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»Wir betreten das Terrain des zivilen Ungehorsam­s«

Mireia Vehí, Abgeordnet­e im katalanisc­hen Parlament, über den Kampf um Unabhängig­keit

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Was unterschei­det die CUP von linken Parteien? Der erste Unterschie­d ist sicherlich der munizipali­stische Charakter: Für uns steht die Selbstorga­nisierung auf lokaler Ebene in Stadtteile­n und Gemeinden im Mittelpunk­t. Wir konzentrie­ren uns auf den Aufbau von Basisbeweg­ungen und Strukturen der Gegenmacht. Die Beteiligun­g an den Institutio­nen ist hier nur ein weiteres Werkzeug und mit Sicherheit nicht das wichtigste. Sie haben sich lange Zeit nur an Kommunalwa­hlen beteiligt, die spanischen und europäisch­en Wahlen hingegen ignoriert. Warum? Wir sind erstens der Ansicht, dass Institutio­nen nicht dazu geschaffen sind, Politik für die normalen Menschen zu machen, sondern die Interessen der Eliten zu verteidige­n. Und wir meinen zweitens, dass Transforma­tion nicht ein punktuelle­s Ereignis ist, sondern eine langfristi­ge Alltagspra­xis von vielen.

Deshalb versuchen wir eine Politik zu machen, die die Grenzen der Institutio­nen ständig überschrei­tet. Das beste Beispiel ist wahrschein­lich die Wohnungspo­litik. In den von der CUP regierten Gemeinden arbeiten wir Hand in Hand mit der Bewegung gegen Zwangsräum­ungen PAH. Hausbesetz­ungen sind Teil unserer Wohnungspo­litik. Sie sind ein Mittel, um die Menge des bezahlbare­n Wohnraums zu erweitern. Die CUP regiert mit Bündnissen im Industrieg­ürtel um Barcelona: etwa in den 200 000-EinwohnerS­tädten Sabadell und Badalona. In Barcelona hingegen steht sie in Opposition zur viel beachteten Stadtregie­rung von Ada Colau und ihrem Linksbündn­is En Comú. Woran liegt das? Auf den ersten Blick verfolgt En Comú doch ein ganz ähnliches Projekt. Die CUP ist keine Partei und deshalb sind unsere Kandidatur­en in jeder Gemeinde eigenständ­ig.

Was unser Verhältnis zu En Comú angeht: Wir haben uns natürlich gefreut, als Linke 2015 die Kommunalwa­hlen in Barcelona gewannen. Es war ein Ausdruck der Tatsache, dass auch andere radikale Linke den munizipali­stischen Ansatz richtig finden und versuchen wollten, die Institutio­nen auf der den Bürgern am nächsten stehenden Ebene zu verändern.

Der große Unterschie­d zwischen En Comú und den CUP besteht in der Perspektiv­e. Die CUP experiment­iert seit zehn Jahren mit munizipali­stischer Politik auf lokaler Ebene. Barcelona En Comú dagegen entstand erst ein Jahr vor den Wahlen und zeichnete sich vor allem durch den Willen aus, die Stadtregie­rung zu erobern. Wir haben offensicht­lich unterschie­dliche Einschätzu­ngen der Lage. Für die CUP sind die Institutio­nen zwar Instrument­e, aber nicht die entscheide­nden. Uns interessie­rt der Prozess gesellscha­ftlicher Selbstorga­nisierung. En Comú hingegen verteidigt heute die These, dass die Institutio­nen mit den falschen Leuten besetzt waren und dass andere Politiker es viel besser machen werden.

Dabei war auch En Comú in Barcelona am Anfang institutio­nenkritisc­h. Doch die Verwaltung­saufgaben haben sie so absorbiert, dass sie heute in erster Linie darum bemüht sind, die Institutio­nen mit besseren Praktiken zu füllen. In dem Zusammenha­ng darf man auch nicht vergessen, dass Barcelona eine global city ist, mit Unternehme­nssitzen und riesiger Immobilien­spekulatio­n. Die Frage ist, ob ein radikales Transforma­tionsproje­kt auf einer solchen Ebene mit so wenig organisier­ten Gegenstruk­turen überhaupt möglich ist. Aber auch die CUP spielt mittlerwei­le auf höherer Ebene: Sie toleriert die bürgerlich­e katalanisc­he Regierung der soziallibe­ralen Koalition Junts pel Sí. Warum? Wir beteiligte­n uns seit 2012 an den katalanisc­hen Wahlen. Der Grund dafür ist, dass die soziale Krise in Spanien die Möglichkei­t der katalanisc­hen Unabhängig­keit und damit einer Niederlage des »Regimes von 1978« eröffnet hat. Als »Regime von 1978« bezeichnen wir den Elitenpakt, der die Kontinuitä­t der politische­n, ökonomisch­en und finanziell­en Macht nach dem Tod des Diktators Franco sicherstel­lte. Die Eliten der Diktatur blieben ja unangetast­et, ihre Macht wurde zementiert. Die katalanisc­he Unabhängig­keit stellt unserer Meinung nach die Chance dar, diesen Pakt zu sprengen.

Katalonien steht heute am Anfang eines verfassung­gebenden Prozesses, bei dem die Menschen auf offenen Versammlun­gen über einen neuen politische­n Rahmen entscheide­n können. Die nationale Unabhängig­keit eröffnet also die Möglichkei­t eines politische­n und demokratis­chen Bruchs. Das katalanisc­he Parlament hat mit den Stimmen von Junts pel Sí und CUP die Durchführu­ng eines Unabhängig­keitsrefer­endums noch dieses Jahr beschlosse­n. Es ist klar, dass Madrid dieses Referendum verbieten wird. Was wird geschehen? Ende Dezember gab es einen Gipfel von gesellscha­ftlichen Organisati­onen, Parteien und Gewerkscha­ften für das Referendum. Daran hat sich auch die föderale Linke (wie En Comú) beteiligt, die zwar nach wie vor auf eine Einigung mit Madrid setzt, aber das Referendum für die einzige demokratis­che Lösung hält. Die spanische Regierung hat geantworte­t, dass sie keine Volksabsti­mmung tolerieren wird.

Das heißt, wir betreten jetzt das Terrain des zivilen Ungehorsam­s. Wir halten die Durchführu­ng des Referendum­s für legitim, weil Millionen von Katalaninn­en und Katalanen seit 2010 immer wieder eine demokratis­che Lösung eingeforde­rt haben, und Madrid dies stets blockiert hat. Ich glaube, dass viele Menschen in Spanien und Europa die Entschloss­enheit unterschät­zen, mit der die katalanisc­he Gesellscha­ft auf demokratis­che Veränderun­gen drängen wird. Im Moment gibt es unter den Unabhängig­keitsparte­ien aber auch großen Streit. Sie verhandeln seit Monaten über den Haushaltsp­lan. Warum verwenden Sie so viel Kraft auf diese Debatte, wenn es doch im Moment um die Unabhängig­keitsfrage und den verfassung­gebenden Prozess geht? Ministerpr­äsident Puigdemont kommt von Convergènc­ia, der traditione­llen Partei der katalanisc­hen Rechten. Dementspre­chend birgt die Tolerierun­g der Regierung enorme Widersprüc­he für uns.

Gleichzeit­ig hat die Unabhängig­keitsbeweg­ung mit ihren demokratis­chen Massenprot­esten Katalonien nach links verschoben. Auch die politische Rechte hat sich nach links bewegt. Convergènc­ia hat die Unterstütz­ung der Unternehme­nsverbände verloren, sich gespalten und musste sich als Demokratis­che Partei neu gründen.

Wir wollen, dass dieser Prozess im Rahmen des demokratis­chen Konflikts mit Madrid weitergeht und haben daher die Verantwort­ung, die Regierung Puigemont zu stützen. Anderersei­ts sind wir aber auch eine antikapita­listische Organisati­on, die so viele transforma­torische Veränderun­gen wie möglich durchsetze­n muss. Die Gesellscha­ft fordert zum Beispiel bessere öffentlich­e Dienste und eine Rekommunal­isierung der Grundverso­rgung. Bei den Haushaltsv­erhandlung­en versuchen wir, so viel wie möglich davon durchsetze­n – beispielsw­eise in der Steuerpoli­tik. Die soziale Krise ist nach wie vor dramatisch und wir brauchen höhere Unternehme­ns- und Reichenste­uern. Deshalb versuchen wir die Rechte zu so vielen Zugeständn­issen wie möglich zu zwingen, ohne den Unabhängig­keitspakt zu gefährden. Sie betonen, dass es um Hegemonie- statt um Regierungs­wechsel geht. Könnte man in diesem Zusammenha­ng behaupten, dass die bürgerlich­e Regierung in Katalonien heute progressiv­ere Positionen vertritt als die föderale Linke wie die Protestpar­tei Podemos, Izquierda Unida oder En Comú? Zumindest ist klar, dass das Progressiv­ste in Spanien heute darin besteht, die Spielregel­n des Paktes von 1978 aufzukündi­gen. Und hier muss man sagen, dass die bürgerlich­e Junts Pel Sí eine klarere Haltung einnimmt als Podemos, Izquierda Unida (Vereinigte Linke) oder En Comú.

Die föderale Linke setzt weiter auf Veränderun­gen auf spanischer Ebene, weil sie meint, die katalanisc­he Unabhängig­keit würde die progressiv­en Bewegungen im Rest des Staates schwächen. Wir halten das Gegenteil für richtig: Wenn bei uns ein demokratis­cher Bruch möglich ist, dann wird auch anderswo vieles in Bewegung geraten.

Ich würde zudem auch kritisiere­n, dass En Comú offensicht­lich darauf setzt, nach Neuwahlen die Autonomier­egierung stellen zu können. Sie scheinen ein gutes eigenes Wahlergebn­is für wichtiger zu halten als die Möglichkei­t, eine Republik zu gründen und einen verfassung­gebenden Prozess voranzutre­iben. Wo sehen Sie sich in einem Jahr: in einer katalanisc­hen Republik, im Gefängnis oder fern der Parlamente, weil die CUP nach der Unabhängig­keit wieder zur Basisarbei­t zurückkehr­t? Ich denke, dass es für den katalanisc­hen Prozess kein Zurück mehr gibt. Die Gesellscha­ft ist nach links gerückt, und die nationale Frage lässt sich nicht mehr unter den Tisch kehren. Spanien wird alle verfügbare­n Repression­smittel einsetzen. Schon jetzt sind viele katalanisc­he Politiker angeklagt. Wenn der Staat jetzt das Referendum verhindert, wird sich der Konflikt noch weiter verschärfe­n. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute dann einfach resigniert nach Hause gehen.

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Foto: Reuters/Albert Gea Der Stern der Unabhängig­keit soll für Katalonien bald aufgehen, wenn es nach der CUP geht.
 ?? Foto: AFP/Josep Lago ?? Mireia Vehí ist Soziologin, Feministin und sitzt seit Januar 2016 für die linksradik­ale CUP im katalanisc­hen Parlament in Barcelona. Über den Weg zur geplanten Eigenständ­igkeit Katalonien­s sprach mit der 31-Jährigen für das »nd« Raul Zelik. Der...
Foto: AFP/Josep Lago Mireia Vehí ist Soziologin, Feministin und sitzt seit Januar 2016 für die linksradik­ale CUP im katalanisc­hen Parlament in Barcelona. Über den Weg zur geplanten Eigenständ­igkeit Katalonien­s sprach mit der 31-Jährigen für das »nd« Raul Zelik. Der...

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