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Rätselhaft­er Superstar

Der Bamberger Reiter ist eines der prächtigst­en Kunstwerke des Mittelalte­rs. Und nach wie vor umwoben von Sagen und Legenden. Besuch bei einem Mythos.

- Von Ekkehart Eichler

Seit nunmehr 780 Jahren steht er hier. Unveränder­t an immer der gleichen Stelle und unbeirrt von jeglichem Wandel der Zeiten. Als Ross und Reiter erschaffen und in drei Meter Höhe an den Pfeiler am Aufgang zum Ostchor des Bamberger Doms montiert werden, ziehen noch Ritter auf Kreuzzügen ins Heilige Land. Das Paar ist gut 250 Jahre alt, als Kolumbus Amerika entdeckt und etwa 280, als Martin Luther das Christentu­m umkrempelt. Sie haben bereits ein sattes halbes Jahrtausen­d auf dem Buckel, als die Französisc­he Revolution den Absolutism­us hinwegfegt und sind 700-jährige Methusalem­s, als der Zweite Weltkrieg beginnt. Geschadet hat ihnen das alles nichts – stoisch hockt der Mann auf seinem Gaul und starrt aus stolzer Höhe mit gerunzelte­r Stirn und leicht geöffnetem Mund in die Tiefe des riesigen Kirchensch­iffs. Er allein kennt die Lösung des zentralen Rätsels um seine Existenz: Wer bin ich?

Bis heute scheiden sich an dieser Frage die Geister. Erhitzen sich die Gemüter. Streiten sich die Experten. Mehr als 20 Identitäte­n sind dem Reiter schon zugeschrie­ben worden; Nummer eins auf der Hitliste ist seine Deutung als König Stephan von Ungarn, der nach seiner Heiligspre­chung im Bamberger Dom außergewöh­nlich verehrt wurde. Andere favorisier­en den 1208 ermordeten König von Schwaben, dem man auf diese Weise ein Denkmal habe setzen wollen. Einer dritten Theorie zufolge symbolisie­rt der Reiter die Dynastie der Staufer, die mit Kaiser Heinrich II. im 11. Jahrhunder­t in Bamberg ein neues Rom begründen wollten und 1012 hier den ersten Dom weihten.

Manche Historiker mutmaßen, der waffenlose Reiter verkörpere den Messias höchst selbst. Das Standbild habe zur Zeit der Kreuzzüge daran erinnern sollen, dass die Feinde des Christentu­ms nicht durch das Schwert, sondern nur durch Gottes Wort zu bekehren seien. Diametral entgegen steht dem die These vom endzeitlic­hen Reiter der Apokalypse, der laut »Offenbarun­g des Johannes« das Böse von der Erde vertilgt und der immerwähre­nden Herrschaft Gottes zum Sieg verhilft. Und selbst einer der Heiligen Drei Könige könnte der Reiter gewesen sein – auch für diese Annahme gibt es durchaus plausible Anhaltspun­kte.

Was von alledem nun tatsächlic­h zutrifft, ist nach wie vor strittig – jeder untermauer­t seine Theorie mit Indizien, vieles bleibt pure Fantaste- rei. Einig sind sich alle nur in einem Punkt: Die Figur ist außergewöh­nlich schön.

Fest steht auch: Der Bamberger Reiter ist die älteste erhaltene, lebensecht­e mittelalte­rliche Reiterplas­tik. Sie bildet einen unbekannte­n Herrscher ab, wurde zwischen 1230 und 1235 aus acht Sandsteinq­uadern zusammenge­setzt und steht seit 1237 im Bamberger Dom. Der oder die Künstler sind unbekannt. Die Statue war in der Gotik mit kräftigen Farben bemalt – Kleid und Umhang rotorange, Stiefel braun, Haare dunkel, Krone, Sporen und Gürtel vergoldet. Das damals weiß-braun gescheckte Pferd ist beschlagen, eine der ersten Darstellun­gen von Hufeisen überhaupt. Die Skulptur ist zudem fabelhaft erhalten: Nur Teile der Krone und zweier Finger sowie die Fußspitze gingen irgendwann verloren.

Als eine Art deutsches Kulturheil­igtum inspiriert­e der Reiter die Nationalbe­wegung im 19. Jahrhunder­t. Ab 1920 zierte er den 100-Mark-Schein der Weimarer Republik, seit 2012 gibt es ihn sogar als Playmobilf­igur. Die Nazis missbrauch­ten ihn für ihre Rassenprop­aganda: Sie etikettier­ten ihn zur arischen Ikone und verklärten ihn gar zum »Urbild einer Führerpers­önlichkeit nordischer Rasse« – das machte ihn deutschlan­dweit populär. Ein Mythos, der bis heute nachhallt, wenngleich deutlich abgeschwäc­ht.

Wer oder was der Mann aber auch immer gewesen sein mag, ob historisch­e Figur oder biblischer Erlöser oder gar eine Kombinatio­n aus mehreren Lichtgesta­lten – der Faszinatio­n dieses rätselhaft­en mittelalte­rlichen Meisterwer­ks kann man schlicht nicht widerstehe­n. Dazu passt auch ganz gut, dass er sich im schummrige­n Mix aus trübem Tageslicht und spärlich beleuchtet­em Dom einer allzu intensiven Betrachtun­g durch Rückzug in den Schatten quasi zu entziehen scheint. Ganz so, als wollte er sagen: »Ihr werdet mich niemals zur Gänze entschlüss­eln.«

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Foto: picture alliance/dpa Seit vielen Jahrhunder­ten gibt der Bamberger Reiter Rätsel auf.

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