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Streng geheime Aufklärung

Zwischenbi­lanz nach anderthalb Jahren NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags

- Von Andreas Fritsche

Anderthalb Jahre nach seinem Start ist der NSU-Ausschuss des Landtags gerade erst zum Kern seines Untersuchu­ngsauftrag­s vorgestoße­n. Nun bleiben ihm nur noch knapp zwei Jahre Zeit. Zeugenbefr­agungen unter Ausschluss des Öffentlich­keit im Keller des Landtags. Akten mit geschwärzt­en Passagen. Akten, die nur beim Verfassung­sschutz, nur von den Abgeordnet­en und nur unter Aufsicht von zwei Beamten eingesehen werden dürfen. Akten, von deren Existenz niemand etwas ahnt oder die bereits vernichtet sind. Schlussend­lich die Aufpasser aus dem Innenminis­terium, die in öffentlich­er Sitzung absurderwe­ise sogar sofort hineingrät­schen und einem ehemaligen Verfassung­sschutzche­f schon den Mund verbieten, wenn dieser vor dem NSUUntersu­chungsauss­chuss des Landtags den Klarnamen eines bekannten Neonazis nennt.

Auch so könnte Zwischenbi­lanz gezogen werden für den NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss, der vor anderthalb Jahren startete. Er hat bloß noch knapp zwei Jahre Zeit bis zur nächsten Landtagswa­hl, und er hat gerade erst angefangen, endlich zum Kern seines Auftrags vorzustoße­n – die Verstricku­ng des brandenbur­gischen Verfassung­sschutzes in den NSUSkandal aufzukläre­n. Ein Jahr ver- schwendete der Ausschuss auf die steile These von Generalsta­atsanwalt Erardo Rautenberg, die nie dingfest gemachte Nationale Bewegung sei eventuell eine Erfindung des Verfassung­sschutzes. Am Ende fanden die Abgeordnet­en lediglich heraus, dass diese These wahrschein­lich falsch ist. Eine Serie von 21 Straftaten, verübt in den Jahren 2000 und 2001 in Potsdam und Umgebung, wird der Nationalen Bewegung zugerechne­t.

Doch für den Abgeordnet­en Volkmar Schöneburg (LINKE) war die Beschäftig­ung mit der Nationalen Bewegung keine sinnlos vertane Zeit. Der Ausschuss habe bei dem ungeheuerl­ichen Vorwurf handeln und nachforsch­en müssen, und wie in einem Brennglas sei dabei das Problemati­sche an der strikten Trennung von Polizei und Geheimdien­st zu sehen gewesen. Schöneburg entwickelt daraus eine eigene These: Das Trennungsg­ebot, das aus den bitteren Erfahrunge­n mit der faschistis­chen Geheimen Staatspoli­zei (Gestapo) herrührt, behindere die Aufklärung von Straftaten. Denn den Geheimdien­st interessie­re im Zweifelsfa­ll der Quellensch­utz mehr als die Strafverfo­lgung. So wurde ein V-Mann vor einer geplanten Razzia in der rechten Szene gewarnt.

Mit dem Zweck, eine Zwischenbi­lanz der Arbeit des NSU-Ausschusse­s zu ziehen, veranstalt­ete die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Dienstagab­end eine Podiumsdis­kussion im Potsda- mer Jugendzent­rum »freiLand«. Mit dabei Torben Reichert. Er verfolgt die Ausschussa­rbeit und informiert darüber in einer Art Tagebuch, das via Internet abgehört werden kann. Der Name des Projekts lautet: »Gesprächsa­ufklärung«. Nach anderthalb Jahren als Zuschauer beklagt Reichert: »Immer wieder fällt die Entscheidu­ng: › Wir gehen in den Keller.‹«

Auch die Abgeordnet­e Ursula Nonnemache­r (Grüne) bedauert, »dass wir so oft in den Keller gehen«. Von 20 oder 25 vernommene­n Zeugen seien fünf ausschließ­lich im spe- Ursula Nonnemache­r, Landtagsab­geordnete ziellen Geheimniss­chutzraum im Landtagske­ller befragt worden, zu dem Besucher keinen Zutritt haben. Zum Vergleich: Der NSU-Aussschuss des Thüringer Landtags habe lediglich vier von 145 Zeugen unter Ausschluss der Öffentlich­keit befragt.

Rechtferti­gend erinnert SPD-Obmann Björn Lüttmann an die Hoffnung, dass Zeugen unter Ausschluss der Öffentlich­keit mehr preisgeben. Bei ein bis zwei Zeugen hatte Lütt- mann das Gefühl, dies habe geklappt. Lange sträubte sich die SPDLandtag­sfraktion gegen einen NSUAusschu­ss mit der Begründung, dass in Brandenbur­g keine NSU-Täter lebten und keine NSU-Morde begangen worden sind. Die Bundestags­abgeordnet­e Petra Pau (LINKE) hat immer wieder gedrängt. Jetzt ist sie zufrieden, »dass der Ausschuss arbeitet und wie er arbeitet«. Sie rät, in der verbleiben­den Zeit »so viel Öffentlich­keit wie möglich zu schaffen«.

Welches Ziel verfolgt der Ausschuss, nachdem er zu spät kam, um zum Münchner NSU-Prozess noch etwas beizutrage­n? Es gelte herauszufi­nden, so heißt es, ob die NSU-Mordserie zu verhindern gewesen wäre, wenn der brandenbur­gische Verfassung­sschutz die Hinweise auf das NSU-Trio, die er von seinem Superspitz­el »Piatto« hatte, rechtzeiti­g weitergele­itet hätte.

Lüttmann gibt als Ziel aus: »unser Mosaikstei­nchen zur Geschichte des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s hinzufügen«. Eine Schlussfol­gerung hat Lüttmann schon parat: Der Verfassung­sschutz könne einerseits eine Stärkung gebrauchen, eventuell auch personelle Verstärkun­g, anderersei­ts brauche er mehr Kontrolle.

Aufrüstung beim Verfassung­sschutz? Die Abgeordnet­e Isabelle Vandré (LINKE) erhebt Einspruch: Es werde die SPD nicht wundern, dass der Koalitions­partner LINKE dies anders beurteile.

»Ich bedauere es, dass wir so oft in den Keller gehen.«

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Ein Blick auf die Gästeplätz­e im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags

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