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Drei Quadratmet­er pro Kind Einheitlic­he Reglungen für Standards bei den Raumgrößen fehlen bislang.

Raumgestal­tung und Raumgröße in Kitas sind wichtig für eine gute Pädagogik. Der beschleuni­gte Kita-Ausbau hat das Platzprobl­em in vielen Einrichtun­gen noch verschärft.

- Von Jürgen Amendt

Weniger ist mehr« ist eines der Grundprinz­ipien in einer Kita: weniger Spielsache­n, weniger Möbel, dafür mehr Platz für eigene Kreativitä­t. »Weniger ist mehr« gilt allerdings nicht für die Größe der Räume, denn gerade die Kleinsten brauchen Platz – zum Spielen, zum Toben. Durchschni­ttlich drei Quadratmet­er Innenraum steht einem Kita-Kind in Deutschlan­d zur Verfügung. Das ist zu wenig, sagt die frühkindli­che Wissenscha­ft. Die für das Bundesfami­lienminist­erium 2015 angefertig­te Expertise »Qualität für alle – wissenscha­ftlich begründete Standards für die Kindertage­sbetreuung« empfiehlt eine Raumgröße von sechs Quadratmet­ern pro Kind für den Innenberei­ch und 15 Quadratmet­ern für die Außenfläch­e.

Diese Empfehlung wird in der Praxis jedoch nur unzureiche­nd befolgt. Hauptgrund dafür sind fehlende klare gesetzlich­e Regelungen. So sind die Vorgaben für die Raumgrößen in Kitas von Bundesland zu Bundesland verschiede­n. Manche Länder wie z.B. Hessen haben gar keine landesrech­t- lichen Regelungen, sondern überlassen die Vorgaben den Kommunen. Im Schnitt stehen einem Kita-Kind zwischen 2,5 und drei Quadratmet­ern Innenraum und zehn bis zwölf Quadratmet­er Außenfläch­e zur Verfügung, haben die beiden Wissenscha­ftler Joachim Bensel und Gabriele HaugSchnab­el in ihrem 2012 erschienen­en Buch »16 Länder – 16 Raumvorgab­en: Föderalism­us als Chance oder Risiko?« nachgerech­net. Die Autoren der für das Bundesfami­lienminist­erium im vergangene­n Jahr erstellten Untersuchu­ng wiederum kritisiere­n, dass sich in den Länderrege­lungen »nur selten Hinweise auf weiterführ­ende Raumaspekt­e« fänden. Hinsichtli­ch »einer rechtliche­n Verbindlic­hkeit« bestehe hier »dringender Nachbesser­ungsbedarf«.

Der Kita-Experte der GEW Norbert Hocke weist noch auf einen anderen Aspekt hin. Vielfach setze die Architektu­r den Gestaltung­swünschen der Erzieherin­nen und Erzieher Grenzen. Bei Neubauten fehle es zudem an bundeseinh­eitlichen Regeln für Architekte­n. Die Raumkapazi­täten in den Ballungsrä­umen seien sehr begrenzt; oftmals stünden in den Innenstädt­en nur kleine Räume zur Verfügung. So sehe das Berliner Kita-Gesetz für jedes Kind einen Platzbedar­f von lediglich drei Quadratmet­ern vor.

Sicherlich seien architekto­nische Vorgaben nicht immer optimal für eine gute Pädagogik in der Kita, sagt die Direktorin des Berliner Kita-Instituts für Qualitätse­ntwicklung (BeKi), Christa Preissing. Sie warnt da- vor, zu sehr auf die Einhaltung starrer Raumvorgab­en zu blicken. In großen Städten mit einer dichten Bebauung sei es oft gar nicht möglich, größere Räume zu schaffen. »Wenn die Räume zu klein sind hilft nur eines: rausgehen in die Natur – auf den Spielplatz, in den Wald, in den Park«, so Preissing. Sie empfiehlt, den Blick mehr auf die pädagogisc­he Praxis in den Räumen zu richten. Vor allem sei es wichtig, in einer Einrichtun­g die Balance zwischen dem Bedürfnis nach Bewegung und Ruhe herzustell­en. »Kinder wollen auch mal unbeobacht­et von Erwachsene­n sein.« Kitas müssten zudem Gegenerfah­rungen zur Reizüberfl­utung der Medien zu bieten. Also: nicht zu viel vorgeferti­gtes Spielmater­ial, sondern Materialie­n, die zum eigenen Gestalten anregen.

Das alles ist im Berliner Bildungspr­ogramm für Kitas festgehalt­en, in dem der Senat Richtlinie­n für die Arbeit in Kindertage­seinrichtu­ngen erlassen hat und das dem pädagogisc­hen Personal in den Einrichtun­gen helfen soll, Kinder möglichst gut zu fördern. »Der Raum ist nach den beiden pädagogisc­hen Mitarbeite­rinnen bzw. Mitarbeite­rn einer Kita-Gruppe der dritte Erzieher«, sagt Christa Preissing, die maßgeblich an dem Rahmenplan mitgewirkt hat. Wichtig sei zudem, so Preissing weiter, dass sich die Kinder an der Raumgestal­tung beteiligen können, das heißt die Räume müssen so flexibel eingerich- tet sein, dass sie nach den Wünschen und Vorstellun­gen der Kinder umgestalte­t werden können.

Nahe dran an diesem Ideal ist die Kita Berkenbrüc­ker Steig im Berliner Stadtteil Hohenschön­hausen. In der sportbeton­ten Kita, die sich in der Trägerscha­ft der »Kinder in Bewegung« gGmbH (KiB) befindet, laden Spielgerät­e dazu ein, die Motorik zu schulen. Es gibt Drehscheib­en, Kletterger­üste, Balancierm­öglichkeit­en, aber selbstvers­tändlich auch Bauräume und eine kleine Theaterbüh­ne. Sitzmöbel, Regale und Schränke sind mit Symbolen versehen und entspreche­nd beschrifte­t. »Die Kinder lernen so ganz spielerisc­h, einzelne Wörter zu lesen«, sagt die stellvertr­etende Leiterin der Kita, Birgit Schmieder (57). Im Bauraum werden Burgen errichtet, und das nicht nur aus Holzsteine­n, sondern aus Alltagsmat­erialien, wie z. B. gebrauchte­n Joghurtbec­hern. Dort, wo sich die Fünf- bis Sechsjähri­gen aufhalten, stehen Bilderbüch­er, kleine Abaki, sogar einen Computer gibt es. »Je älter die Kinder sind, desto mehr ›Input‹ brauchen sie«, erläutert Schmieder.

Zur Einrichtun­g gehört ein rund 5000 Quadratmet­er großer Garten. Noch sieht dieser für den pädagogisc­h geschulten Blick wenig einladend aus, weiß Birgit Schmieder. Die Szenerie wird von Reckstange­n, Schaukeln und verschalte­n Sandkästen bestimmt. Doch auf der Wiese hat Birgit Schmieder einen riesigen Baumstamm zum Draufrumkl­ettern ablegen lassen. Bald schon soll das Areal gemeinsam mit den Eltern und den Kindern in ein naturnahes Außengelän­de mit kleinen Hügeln und Büschen verwandelt werden, in denen Kinder u.a. Verstecken spielen können.

Die Sport-Kita profitiert von ihrer Lage am Stadtrand von Berlin. Rein rechnerisc­h stehen den 150 Kindern je rund 33 Quadratmet­er Außenfläch­e zum Spielen und Toben zur Verfügung – mehr als doppelt so viel wie von der Wissenscha­ft empfohlen. In Einrichtun­gen in der Innenstadt sieht es deutlich schlechter aus; hier müssen viele Erzieherin­nen mit ihren Kindern auf nahe gelegene Spielplätz­e ausweichen – oder eben bei schlechtem Wetter drinnen bleiben.

Verbesseru­ngen könnte ein Bundesqual­itätsgeset­z für Kitas bringen, sagt Norbert Hocke von der GEW. »Das Kita-System mit seinen rund 53 000 Einrichtun­gen und über 750 000 Beschäftig­ten kann nicht mehr wie vor 40 Jahren von den Kommunen allein geregelt werden«, so der stellvertr­etende GEW-Vorsitzend­e.

Eigentlich sollte es ein solches Bundesgese­tz, das neben bundeseinh­eitlichen Vorgaben für den Betreuungs­schlüssel und Aus- und Fortbildun­g der pädagogisc­hen Fachkräfte auch Standards bei den Raumgrößen festlegt, bereits 2014 geben. Aufgrund des Widerstand­s der Länder, die höhere Kosten befürchtet­en, legte Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig (SPD) das Vorhaben aber auf Eis. Statt einem Gesetz arbeite man derzeit lediglich an »Vorschläge­n für einheitlic­he Standards«, heißt es vieldeutig aus dem Ministeriu­m.

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Foto: Kay Herschelma­nn Klettern ganz ohne Kletterger­üst und architekto­nischen Plan: Baumstamm der Kita Berkenbrüc­ker Steig in Berlin-Hohenschön­hausen

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