehört dazu.