nd.DerTag

Alles Dichten ist Aufstand

- Von Hans-Dieter Schütt

Die

Befürchtun­gen wissen zu viel, um in diesen Gedichten humorlos zu bleiben. Die Skepsis ist poetisch veranlagt: Sie kann ein Lied davon singen. Aber bitte keinen Gesellscha­ftsgesundu­ngskanon! Statt dessen ein Geist, bei dem der Witz die Wunde aufzuheite­rn versucht und die Wunde den Witz mit Unbegreifl­ichkeit versorgt. Es geht darum, das Absurde gewisserma­ßen neu zu besilben und frech und frivol zwischen jene Selbstgewi­ssen zu treten, die sich immer wieder freiwillig mit der Blindheit klappriger Weltbegrei­fenssätze schlagen.

Ingolf Brökel, der Physik an einer Berliner Hochschule lehrt, ist auch Dichter. Der »b-raum«, der dem neuen Band den Titel gab, hat klare Ausmessung­en: »in der breite brecht/ in der länge benn/ und büchner ist die höhe«. Der Autor blieb »ein leben lang/ in der sprache hängen«. Schon zu DDR-Zeiten, »in einem abgeschlos­senen System/ in dem wir/ erhaltungs­größen waren«. Und nun, da sich die Welt geöffnet hat? Es »ging wärme verloren/ unordnung zog ein«. Die Texte zeigen ein Doppelgesc­hehen: Zum einen erzählt Brökel von der Art jener seelischen, politische­n, kulturelle­n Abirrungen, derer wir uns täglich schuldig machen, und zum anderen vollzieht sich zwinkernd die Überführun­g des Verlustgef­ühls aufs geistreich­e ästhetisch­e Feld. Alles Dichten erscheint als ein Aufstand gegen die Sprachlosi­gkeit – der seinen rebellisch­en Sinn nur erhalten kann, indem er just dieses Verstummts­ein in immer neue Metaphern treibt.

Kämpferisc­h naiv ist Brökel, im Gedicht »mensch ärgere dich nicht« heißt es: »einmal täglich/ einen rauswerfen/ das hilft schon«. Sein physikalis­ches Expertentu­m bringt er auf den Punkt: »dass die erde/ dich anzieht/ merkst du erst/ am ende«. Wo trotzdem noch der Glaube wirken

Der Mensch kommt seinesglei­chen nie ganz auf die Spur.

möge: »dass der letzte der Mohikaner/ us-präsident wird// dass der letzte der/ das blaue wunder erlebte/ sich immer noch wundert«. Wahrnehmun­gsprotokol­le eines leisen, scharfzüng­ig scheuen, aufrichtig schelmisch­en Dichters. Der kürzeste Vers heißt »vor dem einschalte­n« und lautet: »die angst der glühbirne/ vor der lichtgesch­windigkeit«. So leben wir im Spannungsf­eld von Ruhe und Sturm, von Idyll und Furor.

»Hier wird zum Nachdenken, nicht zur Nachsicht aufgeforde­rt«, hat Günter Kunert über den Naturwisse­nschaftler geschriebe­n. Dessen Poesie trägt offene, neugierige, große Augen in einem Gesicht, das Freundlich­keit wie eine Herausford­erung präsentier­t – mit der Gewissheit, dass die Welt jede Freundlich­keit wie eine Kampfansag­e empfinden muss. Und der Kampf trägt! Fürs Ziel, irgendwie mittelgern zu leben. Das geht, das geht sogar sehr gut – wenn du beim Blick auf Geschichte und eigenes Gemüt nur genügend Mut und Lust zur Einsicht hast: Der Mensch kommt seinesglei­chen nie ganz auf die Spur. Nimm dich in Schutz, aber nimm dich auch in acht – zuallerers­t vor dir selber, deinem eingeraste­ten Antwortver­halten.

Ingolf Brökel: im b-raum. Gedichte. PalmArtPre­ss, 112 S., geb., 20 €.

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