Die Machtergreifung der Frau
Männerrechtler wildern getarnt in linken und liberalen Milieus, füttern aber die rückwärtsgewandte geschlechterpolitische Programmatik der AfD.
Sie nennen sich »Forum Soziale Inklusion«, »Geschlechterpolitische Initiative« oder »Arbeitsgemeinschaft zur Verwirklichung der Geschlechterdemokratie« (Agens): Die Namen ihrer Zusammenschlüsse klingen harmlos oder sogar aufklärerisch. Doch die dahinter steckenden Gruppen sind Wölfe im Schafspelz: Es handelt sich, oft gut getarnt, um rechtspopulistische Frauenhasser und Anti-GenderAktivisten. Sie reden von »Freiheit«, »Zivilgesellschaft« oder einer »neuen Bürgerbewegung« – doch auf ihren Webseiten und vor allem in deren Kommentarspalten wird deutlich, in welch trüber Brühe die Mitglieder und Anhänger dieser Vereinigungen schwimmen. Mit verschleiernden und umgedeuteten Begriffen wildern sie, mal mehr, mal weniger erfolgreich, in progressiven Milieus.
Die Strategien der Intervention sind vielfältig. Antifeministische Männerrechtler versuchen zum Beispiel, mit seriösen, aber zunächst schlecht informierten Institutionen bei Veranstaltungen zu kooperieren – so geschehen 2011 in einer der größten außeruniversitären Sozialforschungseinrichtungen Deutschlands, dem Wissenschaftszentrum Berlin. Sie versuchen, Politiker aller Parteien zu wohlwollenden Grußworten auf ihren Tagungen zu animieren – so 2014 bei einem »GenderKongress« in Nürnberg, der in seinen Kernbotschaften eher ein Anti-Gender-Kongress war. Oder sie versuchen, linksliberale Publikationen als Einfallstor zu nutzen – so etwa den Psychosozial-Verlag.
Das Gießener Medienhaus ist einst im Umfeld des friedensbewegten Analytikers und Sozialphilosophen Horst-Eberhard Richter entstanden, eines integren und des Rechtspopulismus vollkommen unverdächtigen Moralisten. Umso erstaunlicher, dass Psychosozial 2009 dem Sammelband »Befreiungsbewegung für Männer« eine öffentliche Bühne bot. Die dort versammelten Autoren fühlten sich diskriminiert durch einen angeblich staatlich geförderten Feminismus – und stilisierten das männliche Geschlecht zum benachteiligten Opfer in allen Lebenslagen. Sie fantasierten im Stil einer Verschwörungstheorie von der »Machtergreifung der Frau«, schimpften über »Umerziehungsaktionen« eines »neuen Tugendstaats« und beklagten die »systematische Täuschung durch die politische Kaste«.
Aus dem Kreis der Verfasser bildete sich kurz nach der Veröffentlichung der maskulinistische Verein »Agens« – die schon erwähnte, angeblich »geschlechterdemokratisch« orientierte Arbeitsgemeinschaft. Ein Teil der damaligen Buchbeiträge leistete, in der Rückschau betrachtet, Vorarbeiten für die heutige Programmatik der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). So ist es kein Zufall, dass die »geschlechterpolitische Initiative« MANNdat im Sommer 2016 auf ihrer Homepage ein Interview mit einem damals gerade gewählten AfD-Abgeordneten im Landtag von Sachsen-Anhalt veröffentlichte, dem Sprecher der »Patriotischen Plattform«, Hans-Thomas Tillschneider. In ihrer Abneigung gegen das »ideologisch verblendete« Feindbild Gender Mainstreaming waren sich Fragesteller und Gesprächspartner bemerkenswert schnell einig.
Der Gießener Psychosozial-Verlag hat jetzt einen weiteren Sammelband zum Thema herausgebracht. Die von dem österreichischen Therapeuten Josef Christian Aigner verantwortete Anthologie »Der andere Mann« kann als Versuch gewertet werden, das durch das Vorgängerbuch ramponierte Image eines nach wie vor eher linksliberal orientierten Hauses aufzupolieren. Die meisten Texte sind deutlich moderater formuliert, doch in manchen Passagen schimmern erneut die bekannten Vorbehalte gegen Gleichstellung und einen nach dieser Lesart dominierenden »Genderismus« durch. Es überwiegt allerdings das tatsächlich dialogische, auf Kooperation mit Frauen ausgerichtete Element.
Herausgeber Aigner hat sich als Professor für Bildungswissenschaften an der Universität Innsbruck mit seiner Forschung zum Thema »Männer in der pädagogischen Arbeit mit Kindern« profiliert. Er will, so heißt es im Vorwort, »neugierig machen auf einen anderen, positiv gefärbten, unterstützenden und vertrauensvollen Blick auf Männer«. Diese Perspektive sei »uns in Feuilleton, Alltagsdiskussionen und auch in der Sozialwissenschaft weitgehend abhanden gekommen«. Er diagnostiziert eine pauschale gesellschaftliche Abwertung alles Männlichen, die sich zum Beispiel in der Formulierung vom »miserablen Geschlecht« ausdrücke.
Aigner liefert interessante Gedanken, verknüpft sie aber immer wieder mit Seitenhieben gegen die pauschal so bezeichnete »Gender-Theorie«. Es wäre nicht nötig gewesen, sich dabei ausgerechnet auf den »Zeit«und »Tagesspiegel«-Autor Harald Martenstein zu berufen. Der Kolumnist schreibt seit Jahren in ironischem Tonfall über Geschlechterfragen, gefällt sich in der Rolle des augenzwinkernden Kulturkritikers und »politisch unkorrekten« Besserwissers. Genauso überflüssig ist der Bezug auf den Soziologen Walter Hollstein. Der emeritierte Professor an der Freien Universität Berlin ist, trotz einstiger Verdienste für die männerpolitische Debatte, längst in das maskulinistische Lager abgedriftet.
Der neue Sammelband »Der andere Mann« ist weniger einseitig als der alte, es finden sich durchaus interessante Blickwinkel. So schreibt der Tübinger Pädagoge Reinhard Winter differenziert und trotzdem parteilich über »Jungen und ihre Problemlagen«. Ivo Knill will das »Erzählen unter Männern« befördern – was die von ihm lange verantwortete Schweizer »Männerzeitung« mal mehr, mal weniger gelungen in die Tat umsetzt. Hans Prömper beschreibt »Männerbildung als AndersOrt«, Eduard Waidhofer berichtet unter dem Titel »Männer leiden anders« über seine Erfahrungen mit Beratungsstellen, Peter Stöger und Johannes Berchtold nähern sich dem Gender-Thema aus theologischer und philosophischer Sicht.
Eine zentrale Positionierung bildet das Plädoyer von Markus Theunert für eine »andere Geschlechterpolitik«. Der Züricher Autor und langjährige Präsident des Dachverbandes »männer.ch« aktualisiert auf anschauliche Weise die bereits in seinen Büchern »Männerpolitik« und »Co-Feminismus« entwickelten Konzepte. Er wünscht sich ein Bündnis profeministischer und emanzipatorischer Strömungen in der Männerbewegung – und bezieht in diese »progressive Allianz« auch die dialogbereiten, nicht verbitterten Teile jener Organisationen ein, die sich für die Rechte von Trennungsvätern einsetzen.
Der Psychosozial-Verlag sollte sich bei der Auswahl seiner Publikationen und Autoren künftig auf das so eingegrenzte Spektrum beziehen – und für rückwärtsgewandte Männerrechtler kein Forum mehr bereitstellen. Das wäre, gerade in der derzeit polarisierten politischen Konstellation, sicher auch ein Anliegen des vor gut fünf Jahren verstorbenen Spiritus Rector Horst-Eberhard Richter.
Das männliche Geschlecht wird zum benachteiligten Opfer in allen Lebenslagen stilisiert.
Josef Christian Aigner (Hrsg.): Der andere Mann. Ein alternativer Blick auf Entwicklung, Lebenslagen und Probleme von Männern heute. PsychosozialVerlag, Gießen, 256 S., 24,90 €.