»Wir haben gejubelt wie die Ochsen«
Folge 118 der nd-Serie Ostkurve: Amiga-Chef René Büttner veröffentlichte 1986 eine Union-Platte – und bekam dann bösen Besuch vom BFC
In diesem Jahr wäre das DDRSchallplattenlabel Amiga 70 Jahre alt geworden. Nach der Auflösung im Jahr 1994 wird das das Repertoire von mehr als 30 000 Titeln derzeit von Sony Entertainment Music vermarktet. war von 1978 bis 1988 Chefredakteur des staatlichen Labels. Zu den Raritäten bei Amiga gehören die wenigen Veröffentlichungen von Fußballmusik. Im Gespräch mit erzählt Büttner, wie eine Kompetenzüberschreitung zur einzigen Vereinsplatte in der DDR führte, warum vor dieser Union-EP schon ein Dresdner Dynamo-Song gepresst wurde und es nie zu einer BFC-LP gekommen ist.
René Büttner Gunnar Leue Welche Rolle spielte Fußballmusik für das Label Amiga in der DDR? Eigentlich gar keine.
Im Westen erschienen in den Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahren teilweise sehr erfolgreiche Fußballplatten. Haben Sie da nie rüber geschielt und Ähnliches versucht? Vor allem die Platten mit der westdeutschen Nationalmannschaft waren natürlich bekannt und Amiga hatte ja zur WM 74 auch ein Lied mit Frank Schöbel rausgebracht. Aber zu meiner Zeit spielte Fußball für Amiga keine Rolle.
Wie kam es dann zur Veröffentlichung der Quartett-Schallplatte »1. FC Union Berlin«?
Ich bin ein alter Unioner, seit der Gründung des Vereins 1966. Als der zwanzigste Geburtstag des Klubs nahte, dachte ich, das musst du irgendwie würdigen. Da bot sich eine Platte an. Ich wollte einen Weg finden, ein Produkt in den Markt zu bringen, der ja in dem Sinne gar nicht existierte. Es gab bis dahin und mei- nes Wissens auch danach nie wieder eine Schallplatte, die nur als Würdigung eines Fußballvereins erschien.
Sie haben das allein entschieden, ohne Absprache im Hause Amiga? Da ich als Chefredakteur für die Repertoiregestaltung verantwortlich war, konnte ich das selbst entscheiden. Ich war der Meinung, dass es angemessen ist. Und so haben wir es gemacht. Im Januar 1986 kam die Quartett-Single dann auf den Markt.
Dazu bedurfte es aber doch einer etwas größeren Vorarbeit?
Ich brauchte natürlich einen Titel, der sich auf Union bezog. Also habe ich mit Harry Jeske gesprochen, dem Bassisten der Puhdys, mit dem wir viel zu- sammengearbeitet haben. Ich sagte zu ihm: Harry, ich brauche ein Lied für Union, und wenn du es machst, garantiere ich dir, dass ich es auch veröffentliche. Er hat dann Achim Mentzel gefragt, ob er mitmachen würde und so kam die Sache ins Rollen.
Warum haben Sie denn ausgerechnet Harry Jeske angesprochen, war er Union-Fan?
Er war kein wilder Fan, eher neutral, aber ab und zu wohl auch mal im Stadion. Ich hatte ihn angesprochen, weil er in der DDR Auftragsproduzent war, und einer musste die Aufnahme ja schließlich produzieren.
Das passierte dann im Berliner Amiga-Studio? Ja, dort wurde »Stimmung in der Alten Försterei« von Achim Mentzel und der Mannschaft des 1. FC Union eingesungen. Wobei aber nur einige Spieler im Studio dabei waren, um den Backgroundchor zu bilden.
Es gab neben einem weiteren Union-Lied von Achim Mentzel und Mitgliedern von Union-Fanklubs, »Wo gehen wir am Samstag hin«, noch zwei andere Songs auf der Platte. Ja, weil es sich um eine EP handelte, haben wir noch zwei Lieder dazu genommen: Das allseits bekannte »Der Fußball ist rund wie die Welt« von Frank Schöbel und »Fußball« von Wolfgang Ziegler und der Gruppe Wir. Und Schöbel war ja auch ein alter Unioner, insofern ging das schon in Ordnung.
Wie waren die Reaktionen, als die Platte 1986 in den Handel kam? Eine Woche nachdem die Platte erschienen war, bekam ich in meinem Amiga-Büro Besuch von zwei Herren aus Hohenschönhausen. Sie beschwerten sich zutiefst darüber, wie es sein könne, dass dieser Hungerverein ohne irgendwelche Meriten eine Platte kriegt und ihr Verein, der BFC Dynamo, nicht. Sie legten mir dann nahe, dass ich für den doch mindestens eine LP machen müsse. Ich habe geantwortet: Das ist schwierig, aber wenn sie mir ein komplettes Band mit der Musik bringen, können wir über alles reden. Ich kann das jedenfalls nicht produzieren. Damit war die Sache erledigt, denn natürlich konnten die kein Band liefern. Sie haben sich nie wieder gemeldet. Ich musste noch mal kurz bei meinem Generaldirektor antreten, der mich fragte, was ich denn da für einen Mist angestellt hätte. Aber letztlich hatte es keine Konsequenzen.
Hatte Amiga nicht 1977 schon eine Single von Winni 2 veröffentlicht, die unter anderem ein »Dynamo...«-Lied enthielt? Offensichtlich ein Tribut an Dresdens Fußballer. Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich bin ja erst 1978 Chefredakteur von Amiga geworden.
1989 erschien dann noch die Single »Der zwölfte Mann«, eine Komposition von Electra-Chef Bernd Aust, anlässlich des damaligen DDRMeistertitels von Dynamo Dresden. Als Herausgeber wird statt Amiga jedoch der Rat der Stadt Dresden aufgeführt. Wie das?
Es gab sogenannte Lohnpressungen für Auftraggeber, das konnte auch ein Rat der Stadt sein. Wenn Dresden der Meinung war, dass sie so etwas herausgeben wollten, dann haben wir eben gesagt: Okay, wir produzieren ein paar Tausend Stück. Die Singles kamen aber nie in den offiziellen Plattenhandel. Eine reine Fußballplatte als kommerzielles Produkt gab es nur ein einziges Mal: Das war im Januar 1986 die Union-Platte.
Wie viele Exemplare der QuartettSingle sind verkauft worden?
Das weiß ich nicht mehr, aber die gepresste Auflage wurde komplett verkauft. Die EP ist in den normalen Handel gegangen und in die ganze DDR geliefert worden.
Bekamen Sie Anfragen von anderen Oberligavereinen, die auch so eine Platte für ihren Klub wollten? Bei Insidern sorgte die Sache schon für Aufsehen. Vielleicht gab es in einigen Vereinsgremien auch entsprechende Wünsche, aber wenn, dann haben wir bei Amiga nichts davon mitbekommen. Eventuell haben sich auch manche gewundert, dass ausgerechnet Union so eine Ehre bekam, aber dass das letztlich eine Überschreitung der Kompetenz des Amiga-Chefredakteurs war, hat doch draußen keinen wirklich interessiert. Im Gegensatz zu den Fans. Für die Unioner war das schon eine tolle Sache.
Das Lied »Stimmung in der Alten Försterei« tauchte 1988 noch mal auf einer Westplatte auf, die der Westberliner Fanartikelhändler »Pepe« Mager in Kombination mit einem Hertha-Lied unter der Überschrift »Freunde hinter Stacheldraht« veröffentlichte. Er erzählte, dass er die Rechte bei Amiga für 800 D-Mark erworben hatte.
Das kann durchaus sein. Wenn einer das Nutzungsrecht an einer Produktion wollte, konnte er das beim VEB Deutsche Schallplatte erwerben. Aber ich hatte damit nichts zu tun.
Ein anderer Westberliner, der Musikmanager Peter Schimmelpfennig, der die Puhdys, Karat und City im Westen groß rausbrachte, soll sogar öfter bei Union-Spielen gewesen sein?
Das stimmt, ich habe ihn ab und zu in die Alte Försterei mitgenommen, damit der sich nicht nur immer Hertha antun musste. Schimmelpfennig und ich hatten durch unsere Zusammenarbeit einen guten Draht zueinander, er hatte ja einige unserer Platten für sein Label im Westen übernommen. Ich erinnere mich, dass wir einmal auch bei einem der wenigen Derbys gegen die Hohenschönhausener vom BFC im Stadion der Weltjugend waren. Da hatten wir sogar Plätze auf der Ehrentribüne. Und weil wir zu früh da waren, hatten wir uns dahin gesetzt, wo Decken lagen. Wie wir bald feststellten, waren die für die BFC-Fans gedacht. Drei Reihen vor uns saß Erich Mielke (Minister für Staatssicherheit/d.R.). Als Union das 1:0 schoss, sind wir beide hochgesprungen und haben gejubelt wie die Ochsen. Um uns rum kiekten alle böse und ich sagte zu Schimmelpfennig: Komm setz dich wieder hin, sonst kommst du nie wieder rüber nach Hause!