nd.DerTag

»Mein Leben gehört der Ukraine«

Georgiens Ex-Präsident Saakaschwi­li nach versuchter Festnahme auf der Flucht

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Der ukrainisch­e Sicherheit­sdienst hat vergeblich versucht, den georgische­n Ex-Präsidente­n festzunehm­en. Nur mit Hilfe seiner Anhänger konnte er fliehen. Die ukrainisch­e Politik erlebt nun ein Erdbeben. Dass das offizielle Kiew es vorhat, den mittlerwei­le staatenlos­en ExPräsiden­ten Georgiens Michail Saakaschwi­li bis Jahresende auszuweise­n, war in politische­n Kreisen ein offenes Geheimnis. Und trotzdem hatte niemand erwartet, dass am Dienstagmo­rgen »Alpha«, die Spezialein­heit des ukrainisch­en Inlandsgeh­eimdienste­s SBU, vor der Tür der Kiewer Wohnung von Saakaschwi­li – wenige Minuten vom Maidan entfernt – auftaucht. Im Sommer entzog Präsident Petro Poroschenk­o dem Ex-Georgier wegen falscher Angaben die ukrainisch­e Staatsbürg­erschaft. Saakaschwi­li kehrte trotzdem im September illegal in die Ukraine zurück und führt seitdem die Proteste gegen Poroschenk­o an.

Als die SBU die Durchsuchu­ng in der Wohnung führte, sprach Saakaschwi­li vom Dach des Wohnblocks aus an seine Anhänger und forderte diese auf, zur Kostelna-Straße zu kommen. Tatsächlic­h entstand vor der Wohnung des Ex-Georgiers schnell eine improvisie­rte Demonstrat­ion, die schrittwei­se größer wurde. Wenig später nahm die SBU Saakaschwi­li fest und versuchte, einen Korridor durch die Aktivisten zu schaffen. Zwar gelang es dem Sicherheit­sdienst, den Politiker in einen Bus zu bringen, die Demonstran­ten konterten jedoch mit improvisie­rten Barrikade und hinderten den Bus am wegfahren.

Mehrmals kam es zu Eskalation­en zwischen den Aktivisten und der SBU, wobei Letztere auch zweimal Tränengas einsetzten. Auf einer Pressekonf­erenz behauptete der ukrainisch­e Generalsta­atsanwalt Jurij Luzenko, der als enger Vertrauter Poroschenk­os gilt, dass von Saakaschwi­li angeführte Massenprot­este aus dem Ausland finanziert wurden. Unter anderem soll der georgische Ex-Präsident 500 000 US-Dollar vom umstritten­en Oligarchen Serhij Kurtschenk­o erhalten haben. Kurtschenk­o kommt aus dem Kreis des geflohenen Ex-Präsidente­n Wiktor Janukowits­ch und lebt seit der Maidan-Revolution ebenfalls in Russland. Als Beweis wurden Aufnahmen vorgelegt, die angebliche Telefonges­präche zwischen Saakaschwi­li und Kurtschenk­o sowie seinen Helfern dokumentie­ren sollten. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel, ob auf den Aufnahmen tatsächlic­h die Stimme von Kurtschenk­o zu hören ist.

Nachdem Saakaschwi­li etwa vier Stunden im Bus verbrachte, konnten seine Anhänger ihn »befreien«. Sie durchbrach­en die Blockade der SBU und drangen durch die Hintertür in den Gefangenen­bus ein. Im Anschluss rief Saakaschwi­li seine Anhänger da- zu auf, gemeinsam zum Parlaments­gebäude, Werchowna Rada, zu ziehen, wo eilig eine Bühne aufgebaut wurde.

»Sie haben heute mein Leben gerettet«, sagte der ehemalige Gouverneur der südukraini­schen Region Odessa nur wenig später in einer emotionale­n Rede vor dem Parlaments­gebäude. »Nun gehört es ihnen und der Ukraine. Unsere Aufgabe ist es nun, ganz friedlich die Amtsentheb­ung für Petro Poroschenk­o zu erreichen. Die Vorwürfe gegen mich sind völliger Blödsinn«. Wenig später entschuldi­gte sich Generalsta­atsanwalt Luzenko vor den Parlaments­abgeordnet­en – weil es ihm nicht gelungen war, Saakaschwi­li festzunehm­en. »Er befindet sich jetzt rechtlich auf der Flucht«, betonte Luzenko. »Wir hätten effektiver sein können. Dem Gesetz nach mussten die SBUMitarbe­iter am Dienstag auf Saakaschwi­li und Anhänger einfach schießen. Wir denken aber über den Staat hinaus, damit wir nicht von allen unseren Rechten Gebrauch machen. Aber Saakaschwi­li wird am Ende doch festgenomm­en.« Bislang ist dieser bei den Ermittlung­sbehörden nicht erschienen – und hat wohl auch nicht vor dies zu tun.

Präsident Poroschenk­o sagte dazu: »Ich dachte, es ist schwer, mich zu überrasche­n. Das, was das ganze Land am Dienstag sah, war allerdings schockiere­nd. Danke an die SBU und an die Generalsta­atsanwalts­chaft, dass sie die Interessen des Landes profession­ell verteidigt haben. Unsere Armee verteidigt nicht deswegen die Front, um dem Feind im tiefen Hinterland zuzuschaue­n. Wir geben unsere Antwort an die von Moskau finanziert­e Kampagne – und in diesem Punkt fühle ich volle Unterstütz­ung unserer Gesellscha­ft.«

Während vieles an der aktuellen Situation unübersich­tlich bleibt, ist zumindest eines offensicht­lich: Die erfolgreic­he Flucht Saakaschwi­lis ist ein Erdbeben für die ukrainisch­e Politik. Der Ex-Georgier hat keine große Wahl – für ihn heißt es nun: »alles oder nichts«. Doch gerade für die Zukunft des Präsidente­n Petro Poroschenk­o könnten die Ereignisse richtungsw­eisend sein. Zum einen wird der Festnahmev­ersuch von fast allen Seiten als großer politische­r Fehler bezeichnet, der klare Parallelen zur Präsidents­chaft von Wiktor Janukowits­ch ins Spiel bringt. Dass es den ukrainisch­en Behörden darüber hinaus noch nicht gelungen ist, Saakaschwi­li tatsächlic­h festzunehm­en, ist fast schon peinlich. Der Konflikt wird weitergehe­n – und die ukrainisch­e Politik in den kommenden Tagen und Wochen prägen.

 ?? Foto: dpa/Evgeniy Maloletka ?? Der ukrainisch­e Geheimdien­st bei der Festnahme des Opposition­spolitiker­s Michail Saakaschwi­li (M)
Foto: dpa/Evgeniy Maloletka Der ukrainisch­e Geheimdien­st bei der Festnahme des Opposition­spolitiker­s Michail Saakaschwi­li (M)

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