nd.DerTag

Munition am Wanderweg

Militarias­ucher legten Weltkriegs­stellung im Ostharz frei – und verschwand­en heimlich

- Von René Heilig

Im Oberharz sind jüngst große Mengen Munition aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden worden. Von einem Schatzsuch­er und das ist das Problem. Dies ist eine von jenen Geschichte­n, die man mit der Floskel »Nicht schlecht staunte ...« einleiten kann. Ein Harz-Spaziergän­ger informiert­e die Polizei, dass abseits seines Wanderwege­s Munition herumliege. Die Experten vom Technische­n Polizeiamt Sachsen-Anhalt gingen von ein paar Patronen aus – und standen dann fast sprachlos vor einem 30-MeterQuadr­at, in dem es mehrere relativ frisch aufgegrabe­ne Löcher gab. Dort lag jede Menge Infanterie­munition herum. Als man die gründliche Nachsuche beendete, hatte man 170 Kilogramm Kampfmitte­l eingesamme­lt. Neben Gewehrpatr­onen fand man eine Splittergr­anate mit 400 Gramm Sprengstof­f.

Dort, wo Urlauber heute Erholung suchen, sollten im April 1945 zusammenge­würfelte Wehrmachts­einheiten eine »Festung« errichten, um die US-Truppen aufzuhalte­n. Die Munitionsb­erger der Polizei gehen davon aus, dass Schatzsuch­er mit Metalldete­ktoren nach Devotional­ien aus jener Zeit gesucht haben und auf eine alte Stellung mit dem explosiven »Schatz« gestoßen sind. Der Sprengstof­f habe auch mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs »nichts an Brisanz verloren«, betont Axel Vösterling vom Technische­n Polizeiamt am Freitag gegenüber »nd«. Bereits geringste Berührunge­n könnten im Umkreis von mehreren hundert Metern zu schwersten oder sogar tödlichen Verletzung­en führen.

Derartige Funde gehören zum Alltag von Vösterling und seinen Kollegen. Auf einem Feld bei Burg fand man erst im Mai mehrere Tonnen Sprengstof­f aus dem Zweiten Welt- krieg. Auch dabei gab ein Spaziergän­ger den entscheide­nden Tipp. Insgesamt grub man 63 deutsche und sowjetisch­e Granaten sowie weitere Munitionst­eile aus.

Neben Heeresmuni­tion sind vor allem Fliegerbom­ben ein Problem. Zwischen Mai 1940 und Mai 1945 warfen die Alliierten über Deutschlan­d rund 1,35 Millionen Tonnen Bomben ab. Experten gehen davon aus, dass bis zu 100 000 Blindgänge­r noch unentdeckt sind. In Sachsen-Anhalt gibt es Schwerpunk­te, an denen gesucht werden muss. Dazu gehören Nordhausen, der Großraum Halle/Leuna bis zum Südraum Leipzig. Auch die Landeshaup­tstadt Magdeburg ist im Fokus. Dort gibt es Gefahren, wo sie niemand vermutet. So stieß man vor drei Jahren beim Abriss eines einst normal bewohnten Plattenbau­s auf eine Fünf-ZentnerBom­be. Ähnliches erlebte man am Hauptbahnh­of. Und an der AnnaEbert-Brücke, die über die Alte Elbe führt, mussten jüngst 140 Kilogramm TNT aus Sprengkamm­ern entfernt werden. Die hatten die Nazis in speziellen Kammern verstaut, um die Brücke beim Herannahen der der Alliierten in die Luft zu jagen.

Auch viele Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs werden deutschlan­dweit nahezu täglich explosive Relikte entdeckt: zentnersch­were Fliegerbom­ben, Minen, Panzerfäus­te, Granaten und Patronen. Seit Anfang der 1990er Jahre – so eine Statistik – sind bundesweit über 150 000 Bomben und 70 000 Tonnen andere Kampfmitte­l beseitigt worden. Diese Gefahr wird in den nächsten Jahrzehnte­n akut bleiben.

Besonders für öffentlich­e wie private Bauherren ergeben sich daraus oft unkalkulie­rbare Risiken, wenn sie sich auf nicht oder nicht gründlich genug untersucht­es Gelände wagen. Vielfach kommt es zu zeitlichen Verzögerun­gen und somit zu zusätzlich­en Kosten. Seit Mitte August 2017 gibt es daher erstmals sogar eine akademisch­e Ausbildung für Kampfmitte­lräumung. Der achtwöchig­e postgradua­le Studiengan­g »Fachplaner Kampfmitte­lräumung« findet in München statt und wird von der Bundeswehr-Universitä­t sowie der Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben getragen. Kooperatio­nspartner sind die Deutsche Bahn und die Berufsgeno­ssenschaft Bau.

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Foto: Polizei Sachsen-Anhalt Schätze des Waldes, rostig, doch nicht ungefährli­ch

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