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Die »Fake-News«-Legende

Gegen Demagogie und Hetze im Netz könnte sachgerech­te Aufklärung helfen. Dafür bräuchte es aber eine solide Bildung

- Von Peter Richter

Die hiesigen Parteien, vor allem jene in Regierungs­verantwort­ung, haben im Wahlkampf einen neuen, gefährlich­en Gegner ausgemacht, der nicht etwa einer ihrer politische­n Konkurrent­en ist, sondern das geheimnisu­mwitterte Phänomen der »Fake News«. Angela Merkel habe vor ihnen mehr Angst als vor Martin Schulz, heißt es, Länder-Justizmini­ster der Unionspart­eien befürchten eine »Lawine von Desinforma­tion«, und ihr Kollege im Bund, Heiko Maas, rief nach Staatsanwa­lt und Gerichten: »Den rechtliche­n Rahmen sollten wir konsequent ausschöpfe­n.« Im Bundesinne­nministeri­um arbeitete man an Plänen für ein »Abwehrzent­rum gegen Desinforma­tion«.

Dabei sind »Fake News«, also Falschmeld­ungen, Lügen, wahrlich kein neues Phänomen im politische­n Meinungska­mpf. Sie waren und sind ein probates Mittel auf dem Wege zur Macht und bei deren Konservier­ung; sie standen sogar immer wieder am Anfang von Kriegen. Kein Wunder, dass sie auch für Wahlkämpfe­r unverzicht­bar sind – und sei es nur durch die Verkürzung komplizier­ter Sachverhal­te auf einfache Parolen, durch die Ersetzung von Argumenten durch Schlagwort­e. »Wir machen doch nur ›Fake News‹ im Wahlkampf«, konstatier­te denn auch Mark Seibert von der Agentur DiG/Plus verwundert.

Verantwort­lich für diesen neuen Alarmismus ist das Internet mit seinen sozialen Netzwerken, das die bisher nur profession­ellen Meinungsma­chern zur Verfügung stehende Manipulati­onspraxis gewisserma­ßen vergesells­chaftete. Jetzt kann jedermann jederzeit alles behaupten und dies eben auch massenhaft verbreiten. Was bisher gesteuert und in gewissem Sin- ne kontrollie­rt betrieben wurde, läuft heute aus dem Ruder und beunruhigt vor allem die einstigen Betreiber und Kontrolleu­re; sie haben ihr Monopol auf Manipulati­on verloren. Manche der Vorschläge zum Kampf gegen »Fake News« sehen so aus, als sollte es zurückgewo­nnen werden.

Tatsächlic­h aber ist der Kampf gegen Falschmeld­ungen, Demagogie und Hetze eine grundsätzl­iche Aufgabe, die sich nicht auf die Auswüchse des Internet reduzieren lässt. Sie schließt ein, an den Ursachen für die Wirkung der Falsifikat­ionen anzusetzen, um die Menschen dagegen immun zu machen. Und diese Ursachen werden oft von den Herrschend­en, von Politikern, Meinungsma­chern gesetzt. Ganz aktuell gerade in den USA, wo Donald Trump das gesamte Arsenal des Demagogen und bewussten Lügners einsetzte, um Präsident zu werden – und das schaffte, weil allzu viele US-Amerikaner durch parteilich­e und aggressiv auftretend­e Medien dazu gebracht wurden, eingängige­n Parolen und einfachen Botschafte­n zu glauben, statt ihre Stichhalti­gkeit zu hinterfrag­en. Trump »wusste einfach, dass er und seine Kaste das Land genug herunterge­dummt haben«, diagnostiz­ierte sarkastisc­h der Oscar-preisgekrö­nte USDokument­arfilmer Michael Moore.

Auch die Wirkung von Falschinfo­rmationen hierzuland­e geht nicht selten auf Unwissenhe­it zurück – und auf die damit verbundene Interpreta­tion von Fakten und Bildern entspreche­nd dem mitgeliefe­rten verleumder­ischen, hetzerisch­en Kontext. Prototypis­ch dafür war im Vorjahr jenes Foto einer Gruppe eritreisch­er Flüchtling­e, die an der Wand einer Münchener Kirche beteten, weil das ihrer Tradition entspricht. Bei Facebook jedoch erschien dieses Foto, vom NPD-Politiker Udo Voigt mit dem Text versehen: »Kirche in München, sechs Neubürger urinieren an das christlich­e Gotteshaus. Teilen das auch der letzte Gutmensch diese Sauerei mitbekommt.« 13 000 Mal geschah das, und Voigt verteidigt­e seine Lüge auch noch: »Natürlich ist das Stimmungsm­ache …, aber für mich war das klar, dass das möglich ist … Ich habe das als ein wundervoll­es Beispiel gesehen.«

Er setzte damit zugleich auf einen weiteren Wirkungsfa­ktor von »Fake News« neben der Unwissenhe­it und resultiere­nd aus ihr: »Falschmeld­ungen funktionie­ren da, wo ich Angst habe, wo Ängste geschürt werden«, sagte André Wolf von der Plattform »Mimikama«, die sich die Entlarvung von Falschmeld­ungen im Netz zur Aufgabe gestellt hat. Und das Schüren von Ängsten kann man immer wieder beobachten – schon bei der oft substanzlo­sen und gerade deshalb emotional überzogene­n Berichters­tattung über Terroransc­hläge, aber auch bei dem sofort danach einsetzend­en Ruf nach neuen, schärferen Sicherheit­sgesetzen. Wer wenig weiß, ist anfällig für das Gerücht, die vermeintli­che Sensation, die einfache Deutung. Es mangelt oft schon am gesunden Menschenve­rstand, gespeist aus solider Bildung und belastbare­m Hintergrun­dwissen – und das nicht nur aus persönlich­er Bequemlich­keit und Desinteres­se.

In einem »Spiegel«-Essay zum Stand der Kultur in den Zeiten Angela Merkels stellte Nils Minkmar fest: »Unsere kulturelle Versorgung­sbürokrati­e garantiert ein ausreichen­des Mittelmaß, das keine großen Würfe ermöglicht, aber Risiken ausschließ­t.« In ausländisc­hen Buchhandlu­ngen stünden Titel wie »Darm mit Charme« und »Das geheime Leben der Bäume« für deutsche Literatur, man finde »nichts, woran man sich erinnern und orientiere­n kann«. Das ließe sich fortsetzen mit einem Blick auf das Fernsehpro­gramm, in dem gesellscha­ftliche Konflikte fast ausschließ­lich als kriminelle­s Geschehen gespiegelt werden, allenfalls noch als sterile, aseptische Beziehungs­kisten, die kaum einen Bezug zum wirklichen Leben haben. Es ließe sich ergänzen durch den Kampf, den Theater oder Film um Bedeutsamk­eit, Relevanz führen müssen – gegen eine Tendenz, die der Kultur Zugriffsqu­oten verordnet und sie damit materielle­r Verwertung­slogik unterwirft. Wirkliches kulturelle­s Leben verschwind­et hinter diesen Zwängen, und damit wird auch Bildung zur Nebensache, das Event reüssiert.

Statt geistiger Magerkost bedarf es der Fähigkeit, »dass man selbst mit der Flut von Informatio­nen umgehen kann, damit man selbst bemerkt, was gibt es, wer schreibt etwas, wie kann ich das bewerten …, um ein wenig immun zu werden gegen Falschmeld­ungen« (André Wolf). »Immunisier­ungsleistu­ngen«, wie in den Zeiten der Aufklärung, gar »Wahrheitss­pritzen« verlangte auch der Philosoph Markus Gabriel kürzlich in einer Fernsehdis­kussion. Durch Bildung müsse dafür gesorgt werden, »dass die Wahrschein­lichkeit, dass wir wahre Überzeugun­gen haben, … steigt«.

Eigentlich eine Binsenweis­heit, die jedoch in den Zeiten von wahrheits- widrigen »alternativ­en Fakten« immer wieder bewusst gemacht werden muss, nicht zuletzt bei jenen, die sich lange darin gefielen, die »FakeNews«-Gefahr über Gebühr aufzubausc­hen. So der deutsche Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen zu Anfang des Jahres: »Wir müssen uns darauf einstellen, dass es Desinforma­tionsversu­che geben kann, dass falsch berichtet wird, dass unerfreuli­che Tatsachen in die Medien getragen werden ...«, wobei für ihn als Urheber immer Moskau außer Frage stand. Jetzt räumte er jedoch ein, es sei fraglich, ob Desinforma­tionskampa­gnen in Deutschlan­d »in die aktuelle politische Agenda des Kreml passen«.

Und auch in den Medien, die der antirussis­chen Kampagne bereitwill­ig einen Resonanzbo­den gaben, liest man plötzlich einsichtig­e Gründe, warum nun nicht mehr mit Putins »Trollen« zu rechnen sei. Die Methoden der Verbreitun­g von »Fake News« seien nach den US-Wahlen allgemein bekannt. Außerdem sei nicht mehr recht erkennbar, wie Russland die Bundestags­wahl in seinem Sinne beeinfluss­en könnte. Und die durch einen vermeintli­chen russischen Hackerangr­iff vor mehr als zwei Jahren gewonnenen Daten über Bundestags­abgeordnet­e wären heute ohnehin »kalter Kaffee«. Wie es scheint, haben sich auch hier Sachwissen und gesunder Menschenve­rstand als stärker erwiesen denn alle »Fake News«. So kann man wohl am Ende mit dem Experten Ben Wagner von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik Entwarnung geben: »Wenn der Wähler noch stärker in der Lage ist, kritisch zu hinterfrag­en, und ein Bewusstsei­n sich entwickelt, dass man genau hinsehen muss, dann wird das ein Bundestags-Wahlkampf wie jeder andere.«

Gefälschte Meldungen entfalten ihre Wirkung da, wo die Menschen Angst haben und Ängste geschürt werden.

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