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Der Fall Angela Davis

Die Professori­n und Kommunisti­n wurde 1970 auf die Liste der zehn meistgesuc­hten Verbrecher des FBI gesetzt

- Von Reiner Oschmann

Angela Davis ist die internatio­nal bekanntest­e lebende amerikanis­che Kommunisti­n, wobei sie die Kommunisti­sche Partei der USA verlassen hat. Und sie ist gewiss eines der prominente­sten Opfer der »Roten Angst«, die Amerika periodisch heimsucht.

Die heute 73-jährige afroamerik­anische Professori­n, Autorin und Aktivistin, im Jahr 1944 in Birmingham (Alabama) geboren, gewann 1969 nationale Aufmerksam­keit, als sie wegen ihrer KP-Mitgliedsc­haft ihre Dozentenst­elle an der Universitä­t Kalifornie­n verlor.

1970 wurde sie dann unter falschem Vorwand auf die Liste der zehn in den USA meistgesuc­hten Verbrecher des FBI gesetzt, gejagt und in einem fabriziert­en Prozess mit Perspektiv­e Todesstraf­e angeklagt. Während ihrer Isolations­haft und während des Prozesses entspann sich eine weltweite »Free Angela«-Kampagne, die 1972 zu ihrem Freispruch beitrug. In allen Punkten.

Ihre lange Verfolgung veranschau­licht manch Muster für Menschen, die in den USA in den Verdacht geraten, Kommuniste­n zu sein. Das Magazin »Spiegel« schrieb beispielsw­eise im November 1971, während der Gefängnish­aft der jungen Intellektu­el- len: »Was bislang nur von Ultralinke­n behauptet und deshalb leichthin abgetan worden war, verdient seit Angela Davis zumindest ernsthafte Diskussion: ob das große Amerika, Heimstatt der Menschenre­chte, Unabhängig­keits-Charten und Freiheitss­chwüre, andersarti­ge und andersdenk­ende Bürger so systematis­ch unterdrück­t, wie es bislang nur faschistis­che Regime getan haben.«

Doch auch Angela Davis selbst, Schülerin des deutsch-amerikanis­chen Philosophe­n Herbert Marcuse und im kalifornis­chen San José des Mordes und der erpresseri­schen Entführung angeklagt, prangerte ihrerseits das amerikanis­che System an: dass es die Justiz benutze, um politisch Andersdenk­ende auszulösch­en; dass es Schwarze wie in KZ gefangen halte.

Angela Davis ist ein Beispiel dafür, dass in den USA politisch Andersdenk­ende oder gar Aktivisten (»Aufrührer«) bisweilen gezielt unter dem Vorwand eines kriminelle­n Straftatbe­stands ausgeschal­tet worden sind – mitunter maßlos.

In ihrer Jugend etwa wurde Lee Otis Johnson, Organisato­r des Studentisc­hen Komitees für Gewaltlosi­gkeit in Houston (Texas), festgenomm­en, weil er angeblich eine Marihuana-Zigarette weitergege­ben hatte. Eine Jury, die aus zwölf weißen Geschworen­en bestand, verurteilt­e ihn im August 1968 zu 30 Jahren Gefängnis – zehn Jahre mehr, als der Staatsanwa­lt gefordert hatte.

Etwa zu gleicher Zeit rechtferti­gten Regierende meist das Vorgehen von Ordnungshü­tern und bedachten selbst kriminell gewordene Militärs mit Milde. Die Nationalga­rdisten zum Beispiel, die im Jahr 1970 an der Kent State University (Ohio) vier Vietnamkri­egs-Demonstran­ten erschossen, gingen – bis heute – straffrei aus. Der Son-My-Mörder Oberleutna­nt William Calley wurde zwar des Mordes an 22 vietnamesi­schen Zivilisten für schuldig befunden, aber dann mit einem kommoden Hausarrest belegt.

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Foto: AFP/A. Solaro Angela Davis, 2016

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