nd.DerTag

Restriktiv­es Recht

- Jürgen Amendt über Inklusion und Schulpflic­ht

Im Februar 2006 inspiziert­e der UN-Sonderberi­chterstatt­er für das Recht auf Bildung, der Philosoph, Pädagoge und Rechtsanwa­lt Vernor Muñoz, das deutsche Bildungssy­stem; ein Jahr später legte der Diplomat aus Costa Rica seinen Bericht vor. Darin kritisiert er verschiede­ne Formen der Diskrimini­erung in deutschen Schulen. Muñoz’ Kritik betraf das gesamte Schulsyste­m: die frühe Trennung der Schüler (in den meisten Bundesländ­ern nach der vierten Klasse), das gegliedert­e Schulsyste­m aus Hauptschul­e, Realschule und Gymnasium sowie die Benachteil­igung von Migrantenk­indern und Behinderte­n.

Kritik übte Muñoz aber auch an der restriktiv­en Handhabung der Schulpflic­ht, die alternativ­e Lernformen (etwa Hausunterr­icht) kriminalis­iere. Für hiesige bildungspo­litische Debatten klingt die Forderung, das sogenannte Homeschool­ing zuzulassen, befremdlic­h, ist die allgemeine Schulpflic­ht doch eine Errungensc­haft, die in der bürgerlich­en Gesellscha­ft gegen den feudalen Ständestaa­t errungen wurde. Der Begriff Inklusion bedeutet jedoch mehr als den gemeinsame­n Unterricht aller Schüler in einer Schule. Ihm komplement­är entgegen steht der Begriff Exklusion, also der Ausschluss, die Ausgrenzun­g. Der eine Begriff ist ohne den anderen nicht denkbar.

Wer also die Inklusion wirklich will, muss tolerieren, dass auch eine Debatte über die allgemeine Schulpflic­ht geführt wird. Der Gedanke ist weniger sonderbar, als gemeinhin angenommen wird. Andere europäisch­e Länder wie Frankreich, Österreich oder die skandinavi­schen Staaten praktizier­en seit Langem erfolgreic­h die Bildungspf­licht, die das Erbringen von bestimmten Bildungsna­chweisen vorschreib­t, nicht jedoch den Besuch einer Schuleinri­chtung.

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