»Sie haben ihr Leben, ich meins«
Handball-Bundestrainer Dagur Sigurdsson wechselt mit Freude nach Japan.
Zuletzt entsprach Dagur Sigurdsson wieder seinem Ruf als wortkarger Eigenbrötler: Als der Handball-Bundestrainer am Montag dieser Woche in Berlin-Tegel landete, war er von den wartenden Reportern zu keinem Statement mehr zu bewegen. Schweigend verließ er das Terminal. Die »größte Enttäuschung« in seiner Zeit als deutscher Nationalcoach hatte der 43-jährige Isländer bereits am Sonntag nach dem 20:21 seiner Mannschaft im WMAchtelfinale gegen Katar konstatiert. Dem hatte Sigurdsson nichts mehr hinzuzufügen.
Während beim Deutschen Handballbund (DHB) die Suche nach einer Nachfolgeregelung fortgesetzt wurde, beeilten sich alle, die im deutschen Handball von Bedeutung sind, Sigurdsson ihr Lob auszusprechen. »Es war eine unfassbar erfolgreiche Ära«, befand DHB-Vizepräsident Bob Hanning. Hanning war es, der den Isländer zuerst zu den Füchsen Berlin und später dann zum DHB gelotst hatte. »Mit Sigurdsson hat der deutsche Handball den Glauben an seine Möglichkeiten wiederentdeckt.«
Als Sigurdsson 2014 den Job übernahm, hatte es alles andere als rosig um den deutschen Handball ausgesehen. Doch der Mann mit der schmuddeligen blauen Taktiktafel strahlte eben jene Sicherheit aus, die der DHB-Auswahl 2016 zu einem ihrer schönsten Erfolge verhalf: Die junge Auswahl gewann in Polen den Europameistertitel. Der Gummersbacher Torwart Carsten Lichtlein, der 2016 als Kapitän die Europameistermannschaft anführte, beschreibt gegenüber »nd«, was Sigurdsson besonders auszeichnet: »Es ist diese Coolness, das muss man schon sagen. Er ist nie hektisch und er wird es auch nicht, wenn’s im Spiel drunter und drüber geht. Daran können sich die Spieler aufrichten.«
Professionell, ernsthaft und hochkonzentriert, so beschreibt ihn jeder, der beruflich mit ihm zu tun hat. »Diese Fokussierung auf die nächste Aufgabe ist seine Stärke«, umschreibt DHB-Präsident Andreas Michelmann gegenüber »nd«. Er habe sich an diese Konzentriertheit auch erst gewöhnen müssen, sagt der Funktionär aus Aschersleben witzelnd: »Ich sag’s mal so: Sigurdsson verschleißt sich nicht in Konversationen. Bei einem Turnier kann es da am Frühstückstisch sehr still bleiben. Das muss man aushalten.«
Nun wolle man Sigurdsson einen würdigen Abschied bereiten, es sei eine »Trennung, die in Wertschätzung vollzogen wird«. Sigurdsson zieht weiter gen Japan, wo er angeblich ei- nen Siebenjahresvertrag als Nationaltrainer unterschrieben haben soll, wie eine Nachrichtenagentur schrieb. In Tokio stehen 2020 Olympische Spiele an, Sigurdssons Aufgabe ist es, den Gastgebern zu einem akzeptablen Abschneiden im Turnier zu verhelfen. Ursprünglich hatte Sigurdsson beim DHB Olympiagold 2020 als Zielsetzung verkündet.
Ende 2016 aber wurde dann bekannt, dass er den Job beim DHB aufgibt. Wirklich plausible Gründe waren nicht zu erfahren, womöglich wollte der Familienmensch Sigurdsson auch beim DHB so arbeiten, wie er es künftig für Japan tun wird: mit Wohnsitz in Island, von wo aus er zu Spielen und Lehrgängen anreist. Und womöglich spielte auch das Gehalt eine Rolle. Aus anderen Sportarten ist zu hören, dass Japan wegen der Olympia vorbereitung derzeit reichlich Spitzen trainer ins Land lockt, teilweise mit atemberaubend hohen Gehältern.
In Island gelten die Sigurdssons als Berühmtheiten. Nicht nur, weil Bruder Bjarki mit seiner Band Mono Town gleich mehrere Nummer-1Hits in den Charts hatte. Sein Vater war Fußball nationaltorwart, seine Mutter Handball nationalspielerin. Bis ins Alter von 17 Jahren spielte auch der junge Dagur in beiden Sportarten jeweils inder Nachwuchs nationalmannschaft. Weil es im Handball aber noch schneller voran ging, entschied sich der Manchester-United-Fan aber schließlich für den Hallensport.
Parallel zu seiner Profikarriere versuchte er sich schon früh auch als Unternehmer, bereits mit 20 fing er mit seinen Brüdern an, ein Café in Reykjavik zu führen. Heute ist er unter anderem Mitbetreiber eines Hostels und einer Pizzeria. »Ich habe im Lauf der Jahre sicherlich zehn Unternehmen geführt«, sagt Sigurdsson rückblickend. Dank seiner neuen Arbeitsstelle will er zudem wieder mehr Zeit für die Familie finden.
Sigurdsson ist ein Positivdenker. Und ein Mann der Tat: »Ich kann gut Entscheidungen treffen«, so umschreibt er in seiner Autobiografie »Feuer und Eis« die Entscheidung, 2000 nach Japan zu gehen. Die Begründung passt auch anno 2017 zu seiner Rückkehr nach Fernost: »Ich hadere nicht ewig, aus Furcht, mein inneres Pendel könnte morgen in eine andere Richtung ausschlagen. Ich weiß recht schnell, was ich will. Und es bereitet mir auch keine schlaflosen Nächte, einen Entschluss zu fassen, von dem ich weiß, dass andere darüber verwundert sind. Sie haben ihr Leben, ich meins.«