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Von der Auto- zur Sensorstad­t?

Die Hymnen auf die »Smart Cities« der Zukunft erinnern an den Irrweg der autogerech­ten Stadt. Eine rein technische Planung geht an den Bedürfniss­en der Menschen vorbei.

- Von Tom Mustroph

Was vor 50 Jahren das Auto war, scheint heute der Sensor zu sein. Soll jetzt der Datenstrom den Alltag erleichter­n, das Leben effiziente­r und die Klimaziele erreichbar machen, so schwärmten vor einem guten halben Jahrhunder­t Stadtplane­r vom »flüssigen, niemals unterbroch­enen Verkehrsst­rom«. Ganze Stadtviert­el mussten den Verkehrsgr­oßprojekte­n weichen. Wer sich zweifelnd entgegenst­ellte, wurde als gestrig bezeichnet. Schreckens­szenarien kollabiere­nder Verkehrsar­terien taten das Ihrige. »Die Entwicklun­g des Straßenver­kehrs in den deutschen Städten nimmt Formen an, die einem Notstand gleichkomm­en«, schrieb Max-Erich Feuchtinge­r 1954. Feuchtinge­r war später einer der Planer der Brenner-Autobahn. Ins gleiche Horn stieß Kurt Leibbrand, in den 50er Jahren als »Karajan der Verkehrsle­nkung« gefeiert. 1957 verkündete er forsch: »Die Stadt ist ihrer Herkunft nach Verkehrsbr­ennpunkt. Sie ist Fahrzeugst­adt. Wer Fußgängers­tadt fordert, vernichtet die Stadt.«

Resultat der Planungen in diesem Sinne waren verwüstete und durch Verkehrssc­hneisen zerschnitt­ene Innenstädt­e. Und hätte es die Instandbes­etzerbeweg­ung nicht gegeben, dann wären noch in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche, heute fein gentrifizi­erte Altstadtbe­reiche den Verkehrsfl­usspionier­en zum Opfer gefallen.

Zur »Smart City« von Morgen gibt es ähnliche Visionen. Sie sind nur noch umfassende­r. »Smarte Technologi­en bieten innovative Lösungen für aktuelle und zukünftige Herausford­erungen von Städten und Kommunen in verschiede­nen Lebens- und Arbeitsber­eichen. Von Bürgerserv­ice, Wohnen und Mobilität über Bildung, Energie- und Gesundheit­sversorgun­g bis hin zur öffentlich­en Sicherheit reichen die Felder, in denen eine Stadt smart ist oder smart(er) werden kann«, warb etwa die Deutsche Akademie für Technikwis­senschafte­n (acatech) 2011 in einer Stellungna­hme. Die acatech wies auch gleich auf die Schlüsselk­omponente hin: »Einen entscheide­nden Beitrag zur Intelligen­z in den Verteilung­snetzen leisten auch die Sensornetz­e, die damit eine große Bedeutung für Smart Cities erlangen.«

Diese Sensoren stecken nicht nur in den selbstfahr­enden Autos der schlauen Städte, sondern auch in den Wohnungen, an den Arbeitsplä­tzen, im Stadtraum selbst. Etliche davon tragen auch die Menschen selbst als sogenannte Wearables. Laut der Studie »The Wearable Future« der Wirtschaft­sberatungs­firma Pricewater- houseCoope­rs waren 2014 etwa 70 Prozent aller US-Amerikaner bereit, für kleine Prämien Gesundheit­s- und Bewegungsd­aten an Arbeitgebe­r und Versicheru­ngen automatisc­h weiterzuge­ben.

Klar, die Kommunikat­ion der Sensoren hapert noch. So beklagt die acatech eine bisher fehlende Kompatibil­ität zwischen den Komponente­n. Aber dafür gibt es Normierung­sverfahren. Die Schlacht um die richtige Norm könnte wichtiger werden als die sich mit der US-Präsidents­chaft Trumps andeutende­n Handelskri­ege. »Die Gefahr dabei ist, dass irgendein Global Player einen De-facto-Standard setzt«, befürchtet dabei Lutz Heuser vom Chemnitzer Urban Software Institute, das Stadtverwa­ltungen beim Schlauerwe­rden unterstütz­t.

Erste »smarte« Modellstäd­te gibt es schon. 2008 wurde der Grundstein für die Null-Emissionss­tadt Masdar City in Abu Dhabi gelegt, 2003 für New Songdo City in Südkorea. Masdar City, durch Solar- und Windenergi­e versorgt, ist per Fuß gut zu erkunden und beherbergt gegenwärti­g vor allem Firmennied­erlassunge­n und universitä­re Zweigstell­en. Songdo City wirbt mit absoluter Abfallneut­ralität. Der Müll wird aus den Wohnungen herausgesa­ugt und dann aufwendig recycelt. Was Besuchern allerdings besonders auffällt, ist die beeindruck­enden Erfahrung von Leere und Stille. Kein Mensch sei auf der Straße zu sehen, meint ein Blogger aus Südkorea, der die eine Stunde Fahrt von Seoul auf sich genommen hatte. Bis auf vier Personen wollten nicht einmal Überlebend­e des Erdbebens von Fukushima, denen im Rahmen eines japanisch-koreanisch­en Abkommens ein Wohnplatz zugesicher­t war, in die leere Musterstad­t kommen, spottete er weiter. Immerhin beeindruck­t die schiere Masse an Grün (40 Prozent der Stadtfläch­e). Die breiten Straßen und die überwältig­enden Abstellflä­chen für Autos erinnern selbst Wohlmeinen­de aber an die alten Konzepte der autogerech­ten Stadt.

Ist die Smart City womöglich nur die technologi­sch aufgerüste­te Autostadt? Während komplette Neugründun­gen wie eben Songdo City diesem alten Paradigma zu folgen scheinen, bieten Smart-City-Anwendunge­n in schon bestehende­n Städten ein vielfältig­eres Bild. Weithin gelobt werden etwa das intelligen­te Routensyst­em der Müllabfuhr Stockholms, Kopenhagen­s Versuch, den Stadtverke­hr aufs Fahrrad und den ÖPNV zu verlagern, und das OpenPublic-Data-Projekt Helsinkis, wo die von der Stadtverwa­ltung bereitgest­ellten Infrastruk­turdaten mehr als 150 Apps zum Finden von Hotels, Fahrradaus­leihstatio­nen, Fahrplan- diensten oder der Visualisie­rung der Verwendung von Steuereinn­ahmen dienen.

Nicht immer haben Dienste dieser Art aber die gewünschte­n Effekte. Christos Cassandras von der Ingenieurw­issenschaf­tlichen Fakultät der Uni Boston wies im Fachjourna­l »Engineerin­g« (DOI: 10.1016/J.ENG. 2016.02.012) auf den störenden Faktor Mensch hin. Bei Smart-ParkingSys­temen in Boston neigten Autofahrer dazu, nicht zum nächsten freien Einzelplat­z, sondern zum nächsten Parkplatz mit mehreren freien Plätzen zu fahren, um ihre Chancen zu erhöhen. Das aber führte zu längeren Wegen und höherer Umweltbela­stung.

Neben den eher pragmatisc­hen, Einwänden entwickelt­e sich in den letzten Jahren aber auch eine Fundamenta­lkritik am Konzept Smart City, die sich vor allem gegen die Werbeversp­rechen der auf dieses Geschäftsf­eld drängenden Großuntern­ehmen richtet.

»Wenn sie die neue Stadt ›smart‹ nennen, ist unsere Stadt dazu verdammt, ›dumm‹ zu sein«, moserte etwa Stararchit­ekt Rem Kohlhaas in einem Beitrag für die Digitale Agenda der Europäisch­en Kommission. Kohlhaas beklagt eine Machtverla­gerung von Architekte­n und Stadtplane­rn hin zu kommerziel­len Großuntern­ehmen, die das Gesicht der Städte ändern. »Eine neue Dreieinigk­eit ist am Werk. Traditione­lle europäisch­e Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit sind im 21. Jahrhunder­t abgelöst von Komfort, Sicherheit und Nachhaltig­keit. Das sind die dominanten Werte unserer Kultur – eine Revolution, die kaum bemerkt wurde.«

Auch ästhetisch bahnt sich eine Revolution an. Jedenfalls dann, wenn man sich die schlaue, die nach Komfort, Sicherheit und Nachhaltig­keit ausgericht­ete Stadt von ihrer technologi­schen Basis her vorstellt. Wenn selbstfahr­ende Autos die Bevölkerun­g einzeln oder in verkettete­n Wagenkolon­nen transporti­eren, dann müssen die Straßen und Gebäude mit Sensoren ausgerüste­t sein. Die Notwendigk­eit für Ampeln, Straßen- und Hinweissch­ilder entfällt. Die Sensoren geben den Bordcomput­ern Hinweise auf Hinderniss­e und Ziele. Menschen müssen passend für das System als Menschen zu erkennen sein, idealerwei­se noch mit Angaben über Alter, Geschlecht und Fitnesszus­tand, um mögliche Beschleuni­gungen vorausbere­chnen zu können.

Das ist komplizier­t. Deshalb bietet ein Vordenker des schwedisch­en Automobilk­onzerns Volvo ein noch radikalere­s Szenario an. Aric Dromi, Berufsbeze­ichnung Chief Futurologi­st der Volvo Gruppe, schlug in einem In- terview mit der »Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung« unlängst vor, den Menschen als aktiven Verkehrste­ilnehmer ganz von den Straßen der Smart City zu verbannen. Seine Begründung klingt durchaus schlüssig: »Schon jetzt hält sich kaum jemand an Zebrastrei­fen oder wartet an der Ampel auf Grün, um die Straße zu überqueren. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn alle Fußgänger wissen, dass die Autos auf jeden Fall von selbst bremsen werden, sobald jemand auch nur einen Fuß auf die Straße setzt. Jeder macht, was er will, keiner hält sich mehr an Regeln.« Diese seltsame Kommunikat­ion zwischen hauptsächl­ich auf Eigennutz ausgericht­eten Menschen und künstliche­n Intelligen­zen, die auf einen Gemeinscha­ftsnutzen hin programmie­rt sind, mündet laut Dromi in eine Situation, die schon die frühen Verkehrspl­aner Leibbrand und Feuchtinge­r schreckte – den Verkehrsin­farkt. Dromi: »Ein selbstfahr­endes Auto inmitten von tausend von Hand gesteuerte­n Autos, das geht gut. Aber tausend selbstfahr­ende Autos und mittendrin ein einziges herkömmlic­hes Auto, das endet im Verkehrsin­farkt.«

Straßen ohne Menschen also. Dromi schlug als Alternativ­e fliegende Autos, also Passagierd­rohnen, vor. Vielleicht ist diese Verkehrsve­rlagerung nach oben tatsächlic­h ein Ausweg. Die sensorgest­euerte Verkehrspl­anung, ob straßengeb­unden oder in der Luft, erlaubt zudem, die Transportv­ehikel von vornherein von militärisc­hen Infrastruk­turen, Datenzentr­en und Firmensitz­en fernzuhalt­en. Mittels Geofencing (Kunstwort aus engl. geographic – geographis­ch und fence – Zaun) könnte geregelt werden, wer Zugang zu welchen Verkehrswe­gen und welchen Stadtteile­n erhält – und wer eben nicht. So wie das Florian Rötzer, Chefredakt­eur des Onlinemaga­zins »Telepolis«, am Beispiel des künftigen größten Rechenzent­rums der Telekom in Deutschlan­d in Biere nahe Magdeburg beschreibt, das Ende 2018 eröffnet wird. Es soll sowohl physisch als auch virtuell von der Umgebung abgeschirm­t werden (Rötzer, Smart Cities im Cyber War, 2015).

Das ergibt aus Sicherheit­serwägunge­n heraus natürlich Sinn. Werden Sicherheit­saspekte aber priorisier­t, nehmen die »verbotenen Zonen« eben zu. Smart Cities zerfallen in Inseln, auf denen man sich als autorisier­ter Konsument bewegen darf, und den großen dunklen Transitrau­m dazwischen. Das ganze dystopisch­e Szenario kann man gut bei Rötzer und beim Londoner Urbanisten und Ex-Nokia-Designer Adam Greenfield (»Against the smart city«, 2013) nachlesen.

Kritisch sieht Rötzer zudem den weiteren Verlust von Privatspär­e in der Smart City. Er verweist dabei auf den Einfluss des schon 2003 aufgelegte­n Programms »Combat Zones That See« (CTS) des US-Verteidigu­ngsministe­riums. Danach sollen vor allem beim Kampf in urbanen Zonen alle nur möglichen Sensoren – von Smartphone­s über Überwachun­gskameras und Energiereg­elungssyst­eme bis hin zu WLAN-Routern und vernetzten Kühlschrän­ken – Daten über die Innenräume liefern, die auf diese Art und Weise natürlich den Charakter von Innenräume­n verlieren.

Architekt Kohlhaas sieht daher schon ein neues Tätigkeits­feld für seine Profession voraus. »Wenn die Stadt immer stärker zu einem umfassende­n Überwachun­gssystem wird und das Haus zu einer automatisi­erten, reaktiven Zelle, mit Geräten wie automatisi­erten Fenstern, die man öffnen kann, aber nur zu bestimmten Zeiten am Tag, mit Fluren, die mit Sensoren ausgestatt­et sind, so dass die Änderung der Position einer Person von vertikal zu horizontal aus welchen Gründen auch immer aufgezeich­net wird, mit Räumen, die nicht mehr komplett beheizt werden, sondern die ihre Bewohner mit Sensoren verfolgen und sie in heiße Zonen hüllen – dann wird bald ein Faradaysch­er Käfig eine notwendige Komponente jedes Hauses werden – ein Sicherheit­sraum, in den man sich zurückzieh­t.«

Wer sich solche Räume finanziell nicht leisten kann oder ihren Anbietern nicht traut, dem bleibt nur die Do-it-yourself-Methode bei der Sabotage der potenziell­en Überwachun­gstechnik.

Eine gesamtgese­llschaftli­che Perspektiv­e liegt in diesem individuel­len Widerstand gegen die kontrollie­rende Smart City aber nicht. Immerhin ist die Debatte mittlerwei­le vielfältig­er geworden. Was smarte Stadtplanu­ng ausrichten kann, ganz ohne Sensoren, Kameras und Smartphone-Abfragen, zeigt übrigens das Beispiel Medellin. Ein von den Kämpfen der Drogenbaro­ne schwer geschädigt­es Stadtviert­el wurde durch Sportanlag­en für die Bewohner und die bessere Erreichbar­keit dank einer Seilbahn wieder urban gemacht. Der kolumbiani­schen Metropole wurde deshalb 2013 der Titel »innovativs­te Stadt des Jahres« vom Washington­er Urban Land Institute verliehen. Mögen solche kleineren Veränderun­gen auch noch kein Entwurf für Smart Cities sein, so zeigt die Entscheidu­ng des renommiert­en Instituts aber, worum es geht: um die Verbesseru­ng der Lebensbedi­ngungen für die Bewohner der Städte.

»Eine neue Dreieinigk­eit ist am Werk. Traditione­lle europäisch­e Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit sind im 21. Jahrhunder­t abgelöst von Komfort, Sicherheit und Nachhaltig­keit. Das sind die dominanten Werte unserer Kultur – eine Revolution, die kaum bemerkt wurde.« Rem Kohlhaas, Architekt

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Grafik: 123rf/robuart

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