Sassnitz erinnert sich an Lenin
In der Bibliothek der Hafenstadt auf Rügen informiert eine kleine Ausstellung über den berühmten Kurzbesucher
Vor 100 Jahren machten Lenin und Genossen auf ihrer Bahnreise aus dem Schweizer Exil nach Petrograd kurz Zwischenstation in Sassnitz auf Rügen. Daran erinnert derzeit eine Ausstellung in der Hafenstadt.
Das Haupt des Lenin genannten Revolutionärs Wladimir Iljitsch Uljanow, von irgendwem mit roter Farbe beschmiert, ruht in Sassnitz, vor der Öffentlichkeit verborgen, auf einem Hof der Stadtverwaltung. Bis zur Wende hatte der Granitkopf von einem Sockel nahe der Grundschule geblickt. Ähnlich wie jener Büste erging es einem Gedenkstein, der an Uljanows Kurzaufenthalt in der Hafenstadt im Norden Mecklenburg-Vorpommerns erinnerte. Von deren Mitte musste er umziehen auf ein Areal na- he der Hängebrücke. Dort wird es kaum beachtet, wirkt ungepflegt. Das dritte Objekt einstigen Lenin-Gedenkens in Sassnitz, eine Replik des Reisewaggons, ist völlig verschwunden aus der Stadt. Sie schaut nun – nach längerer Lenin-Pause – wieder ganz offiziell mit einer Ausstellung zurück auf den berühmten Kurzbesucher.
Am 11. April 1917 waren Lenin, seine Ehefrau Nadeschda Krupskaja und auch seine Geliebte Inessa Armand zusammen mit 32 Revolutionären per Zug in Sassnitz angekommen. Eine lange Fahrt aus dem Schweizer Exil, quer durch Deutschland im verplombten Waggon, lag hinter ihnen. Von Rügen aus startete Lenin schon am Tag nach der Ankunft mit einer Fähre in Richtung Schweden, erreichte von dort – wieder per Bahn – über Finnland sein Ziel, das russische Petrograd – zum Befeuern der Revoluti- on. Für die DDR war die Stippvisite immer wieder Anlass, Sassnitz mit dem Namen Lenin zu verbinden. Eine Straße wurde nach ihm benannt, auch eine Schule. Büste und Denkmal kamen hinzu, und am 25. Oktober 1977 fand die Lenin-Verehrung auf der deutschen Insel ihren Höhepunkt. »Unter den Klängen der Internationale«, so berichtete »nd« seinerzeit, wurde die »Lenin-Gedenkstätte« eingeweiht: ein Nachbau jenes Waggons, in dem der Revolutionär seinerzeit Sassnitz erreicht hatte. Na- mens der Partei und der Staatsführung der DDR pries Ernst Timm, ZKMitglied und Rostocker SED-Bezirkschef, die Verdienste Lenins, betonte wortreich die Freundschaft zur UdSSR, die durch ihren Botschafter Pjotr Abrassimow vertreten war. »Wir Sowjetmenschen empfinden diese Gedenkstätte als ein weiteres Geschenk zu unserem Feiertag, dem Großen Roten Oktober«, so würdigte der Diplomat die Waggon-Replik. Was aus dem Original wurde, in dem Lenin und seine Begleitung saßen, ist bis heute unbekannt geblieben.
Bekannt dagegen ist der Verbleib der Nachbildung. Nach der Wende wollte man »das kleinste Lenin-Museum der Welt«, wie der Waggon auch genannt wurde, in Sassnitz nicht mehr haben. Er kam nach Nürnberg ins Eisenbahnmuseum. Doch auch da war seine Fahrt noch nicht nicht zu Ende. Die Deutsche Bahn holte ihn im Jahr 2005 nach Potsdam zur DB-Akademie im ehemaligen Kaiserbahnhof nahe bei Schloss Sanssouci. Antikapitalistisches ist seither nicht mehr Thema in den Abteilen des Waggons; eher das Profitdenken, tagen doch dort Führungskräfte des Bahnkonzerns. Der Öffentlichkeit bleibt ein Besuch des Wagens verwehrt.
Erinnerungsstücke aus dem einstigen Waggon-Museum sind zurzeit in der Sassnitzer Stadtbibliothek zu sehen. Wimpel und Bilder beispielsweise, Gästebücher, in die sich Waggonbesucher eingetragen haben. Schautafeln informieren zudem über die Reise Uljanows, die er kurz unterbrach in Sassnitz.
Heute wird die WaggonReplik von Führungskräften der Deutschen Bahn genutzt.
Ausstellung »Auf Lenins Spuren in Sassnitz«, noch bis zum 18. April in der Stadtbibliothek, Hauptstraße 34, geöffnet Mo 9 bis 12 und 13 bis 16 Uhr, Di und Do 9 bis 12 und 13 bis 18 Uhr, Fr und Sa 9 bis 13 Uhr.