Arsen aus Alawerdi
Es ist gefährlich, in der armenischen Kupferschmelze ACP zu arbeiten oder in ihrer Nähe zu leben
In einer armenischen Kupferschmelze wird massiv gegen Arbeitsschutz- und Umweltstandards verstoßen. Trotzdem hält Hauptabnehmer Aurubis aus Hamburg an den Geschäftsbeziehungen fest. Dicker, starker Rauch schwebt zwischen den überdimensionierten Kesseln. Wie ein blau-grauer Schleier legt sich ein Nebel aus Schwefel über Haufen von Schlacke und macht das Atmen schwer. Das Kupfererz brodelt und wirft Blasen. In riesigen Trommeln schmilzt es, leuchtet orange. Der Lärm ist höllisch. Ein Mechanismus wird ausgelöst, das tausend Grad heiße Metall fließt wie durch die Arterien eines Tieres.
Das Kupferkombinat in der Stadt Alawerdi ist ein Labyrinth aus Treppen und versteckten Kontrollräumen. Jahrzehntealter Schmutz liegt überall herum. Die Technik aus Sowjetzeit ist völlig veraltet: undichte Rohre, die sich in ausgefransten Kabeln, losen Drähten und tropfenden Abflüssen verwickeln. In diesem Inferno arbeiten 580 Menschen für etwa 200 Euro Lohn pro Monat.
Man fühlt sich ins 19. Jahrhundert zur Geburt der Industrialisierung in England zurückversetzt, zur damaligen Gleichgültigkeit gegenüber der Gesundheit der Arbeiter und dem ausschließlichen Fokus auf Gewinn für den Besitzer. Fast keiner der Arbeiter trägt Gehörschutz, Atemmaske oder Schutzhelm. Eine Entlüftung scheint nicht zu existieren. Hammer, Schaufeln und Gasflaschen liegen verstreut in den Fluren herum. Plötzlich steigt ein orangefarbener Geysir von flüssigem Kupfer aus einer Trommel und spritzt unkontrolliert über den Fabrikboden.
Der Name der Fabrik lautet ACP, die Abkürzung für Armenian Copper Programme. Sie ist Teil der Unternehmensgruppe Vallex mit Sitz in Jerewan und stellt jährlich an die 10 000 Tonnen Kupfer her. Abnehmer ist das Hamburger Unternehmen Aurubis – einer der weltweit größten Kupferproduzenten und Kupferwiederverwerter. Als wir die Direktorin der ACP, Lusine Mejlumyan, in ihrem Büro neben der Kupferhütte in Alawerdi treffen, bestätigt sie: »Das ist unser ältester Partner. Das ganze Kupfer wird exportiert – nach Hamburg. Die vergangenen 20 Jahre hat uns Aurubis die ganze Produktion abgekauft«, sagt sie. Laut der Direktorin kommen Repräsentanten des deutschen Unternehmens ungefähr einmal pro Jahr nach Alawerdi, schauen sich an, wie die Männer in der Kupferhütte arbeiten. Direktorin Mejlumyan versichert, dass der Arbeitsschutz der Arbeiter in dem Schmelzbetrieb in Ordnung ist.
Eine Aussage, der Hasse Mortensen überhaupt nicht zustimmen kann. Dem langjährigen Abteilungsleiter in der dänischen Aufsichtsbehörde für Arbeitsschutz fällt es sichtlich schwer, seine Erschütterung zu verbergen, als wir ihm Fotos vorlegen, die während des Besuchs in der Kupferhütte entstanden sind: »Was wir hier sehen, ist eine unverantwortliche Arbeitsorganisation. Weder die Sicherheit noch der Gesundheitsschutz der Arbeiter wird angemessen berücksichtigt. Der Besitzer hat weder an Schutzausrüstung noch an die Isolierung der Gefahrenquellen in ausreichendem Maße gedacht«, sagt er.
Mortensen schaut sich noch weitere Bilder an und erläutert: »Die sprühenden Funken und das herumspritzende flüssige Kupfer stellen ein hohes Risiko für die Arbeiter dar. Mehrere von ihnen tragen alte, abgenutzte Zivilkleidung. Solche ist leicht entzündlich. Das geht nicht. In einem solchen Umfeld müssen sie flammhemmende und dichte Schutzkleidung für den ganzen Körper tragen.« Auch fehle es an Feuerlöschern, Fluchtwegeschildern oder den üblichen Hinweisen, an welchen Stellen man sich aufhalten darf und an welchen nicht.
Das Fehlen von Schutzkleidung hatte schon schlimme Folgen: Im Juli 2016 wurden zwei Arbeiter mit Verbrennungen zweiten Grades nach einem Unfall bei den Schmelzöfen ins Krankenhaus gebracht, wie die armenische Internetzeitung »Hetq« be-
richtete. Es sei zu einer auch in der Stadt hörbaren Explosion bekommen, über die Ursache schweige sich das Unternehmen aus.
Aber auch der Normalbetrieb ist gefährlich: Arbeitsschutzexperte Mortensen erklärt, dass die Arbeiter sowohl Strahlungswärme als auch Rauch ausgesetzt seien. Beides berge erhebliche Gesundheitsrisiken. Ihre Arbeit sollte von Kabinen aus durchgeführt werden, wo Frischluft zugeführt werden kann.
Mortensen verweist darauf, dass in der europäischen Praxis die Aufsichtsbehörden längst ernsthafte Maßnahmen von der Geschäftsleitung eines solchen Unternehmens verlangt hätten. Dies geschehe in Armenien offenbar nicht. Zumindest aber müsste sich das Land an die Vorschriften der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) halten. Laut denen »haben die Arbeitgeber die Pflicht, die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeiter zu schützen und zu fördern«. Die Fotos aus der Kupferhütte in Alawerdi las-
sen für den Experten nur einen Schluss zu: »Die Bedingungen in der Anlage brechen die Vorschriften der ILO.«
Verstöße gegen den Arbeitsschutz sind das eine, Umweltverschmutzung das andere. Naturschützer, Gesundheitsexperten und kritische Journalisten haben die armenische Schmelzhütte seit langem im Blick. Laut zahlreichen Medienberichten und Untersuchungen verseucht die Fabrik die Luft, den Boden und den Fluss Debed, der durch Alawerdi fließt. Es wird angenommen, dass das hohe Risiko der lokalen Bevölkerung, an Krebs zu erkranken, eine direkte Folge der Tonnen von Schwermetallen ist, die jedes Jahr ungefiltert durch die Fabrikschornsteine geleitet werden. Über die genaue Menge der freigesetzten Giftstoffe gibt es nur Mutmaßungen, weil Bergbauunternehmen in Armenien keine Daten sammeln und veröffentlichen. Im Jahr 2014 haben Forscher der Amerikanischen Universität Armeniens Bodenproben an Schulen und Kindergärten entnommen. Dabei fanden die Forscher den schädlichen Stoff Arsen in extrem hoher Dosis. Laut dem Internetportal miningfacts.org, das über den Bergbausektor weltweit informiert, gelangt Arsen vor allem beim Schmelzen von Kupfer in die Umwelt.
Einige wenige Daten hat die armenische Regierung herausgegeben. Demnach setzte die Fabrik in Alawerdi zwischen Januar 2006 und November 2007 insgesamt zwölf Tonnen Arsen, aber auch 105 Tonnen Staub, 41 Tonnen Zink, fast drei Tonnen Blei und drei Tonnen Kupfer sowie eine Reihe anderer schädlicher Substanzen frei. Der unabhängige Thinktank Policy Forum Armenia weist auf die Folgen hin: Die Einwohner des Städtchens leiden unter besonders schlimmen gesundheitlichen Problemen. Dazu gehörten hohe Raten von Entwicklungsstörungen und Chromosomenschäden bei Kleinkindern.
Wir haben die Fotos aus dem Kupferkombinat in Armenien auch Jane Frølund Thomsen gezeigt. Die Fachärztin für Arbeitsmedizin am Kopenhagener Bispebjerg-Klinikum, die auch in Bergbauregionen in Entwicklungsländern geforscht hat, erläutert: »Auf den Fotos können wir sehen, dass die Männer einer massiven Staubbelastung ausgesetzt sind. In so einem Rauch zu arbeiten, wird chronische Lungenschäden und möglicherweise kardiovaskuläre Erkrankungen verursachen.« Dass große Mengen von Arsen freigesetzt werden, beunruhigt die Spezialistin besonders: »Es ist schädlich, den Stoff einzuatmen, er kann zu Lungen- und auch zu Blasenkrebs führen. Hohe Konzentration von Arsen im Rauch kann auch Hautkrebs verursachen, weil sich der Stoff wie Staub auf die Haut der Arbeiter legt«, so Frølund Thomsen. Auch könne das Blei in der Abluft Nerven im Gehirn, in Armen und Beinen schädigen.
Der Abnehmer des Kupfers aus Alawerdi weiß um einige der Probleme: »Wir haben bei diversen Besuchen vor Ort, an denen neben unseren Kaufleuten auch Ingenieure von Aurubis beteiligt waren, immer auf die Situation hingewiesen und gemeinsam mit Vallex nach Lösungen gesucht«, erklärt die Leiterin der Konzernkommunikation bei Aurubis, Michaela Hessling, auf Anfrage. In Hamburg räumt man ein: »Die Hütte ist technologisch – auch den Umweltschutz betreffend – veraltet. Problematisch ist insbesondere, dass es keine Anlagen zur Reinigung und Aufbereitung der schwefelhaltigen Abgase gibt.«
Auf die Produkte aus Armenien möchte man in Hamburg aber nicht verzichten. »Die Hütte ist der wichtigste Arbeitgeber in Alawerdi und sorgt neben den direkten Arbeitsplätzen für zusätzliche, indirekte Arbeitsplätze in zwei- bis dreifacher Höhe bei Dienstleistern und Zulieferern«, so die Aurubis-Sprecherin, die die Firmenphilosophie erläutert: »Bei etwaigen Missständen suchen wir grundsätzlich den Dialog mit den Betreibern, um mit Rat und Tat zu unterstützen. Wir meinen, dass das der beste Weg ist, Unterstützung anzubieten.« Ein Abbruch von Geschäftsbeziehungen führe grundsätzlich nur dazu, dass »das Material an andere Hütten – momentan und zukünftig noch weiter steigend nach China – geliefert wird. Diese werden sicherlich nicht versuchen, Einfluss auf die Situation vor Ort zu nehmen«, so Hessling.
Aurubis gehört nach eigener Darstellung zu den »umweltfreundlichsten Kupfererzeugern der Welt«. Gerade deshalb hält Troels Børrild, Berater für verantwortungsvolles Unternehmenshandeln bei der Nichtregierungsorganisation ActionAid, das Vorgehen im Bezug auf die Kupferschmelze in Armenien für bei weitem nicht ausreichend. Er erläutert, wie sich Aurubis gemäß internationaler Standards verhalten müsste: »Das deutsche Unternehmen ist dazu verpflichtet, negative Auswirkungen auf Menschenrechte, die direkt im Zusammenhang mit ihren Geschäftspartnern stehen, selbst zu identifizieren. Es ist auf jeden Fall verpflichtet, das Problem etwa mit den schlechten Arbeitsbedingungen in dem Schmelzbetrieb zu lösen, wenn es davon erfährt.«
Auf seiner Internetseite weist Aurubis auf den Beitritt zu einem Netzwerk für verantwortungsvolle Unternehmensführung unter dem Dach der UNO hin. »Wir richten unsere Geschäftstätigkeit weiter an den zehn universell anerkannten Prinzipien aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsbedingungen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung aus«, heißt es dort. Troels Børrild fügt hinzu: »Das Recht auf eine gesunde und sichere Arbeitsumgebung ist ein grundlegendes Menschenrecht. Durch eine so schlechte Arbeitsumgebung in dem Schmelzbetrieb bricht die armenisch Bergbaugesellschaft Vallex internationale Richtlinien und möglicherweise die nationale Gesetzgebung.« Daher müsste der deutsche Abnehmer Druck auf Vallex und eventuell die armenischen Behörden ausüben, die Missstände schnell zu beseitigen. »Falls Vallex sich weigert, dann ist die armenische Bergbaugesellschaft für Aurubis kein geeigneter Partner.«