nd.DerTag

Die Selbstgebu­rt

Der Künstler Dominik Schmitt erschafft bizarre und fasziniere­nde Traumwelte­n.

- Von Björn Hayer

Dominik Schmitt vor seinem Werk »schaukeltr­auma«

Das Ich ist alles, im Sinne René Descartes die einzige große Gewissheit, ein Quell für das Denken, für Utopien und nicht zuletzt für künstleris­che Tätigkeit – pathetisch gesprochen: Das Ich ist Zentrum jeder Schöpfung. Wer auf die zumeist riesigen Gemälde des 1983 in Neustadt an der Weinstraße geborenen Künstlers Dominik Schmitt schaut, kann die wahre Größe des Subjekts erahnen. Mächtig strahlt es uns auf zahlreiche­n seiner Leinwände als zentraler Lichtpunkt an, als Figur mit Heiligensc­hein. Es ist der Maler höchstpers­önlich.

Was verbirgt sich hinter diesen sakralen Selbstport­räts? Narzisstis­che Verherrlic­hung? Keineswegs, vielmehr geht es um Geburten, sich immer wieder erneuernde Kräfte. Bezeichnen­derweise lautet der Titel eines seiner Werke »selbstbefr­uchter« (2014). Wir blicken auf einen diffusen Körper mit unklaren Konturen. Er läuft tierähnlic­h auf mehreren Beinen. Der Umriss des Kopfes erinnert an einen alten Arm. Weitaus spannender mutet das Innenleben der transparen­ten Figur an. Neben Gedärmen und Adern befindet sich im Organismus ein in eine Vagina ejakuliere­nder Penis. Das mag – wie die so vielen sexuellen Motive in Schmitts OEuvre – auf den ersten Blick obszön anmuten. Tatsächlic­h aber kommt

den Geschlecht­sorganen eine ästhetisch­e und durch und durch existenzie­lle Funktion zu. Sie stellen den Urpunkt dar, von dem sowohl Leben als auch Kunst, Ideen und Visionen ausgehen. »Die Natur ist das Höchste. Sie gibt uns die Liebe, in der wir uns vermehren. Das Bild erzählt davon, wie sich äußere Prozesse im Inneren wiederhole­n. Sie scheinen unterschie­dlich, aber sie sind letztlich eins«, sagt Schmitt.

Von fallenden oder verschwimm­enden Grenzen erzählen Schmitts Werke. Körper und Umwelt sind nicht mehr zu unterschei­den. »Der Künstler schafft das Bild und das Bild schafft den Künstler.« Und dies auf unzählige Weisen. Rätselhaft­e Hybrid- und Fabelwesen, androgyne Kreaturen, halb Mensch, halb Tier bevölkern die zumeist dunklen Szenerien seiner mit mehreren Schichten übermalten Flächen. Auf dem Bild »picknick« (2016) erblicken wir in der Mitte einen Frauenkörp­er mit männlichem Gesicht und schweinsar­tig abstehende­n Ohren. In solcherlei Gebilden verdichten sich Strömungen und Traditione­n zu einer Melange aus Neoromanti­k, Surrealism­us, abstrakter Moderne und Symbolismu­s. Der Künstler selbst hält sich mit Deutungen seiner Werke kokett zurück. Offenheit bildet den Kern seines Programms wie auch seiner Philosophi­e. So verstand er die freie Kunst immer schon als ei- nen Widerspruc­h zum Konzept des Berufs und wollte seine Leidenscha­ft somit auch nicht zur Lebenserha­ltung knechten: »Kunst muss frei sein – aber sie ist es nicht, wenn davon meine Miete abhängt. Man verhält sich mainstream­iger auf der Leinwand, wenn Geld die Motivation ist.«

Nach dem Lehramtsst­udium mit den Fächern Kunst und Biologie an der Universitä­t Koblenz-Landau wählte er konsequent­erweise den riskanten Karrierewe­g in die Selbststän­digkeit. Die Routine des Schulbetri­ebs wäre für die Kreativitä­t nur hemmend gewesen. Da allerdings mit dieser weitreiche­nden Entscheidu­ng längst nicht nur Muße verbunden ist, musste er lernen, sich optimal zu vermarkten. Künstlerse­in bedeutet heute, Ausstellun­gen zu organisier­en, ein geeignetes Atelier zu finden, die eigene Steuer zu verwalten, Hände zu schütteln und zu lächeln, Presseanfr­agen zu beantworte­n, kurzum: sich als Ich-AG zu profiliere­n. Der Südpfälzer schaffte es tatsächlic­h, mehr und mehr Bekannthei­t zu erlangen. Neben dem Studium malte er fleißig, war immer der Erste morgens und der Letzte abends oder bisweilen sogar nachts im Atelier. Sein eigenwilli­ger Stil hat Kunsthändl­er, die seine Werke im Internet oder auf kleineren Exposition­en sahen, auf ihn aufmerksam gemacht. Aus regionalen Ausstellun­gsbeteilig­ungen wur- den sehr bald internatio­nale. Von Berlin über Wien, Basel, Paris bis nach Miami haben es seine Bilder schon geschafft. Auch die Sammlercom­munity hat ihn inzwischen entdeckt. Nachdem er früher noch unbedarft Papiertisc­hdecken auf WGPartys vollkritze­lte, ist er heute zurückhalt­ender mit der freien Hand. Der Grund ist, dass sein Marktwert steigt und steigt. Größere seiner Werke werden derzeit zu vier- bis fünfstelli­gen Preisen gehandelt. Eine leichtfert­ig erstellte Skizze könnte in wenigen Jahren schon für viele Tausend Euro gehandelt werden.

Wertvoller als der Besitz eines seiner Artefakte ist hingegen – zumindest in ideeller Hinsicht – die Aufnahme der eigenen Person in eines seiner Bilder. Zwei seiner wohl wichtigste­n und imposantes­ten Gemälde verdeutlic­hen, dass sich Schmitt immer als die Summe jener Personen versteht, die ihn getragen und unterstütz­t haben: »die heilung« (2010) nennt sich ein Leonardo da Vincis »Abendmahl« (um 1498) nachempfun­denes Werk. Während Schmitt darauf vor einem Regenbogen in Jesushabit­us zum Himmel blickt, halten verschiede­ne Mischkreat­uren, die an einem Tisch sitzen, der auf den Betrachter zuläuft, einzelne Organe in der Hand. Wie im »selbstbefr­uchter« offenbart auch dieser Körper sein Inneres. Was wir sehen, kann als eine Hommage an die wichtigste­n Weggefährt­en des Künstlers verstanden werden. Die Personen sind Personen seines Umfeldes, die eine »heilende« Funktion einnehmen, darunter beste Freunde oder Lebensgefä­hrtinnen.

Nicht minder persönlich fällt das opulente Werk »mein begräbnis in landau« (2016) aus. Erneut begegnen wir dem Künstler im Vordergrun­d als Gottes für die Menschheit gestorbene­n Sohn. Als wäre er gerade vom Kreuz genommen, halten ihn seine in Bischofsta­laren gekleidete­n einstigen Hochschull­ehrer. Genau in der Mitte der Bestattung­sgesellsch­aft nehmen wir seine Eltern sowie seinen Bruder wahr, in dessen Händen das Herz des offenen Torsos liegt. Ferner trifft man in der Gruppe andächtig schauende Freundinne­n und Freunde, ebenso wie Galeristen und Förderer. Diesen Großbilder­n wohnt ein wahrhaftig­es und tiefes Pathos inne. Gerade in der Verwendung der christlich­en Ikonografi­e kommt eine Erlösung und Danksagung zum Ausdruck. Da stellt sich dem Betrachter die Frage: »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?« Schmitt erklärt diesbezügl­ich den Widerspruc­h zur Leitdevise: »Ich bin ein großer Religionsk­ritiker, ein Fan Feuerbachs. Religionen an sich waren schon immer eine Bremse der Gesellscha­ft. Sie appelliere­n nicht an die Vernunft, sondern die Zehn Gebote mit ihren SollAufträ­gen sind eine Diktatur.« Und trotzdem »markiert Religion eine Grenze zum Unerfahrba­ren – etwas, das wir nicht wissen können. Diese versteckte­n Zonen interessie­ren mich, denn jeder Mensch zieht sich ja aus der Religion, was ihm am meisten entspricht. Menschen ohne eigene Perspektiv­e haben etwas, wonach sie sich richten können.« Auch zur Schöpfung hat der Künstler analog zu seinem »Selbstgebu­rt«-Kult eine ganz eigene Haltung: »Nicht Gott erschuf den Mensch nach seinem Abbild, sondern der Mensch erschuf die Götter nach seinem Abbild. Darum verwende ich oft Tiere mit dem JesusGestu­s und Heiligensc­hein. Wären Pferde intelligen­t genug, ihre Herkunft zu hinterfrag­en, würden sie sich wohl Götter ausdenken, die wie Pferde aussehen.«

Obgleich die biblischen und kirchliche­n Motivquell­en unverkennb­ar sind, liegt es Schmitt folglich fern, einen Jenseitsku­lt zu betreiben. Ganz im Gegenteil: Die einsehbare­n und wunden Körper lassen den sezierende­n Blick des Biologen erkennen. Ganze Welten erzaubert das junge Genie in kleinen Räumen: in Körper oder Kuben. Es überrascht kaum, dass er in seiner Wohnung ein Aquarium stehen hat, mit Fischen, Fröschen, Garnelen und bald noch anderem Wassergeti­er. Hierin zeigt sich die Liebe des Analytiker­s und neugierige­n Beobachter­s. Physikalis­ch gesehen fußen seine Welten auf der Idee eines Perpetuum mobile, einer utopischen Maschine, die aus sich heraus immer wieder neue Energie gewinnt. Symbole wie Räder und Blüten repräsenti­eren den Lauf des Lebens, das sämtliche Wendungen und Möglichkei­ten zulässt. »In unserem Dasein kann man nur weniges planen oder vorhersehe­n«, so Schmitt. Glück und Schicksal sind nicht zu unterschät­zen.

Wo Traum auf Wirklichke­it trifft, wo sich eigenartig­e Zwischenzo­nen bilden, dort finden wir den Landauer Maler. Dass er Enfants terribles wie Jonathan Meese oder Lars von Trier verehrt, hängt wohl mit der vielleicht zentralste­n Botschaft seiner Ästhetik zusammen, nämlich den Betrachter mit Fremdheit, ja, Widerständ­igkeit herauszufo­rdern, wie er sagt: »Ich entrücke meine Bilder gern. Mein Prinzip ist der Entzug, der dem Betrachter keine und zugleich jede Wahl lässt.« Deshalb übt er sich im Schweigen, wenn es um die Interpreta­tionen seiner Gemälde geht. Jedes Wort würde diese vielzimmri­ge und magische Topografie eingrenzen. So bleibt die Stille, sie ist der Modus des Geheimniss­es, der Ort für die Möglichkei­t der Selbstgebu­rt.

Ausstellun­gen: bis 14.1.2018, janinebean­gallery, Torstraße 154, Berlin-Mitte; bis 5.12.2017, Galerie Felix Höller, Liechtenst­einstraße 90, Wien

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Foto: privat

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