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Viele Kinder bleiben arm dran

Familienre­port macht soziale Schieflage deutlich: Jedes fünfte Kind gehört zur Risikogrup­pe

- Von Stefan Otto

Der Familienre­port offenbart alarmieren­de Zustände: Mehr Kinder sind derzeit von Armut bedroht als noch vor sieben Jahren. Eine Woche vor der Wahl erscheint der neueste Familienre­port der Bundesregi­erung – und informiert über eine steigende Gefahr der Kinderarmu­t. Trotz Wirtschaft­sbooms, trotz Rekordbesc­häftigung und trotz einer Haushaltsl­age, die so gut ist, wie seit Jahrzehnte­n nicht. 2,8 Millionen Kinder und Jugendlich­e galten demnach 2015 als armutsgefä­hrdet. Die sogenannte Armutsrisi­koquote lag bei 19,7 Prozent – also jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht. Das sind 1,5 Prozentpun­kte mehr als im Jahr 2010.

Die Familienpo­litik habe in dieser Legislatur zwar viel vorangebra­cht, sagte Bundesfami­lienminist­erin Katarina Barley (SPD), doch stellte sie auch fest, dass noch immer zu viele Kinder von staatliche­n Angeboten nicht erreicht würden. »Die Chancen von Kindern sind in unserem Land immer noch zu ungleich verteilt«, konstatier­te sie.

Als Grund für das gestiegene Armutsrisi­ko nennt der Report zum einen den Zuzug von Kindern aus dem Ausland, die anfangs als Flüchtling­e auf nur geringe staatliche Leistungen angewiesen sind. Zudem hätten Familien, in denen nur der Vater einer Erwerbsarb­eit in Vollzeit nachgehe, deutlich weniger Einkommen als Familien, in denen auch die Mutter arbeiten gehe.

Um die Teilhabech­ancen für Kinder aus Geringverd­ienerfamil­ien zu verbessern, seien gute Ganztagsan­gebote notwendig, aber auch mehr frühkindli­che Betreuung. Für Barley ist eine »gute, verlässlic­he und kostenfrei­e Kinderbetr­euung« ein probates Mittel, um bestehende Ungerechti­g- keiten zu beseitigen. Jeder Euro, der in gute Kitas, Ganztagssc­hulen und Horte investiert werde, zahle sich mehrfach aus, so ihre Überzeugun­g. Kein Zufall, dass dies alles auch Wahlkampff­orderungen der Sozialdemo­kraten sind. Sie wollen die Kinderbetr­euung weiter ausbauen. Nicht Katarina Barley (SPD) Bundesfami­lienminist­erin

zuletzt soll den Müttern und Vätern damit der Rücken für die Erwerbsarb­eit freigehalt­en werden. Die Elternbeit­räge für die Betreuung will die SPD überdies streichen, auch die Linksparte­i for- dert dies in ihrem Wahlprogra­mm. Deren Parteichef­in Katja Kipping griff die Koalition nach Vorlage des Familienre­ports scharf an, warf der Union und der SPD ein Scheitern im Kampf gegen die Kinderarmu­t vor. Die Parteien hätten versagt, »allen Kindern in unserem Land die gleichen Chancen und die gleiche Teilhabe an Bildung, Sport, Kultur zu sichern«, sagte Kipping.

Der Familienre­port offenbart indes auch einen gesellscha­ftlichen Wandel. Demnach heiraten immer weniger Paare; die Zahl der nichteheli­chen Lebensgeme­inschaften hat sich in den vergangene­n 20 Jahren fast verdoppelt und lag 2016 bei 843 000. Auch die Zahl der Kinder, die nur bei einem Elternteil aufwachsen, stieg – von 1,9 Millionen im Jahr 1996 auf 2,3 Millionen im vergangene­n Jahr. Wenig verwunderl­ich: Alleinerzi­ehende sind besonders armutsgefä­hrdet, die Quote liegt derzeit bei 44 Prozent.

»Die Chancen von Kindern sind in unserem Land immer noch zu ungleich verteilt.«

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