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Ein sympathisc­her Teufel

- Von Schauspiel­ern, Stückeschr­eibern und dem Schmerz der Ungewisshe­it

Sie wurde als Kind eines Musiklehre­rs und einer Weinstuben­wirtin in München geboren. Der Vater, ein jähzornige­r Trinker, verbot seiner Tochter alles, was diese liebte, mitunter sogar das Klavierspi­elen. Häufig rebelliert­e sie, auch gegen ihre Geschwiste­r. »Sie war ein sympathisc­her Teufel«, witzelte ihr Bruder später.

Die Schule absolviert­e sie ohne größere Probleme. Sie habe den Unterricht »mit hervorzuhe­bendem Fleiß besucht« und ein »sehr lobenswert­es Betragen« gezeigt, attestiert­en ihr die Lehrer. Gern wäre sie Schauspiel­erin geworden, doch ihr Vater war strikt dagegen. Seinem Willen folgend ging sie für drei Jahre auf die Handelssch­ule und arbeitete anschließe­nd als Angestellt­e in der Münchner Filiale der Dresdner Bank. Von dem verdienten Geld nahm sie heimlich Tanz- und Schauspiel­unterricht und arbeitete hart daran, sich ihr Lispeln abzutraini­eren.

Mit 20 Jahren spielte sie erstmals kleinere Rollen am Kurtheater in Baden-Baden. Doch sie wollte ein Star werden und setzte auch ihr attrakti- ves Äußeres gezielt dafür ein. Mit Erfolg: Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere galt sie vielen als die schönste Frau Deutschlan­ds. Eine weitere Station ihrer künstleris­chen Laufbahn waren die Münchner Kammerspie­le, das damals innovativs­te Theater der bayerische­n Hauptstadt. Hier erhielt sie endlich reizvoller­e Aufgaben in Stücken von Schnitzler, Strindberg und Wedekind. Außerdem lernte sie in München Bertolt Brecht sowie den Dichter Klabund kennen, der mit bürgerlich­en Namen Alfred Henschke hieß und den sie später heiratete.

Von München führte ihr Weg nach Breslau, wo sie am Theater schnell zum Publikumsl­iebling wurde. In den folgenden zwei Jahren brillierte sie in zahlreiche­n Hauptrolle­n, darunter als Hai-tang in Klabunds »Der Kreidekrei­s«. Fast jeden Abend stand sie auf der Bühne, solange, bis ihr Körper versagte und sie zusammenbr­ach. Gemeinsam mit ihrem lungenkran­ken Mann fuhr sie in die Berge, um Abstand vom Alltag zu gewinnen. Ihr großer Traum war Berlin, mit 25 zog sie dorthin. Sie spielte an verschiede­nen Theatern und verzückte die Kritiker. Schließlic­h wurde sie von Brecht für die Dreigrosch­enoper besetzt. Ihrem Mann ging es derweil so schlecht, dass sie die Proben abbrach und zu ihm in die Schweiz reiste. Bald darauf starb er, und sie kehrte zurück an die Spree. Doch sie war gesundheit­lich schwer angeschlag­en und fehlte daher bei der legendären Premiere des Stücks. Erst später stand sie als Polly auf der Bühne und übernahm diese Rolle auch im Film.

Nach der Machtübern­ahme der Nazis emigrierte die den Kommuniste­n nahestehen­de Schauspiel­erin in die Sowjetunio­n, begleitet von einem rumänische­n Ingenieur, den sie zuvor geheiratet hatte. Sie arbeitete in einer Filmfabrik, schrieb Rezensione­n und fertigte Künstlerpo­rträts an. Außerdem brachte sie einen Sohn zur Welt, den sie zumeist allein versorgte. Noch immer hegte sie die Hoffnung, ihre Karriere als Schauspiel­erin fortsetzen zu können. Doch es kam anders. Kurz nachdem ihr Mann als »trotzkisti­scher Verräter« verhaftet worden war, verschwand auch sie hinter Gittern. Zehn Jahre Haft, lautete das Urteil. Ihren Sohn sah sie nie wieder, er wurde zur Adoption freigegebe­n.

Bis heute ist umstritten, ob Brecht etwas zu ihrer Rettung unternahm. Immerhin bat er den Schriftste­ller Lion Feuchtwang­er, sich bei einem Besuch in Moskau für die Schauspiel­erin zu verwenden. Ob dies geschah, muss offen bleiben. In einem Brief an Brecht erklärte Feuchtwang­er lediglich, dass die Betreffend­e in ein verräteris­ches Komplott ihres Mannes verwickelt gewesen sei. »Details weiß ich nicht«, fügte er hinzu. Längst war ihr Schicksal besiegelt, auch wenn sie selbst fest an ihre Entlassung glaubte. Nach fünf Jahren Haft erkrankte sie schwer an Typhus. Sie kam in eine als Quarantäne­station genutzte Zelle, in der sie mit 41 Jahren starb. Wer war's?

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Foto: nd/Ulli Winkler Der Preis für das aktuelle Rätsel ist »Unverhüllt schön – Aktfotogra­fie aus Osteuropa« (Verlag Das Neue Berlin). Einsendesc­hluss ist der 20.2.

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