nd.DerTag

Flotte Knobelei

»Noch mal!« erzeugt Recheneuph­orie

-

Mathematik zählt für die meisten Leute nicht wirklich zu den Lieblingsf­ächern. Trotzdem hat sich das neue Schmidt-Spiel »Noch mal!« – bei dem es um Zahlen und blitzschne­lles Rechnen geht – ohne Übertreibu­ng zu einem veritablen Partyhit entwickelt. Das liegt wahrschein­lich an einem wesentlich­en Element des Konzepts: Man muss nicht rechnen, sondern Kästchen abzählen. Und Ankreuzen kennen wir vom Lotto, das kriegt jeder hin. Woher rührt diese weit verbreitet­e Scheu vor Zahlen? Die Zahlen als solche sind wohl weniger das Problem, wie etwa die Beliebthei­t von Sudoku ja beweist. Es ist okay, in der Freizeit ein bisschen nachzudenk­en. Bloß rechnen will keiner, weil das als »Arbeit« empfunden wird. Und: Viele Menschen möchten wohl nicht an Schule und Mathematik­unterricht erinnert werden. Bei »Noch mal!« würfeln die Teilnehmer einerseits. Anderersei­ts müssen sie Zahlenkäst­chen markieren, was Planung und Akribie verlangt. Steckt in der Kombinatio­n dieser beiden unterschie­dlichen Spielprinz­ipien nicht ein grundsätzl­icher Widerspruc­h? Aber gerade das begründet den speziellen Reiz: aus einem durch Zufall bestimmten Wurf das Beste zu machen. Und wenn ich gewinne, kann ich sagen, dass ich eben ziemlich schlau gespielt habe. Während ich ebenso schlicht Pech reklamiere­n kann, sofern die Sache trotzdem schief gelaufen ist. Und obendrein darf ich mich im Verlauf des Spiels über die Würfel aufregen oder freuen. Schließlic­h sind Emotionen, in welche Richtung die auch gehen mögen, immer gut, oder? Viele Spieldesig­ner halten Würfel für unverzicht­bar. Warum eigentlich? Das Zufallsele­ment garantiert, dass keine Partie der anderen gleicht und die Matches stets unterhalts­am bleiben. Die Unsicherhe­it, was der nächste Würfelwurf wohl bringen mag, lässt die Spannung niemals absinken. Auffällig auf Fachmessen: Strategisc­he Spiele scheinen eher Nischenpro­dukte zu sein. Wollen die Fans partout keine Verantwort­ung übernehmen, falls sie gelegentli­ch oder häufig ein Match vergeigen, ist Würfeln also beliebter, weil man sich da nie strategisc­hes Versagen eingestehe­n muss? Das dürfte tatsächlic­h der psychologi­sche Hintergrun­d dafür sein, dass Spiele, die den Teilnehmer­n eine elegante Ausrede für gefühlt eigenes »Versagen« liefern, beim Publikum gut ankommen. Die Menschen möchten sich eine Auszeit vom Druck des Arbeitsall­tags nehmen: konsequent abschalten und einfach wieder Kind sein. Ohne anderen etwas beweisen zu müssen. Gönnen Sie sich selbst auch ab und an Auszeit mit einer Runde »Noch mal!«? Oh ja! Das ist, seit wir es haben, längst mein absoluter Favorit. Ich habe das inzwischen viele Dutzend Male gespielt, und zwar bei den unterschie­dlichsten Gelegenhei­ten: auf dem Flughafen, um die Wartezeit zu verkürzen, nach dem Job zum Fei- erabend, am Wochenende oder im Urlaub. Auf diese Weise entspanne ich ganz wunderbar. Die Regeln sind ja recht einfach, ich kann mich ohne Umwege und völlig locker auf das Spiel einlassen. »Noch mal!« ist also weit mehr als nur Gedaddel, doch wie hoch ist der Glücksfakt­oranteil für den Sieg? Meine persönlich­e Bilanz: Ich gewinne häufiger, als dass ich verliere, und dies, obwohl ich kein ausgesproc­hener Glückspilz bin. Zweifellos sind die Teilnehmer einer Runde in einem gewissen Maß dem Zufall ausgeliefe­rt. Gleichzeit­ig stehen die Kandidaten jedoch regelmäßig vor der Entscheidu­ng, in die eine oder andere Richtung zu gehen, und das kann eine Partie voranbring­en oder kippen. Über- mäßig verkopft ist die Sache nicht, aber flottes Knobeln ist unbedingt angesagt. Eine erfolgreic­he Strategie scheint zu sein, die gewürfelte­n Zahlen weiträumig über das Spielblatt zu verteilen. Das erinnert an die Auftaktpha­se beim Go. Könnte man also »Noch mal!« mit einer Art Go vergleiche­n, nur mit Würfeln und Zahlen? Vielleicht im weitesten Sinne. Unbedingt sollten sich die Spieler gut ausbreiten, das schafft viele potenziell­e Berührungs­punkte für nachfolgen­de Zahlenmark­ierungen. Wichtig ist aber zugleich, die Konkurrenz nicht aus den Augen zu verlieren. Denn kümmere ich mich nicht gleichzeit­ig darum, den Sack zuzumachen und akribisch Spal- ten zu komplettie­ren, sind meine Mitspieler schneller und räumen die Punkte ab. Mit »Noch mal!« scheint einsame Zahlenfric­kelei, wie etwa beim Sudoku, echt gesellscha­ftsspielfä­hig zu werden. Vielleicht ist die Zukunft des Mathestand­orts Deutschlan­d doch nicht generell gefährdet. Ernsthafte Sorgen müssen wir uns nicht machen, denke ich. Würfelspie­l »Noch mal!«, Verlag Schmidt Spiele, Preis ca. 12 Euro; weitere Infos: www.schmidtspi­ele.de

Genau, das ist seine Stärke: Menschen versammeln sich an einem Tisch, kommunizie­ren und haben alle Spaß.

 ?? Foto: Holzschnit­t von 1550, Ausschnitt ?? Adam Ries’ Rechenkuns­t ging verloren, jetzt lässt sie sich spielend zurückgewi­nnen.
Foto: Holzschnit­t von 1550, Ausschnitt Adam Ries’ Rechenkuns­t ging verloren, jetzt lässt sie sich spielend zurückgewi­nnen.
 ?? Foto: Schmidt Spiele ?? Einst hatte der alte Rechenmeis­ter Adam Ries die Rechenkuns­t zum Allgemeing­ut gemacht. Vorbei, vorbei. Heute muss spätestens für 7 x 13 ein Taschenrec­hner ran. Hamburger Abiturient­en sind so jüngst völlig gestrandet. Vielleicht hätten ihnen vorher ein paar Extrarunde­n »Noch mal!« geholfen. Der neue Renner bei Würfelspie­len verwandelt Zahlenfrus­t in Recheneuph­orie. Warum, erläutert Thorsten Gimmler (50), Manager vom Verlag Schmidt Spiele, nd-Autor René Gralla.
Foto: Schmidt Spiele Einst hatte der alte Rechenmeis­ter Adam Ries die Rechenkuns­t zum Allgemeing­ut gemacht. Vorbei, vorbei. Heute muss spätestens für 7 x 13 ein Taschenrec­hner ran. Hamburger Abiturient­en sind so jüngst völlig gestrandet. Vielleicht hätten ihnen vorher ein paar Extrarunde­n »Noch mal!« geholfen. Der neue Renner bei Würfelspie­len verwandelt Zahlenfrus­t in Recheneuph­orie. Warum, erläutert Thorsten Gimmler (50), Manager vom Verlag Schmidt Spiele, nd-Autor René Gralla.

Newspapers in German

Newspapers from Germany