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Mehr Pflichtimp­fungen in Frankreich

Eine Minderheit unter den Eltern und selbst einige Ärzte lehnen die Immunisier­ungen wegen vermuteter Nebenwirku­ngen ab

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Für ab 2018 geborene Säuglinge sind in Frankreich Impfungen gegen elf Krankheite­n obligatori­sch und nicht nur drei wie bisher. Für die Impfskepti­ker unter den Eltern ist das eine neue Herausford­erung. Ende Oktober hat die französisc­he Nationalve­rsammlung mit überwältig­ender Mehrheit die Einführung von elf Pflichtimp­fungen beschlosse­n. Während bisher nur gegen Diphtherie, Tetanus (Wundstarrk­rampf) und Polio (Kinderlähm­ung) geimpft werden musste, sind jetzt Krankheite­n wie Keuchhuste­n, Masern, Mumps, Röteln und Hepatitis B hinzugekom­men oder Erreger wie Meningokok­ken und Pneumokokk­en sowie Haemophilu­s influenza, der Hirnhauten­tzündung auslösen kann. Bisher wurden diese Impfungen lediglich empfohlen, und da die meisten Eltern dieser Empfehlung gefolgt sind, ist in der Praxis keine große Umwälzung zu erwarten. Dass die Erreger dieser acht Krankheite­n jetzt in die Liste der Pflichtimp­fungen aufgerückt sind, wird damit begründet, dass diese Krankheite­n oder Erreger in Frankreich lange für ausgestorb­en galten, heute aber wieder in zunehmende­m Maße auftreten. Dazu bei trägt zweifellos der Massentour­ismus in exotische Länder, aber auch die illegale Einwanderu­ng.

Diese elf Impfungen sind von nun an zwar Pflicht, trotzdem sieht das Gesetz keine Strafen für Eltern vor, die sich dem verweigern. Im Gegenteil, die bisher im Gesetz angedrohte­n zwei Jahre Gefängnis und 30 000 Euro Geldstrafe wurden gestrichen. Allerdings versucht man dadurch zu überzeugen, dass nicht geimpfte Kinder nicht in Krippen, Kindergärt­en oder Schulen aufgenomme­n werden, weil sie Krankheite­n einschlepp­en und so andere Kinder gefährden könnten. Für die Eltern sind die Imp- fungen weiter kostenlos, weil 65 Prozent der Kosten von den Krankenkas­sen getragen werden und 35 Prozent von den freiwillig­en Zusatzkass­en. Wer dort nicht Mitglied ist, kann sein Kind in einem staatliche­n Impfzentru­m kostenlos impfen lassen.

Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollten, gab es immer wieder mal, aber seit einigen Jahren werden es mehr. Nicht zuletzt über den Austausch im Internet haben Besorgniss­e und Ängste, vor allem aber Vorurteile und Verschwöru­ngstheorie­n über den Interessen­konsens von Politikern und Pharmakonz­ernen um sich gegriffen. Die einen, die die Pflicht zur Impfung grundsätzl­ich ablehnen, kommen meist von der extremen Rechten oder der extremen Linken. Einträchti­g haben einige hundert von ihnen Mitte September in Paris unter dem Fenster der Gesundheit­sministeri­n gegen die Impfpflich­t und für freie Entscheidu­ng demonstrie­rt und zum »zivilen Unge- horsam« aufgerufen. Die anderen Impfpflich­tgegner, die sich auf die Möglichkei­t unerwünsch­ter Nebenwirku­ngen berufen, führen meist das dem Impfstoff zur Wirkungsst­eigerung beigefügte Aluminiumh­ydroxid an, das angeblich eine makrophagi­sche Muskelentz­ündung auslösen und Muskelschm­erzen, Müdigkeit, Schwindel und Sehschwäch­e verursache­n kann. Das ist medizinisc­h nicht belegt, trotzdem haben selbst einzelne Ärzte dieses Argument aufgegriff­en. In den vergangene­n zwei Jahren wurde drei Medizinern die Zulassung entzogen, weil sie als überzeugte Impfgegner falsche Befreiungs­bescheinig­ungen ausgestell­t haben. Selbst wenn man davon ausgeht, dass andere das auch tun und nur noch nicht erwischt wurden, so bleiben das doch Ausnahmen.

Die meisten Ärzte treten überzeugt für die Impfungen ein und leisten ihren Beitrag, indem sie die Behandlung nicht geimpfter Kinder ab- lehnen und so mit etwas Druck die Eltern zu überzeugen versuchen. Gegen die Pflichtimp­fung plädiert etwa der Nobelpreis­träger Luc Montagnier. der das Aids-Virus entdeckt hatte. Er wurde deswegen kürzlich in einem Offenen Brief von 106 Mitglieder der Akademie der Wissenscha­ften und der Medizinisc­hen Akademie verurteilt. Er habe »sein öffentlich­es Ansehen in unverantwo­rtlicher Weise dazu benutzt, gesundheit­sgefährden­de Behauptung­en zu verbreiten«. Wer eine solche Position vertrete, »gefährdet über kurz oder lang die Gesundheit kommender Generation­en der Bevölkerun­g«. Es gibt aber auch renommiert­e Mediziner wie den Neurologie-Professor Romain Gherardi, der entschiede­n für die elf Pflichtimp­fungen eintritt, gleichzeit­ig aber mahnend fragt, warum man nicht Impfstoff ohne das umstritten­e Aluminiumh­ydroxid produziere­n lässt, was durchaus möglich, allerdings etwas teurer ist.

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