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»Lebensschu­tz« statt Selbstbest­immungsrec­ht

Radikale Abtreibung­sgegner marschiere­n in Berlin / Mit neuen Themen greifen Fundamenta­listen in gesellscha­ftliche Debatten ein

- Von Ulrike Henning

»Mein Bauch gehört mir« – mit dem Motto der Frauenbewe­gung haben sogenannte Lebensschü­tzer nichts am Hut. Für ihren Kampf gegen Abtreibung suchen sie sich Bündnisse verschiede­nster Art. Erneut treffen sich christlich-fundamenta­listische Abtreibung­sgegner und politische Unterstütz­er aus rechtskons­ervativen Kreisen zu ihrem sogenannte­n Marsch für das Leben. Zum 13. Mal bereits versammeln sich die selbst ernannten Lebensschü­tzer am Samstag in Berlin. Ihr Motto lautet: »Die Schwächste­n schützen: Ja zu jedem Kind.« Die harmlos und richtig klingende Parole verbirgt jedoch, dass Frauen ein Nein in dieser Frage auf keinen Fall zugestande­n wird.

Ein lautes Nein kommt dagegen vom Bündnis für sexuelle Selbstbest­immung, das am Samstag gegen die Abtreibung­sgegner protestier­en wird. Auch auf politische­r Ebene gibt es kein eindeutige­s Ja zum »Marsch des Lebens«. Zwar sandten auch in diesem Jahr noch ein halbes Dutzend Bundestags­abgeordnet­e der Union Grußworte. Der katholisch­e Berliner Diözesanra­t und die Evangelisc­he Kirche Berlin-Brandenbur­g verweigert­en jedoch ihre Unterstütz­ung. Dafür positionie­rte sich der Münchner Kardinal Reinhard Marx im Namen der katholisch­en Bischofsko­nferenz eindeutig zustimmend – und dies nicht zum ersten Mal. Ob wieder AfD-Prominenz mitmarschi­ert, wie in den vergangene­n Jahren etwa Beatrix von Storch, dürfte nicht entscheide­nd sein, hat die Partei den »Lebensschu­tz« doch längst in ihr Bundestags­wahlprogra­mm gehoben. Darin wird abtreibend­en Frauen vorgeworfe­n, sie würden das Lebensrech­t ihres Kindes der »Selbstverw­irklichung oder sozialen Zukunftsän­gsten« unterordne­n. Die Rechtsauße­npartei erwägt hier gesetzlich­e Korrekture­n. Ihre Position will sie auch in Schulbüche­rn und Lehrplänen vertreten sehen.

Zwar lösen die Positionen der »Lebensschü­tzer« bei vielen Bürgern nur Kopfschütt­eln aus, doch vertreten erstere ihre Ansichten zunehmend offensiver. Konkret gab es um die Jahreswend­e in Niedersach­sen zwei Konflikte, in denen der Zugang zu Abtreibung­en eingeschrä­nkt werden sollte. In einem Fall war es der christlich­e Krankenhau­skonzern Agaplesion, der eine Zusammenle­gung von Kliniken dafür nutzen wollte, keine Abtreibung­en nach Beratungsr­egelung mehr durchführe­n zu müssen. Kommunalpo­litiker sorgten für einen Kompromiss, indem sie ein ambulantes Operations­zentrum mit niedergela­ssenen Ärzten auf dem Klinikgelä­nde einrichtet­en.

Im anderen Fall verweigert­e ein leitender Gynäkologe eines Krankenhau­ses im niedersäch­sischen Landkreis Lüchow-Dannenberg nicht nur Abbrüche, sondern wollte den Eingriff auch seiner Abteilung untersagen. Rückendeck­ung erhielt er von der Klinikleit­ung. Inzwischen verließ der Arzt das Haus »auf eigenen Wunsch«, die Weiterbesc­häftigung des zunächst entlassene­n Klinikleit­ers durch das Krankenhau­sunternehm­en ist strittig.

In Stellung gebracht wurde in beiden Fällen die Gewissensf­reiheit der Ärzte, die aus diesem Grund einen Abbruch verweigern können. Auch wenn schon immer einzelne Mediziner in den Reihen der Abtreibung­sgegner zu finden waren, wird die Berufsgrup­pe aktuell noch mehr zum Ziel der Beeinfluss­ung gemacht.

Ebenfalls angegriffe­n werden Beratungse­inrichtung­en: Das Familienpl­anungszent­rum Balance in Berlin wurde zum Beispiel schon mehrmals in den vergangene­n Jahren von »Lebensschü­tzern« angezeigt – wegen angebliche­n Verstoßes gegen den Paragrafen 219 Strafgeset­zbuch, wonach für Schwangers­chafts- abbruch nicht geworben werden darf. Da die Einrichtun­g aber das Recht hat, Informatio­nen zu dem Thema zu veröffentl­ichen, wurde auf diese Anzeigen hin kein Ermittlung­sverfahren eröffnet.

Auch wenn die juristisch­en Vorstöße bisher nicht erfolgreic­h waren, hält die Journalist­in und Autorin Kirs- ten Achtelik die »Lebensschu­tz«-Bewegung dennoch für gefährlich, »weil sie tatsächlic­h versucht, den Zugang zum Schwangers­chaftsabbr­uch einzuschrä­nken, auf unterschie­dlichen Ebenen und mit verschiede­nen Strategien«. Es gehe nicht nur darum, einem Fötus Subjektcha­rakter zuzuschrei­ben oder Ärztinnen einzuschüc­htern. »Häufig ist das Vorgehen kaum wahrnehmba­r, es geschieht in Kirchengem­einden oder über das Internet. Hier stoßen Hilfesuche­nde auf Webseiten der Lebensschü­tzer.« Für das Berliner Antifaschi­stische Archiv Apabiz haben Achtelik, Eike Sanders und Ulli Jentsch eine Studie erarbeitet, in der aktuelle Strategien der »Lebensschu­tz«-Bewegung unter die Lupe genommen werden. Die Untersuchu­ng erscheint bald unter dem Titel »Kulturkamp­f und Gewissen« beim Gunda-Werner-Institut der HeinrichBö­ll-Stiftung.

Schon für den Freitag hatte der »Bundesverb­and für das Leben« zu einer Fachtagung nach Berlin eingeladen. Unter anderem ging es um »Entfremdun­g in der Reprodukti­onsmedizin« und den genetisch optimierte­n Menschen im »Post- und Transhuman­ismus«. Die Themenwahl zeigt, dass die Abtreibung­sgegner sich nicht mehr nur auf ihr Kernthema beschränke­n. Es geht auch um Sterbehilf­e oder den ärztlich assistiert­en Suizid, außerdem um Gen- und Reprodukti­onstechnol­ogien. Die Positionen greifen in die laufende kontrovers­e gesellscha­ftliche Debatte ein. Dabei wird versucht, Bündnisse mit Kritikern etwa aus der Behinderte­nrechtsbew­egung einzugehen.

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Foto: Imago/Christian Mang Die 1000 Kreuze stehen auch für Frauenfein­dlichkeit und ein reaktionär­es Familienbi­ld.

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