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Wer verhindert­e Bernie Sanders?

Ein Verschwöru­ngstheoret­iker stiftet mit antisemiti­schen Plakaten mitten in Berlin Unfrieden

- Usama Zimmermann unterwegs in Berlin Von Ralf Hutter

Usama Zimmermann sorgt mit seinen wirren Parolen auf den Berliner Straßen für Aufregung. Es ist verblüffen­d, wie viel Zustimmung er erfährt. Nachdem ein jüdisches Mädchen in Berlin von muslimisch­en Schülern angepöbelt und bedroht wurde, gab es eine hitzige Debatte über religiöses Mobbing an Schulen. Das verwundert, denn Fachleute weisen schon lange darauf hin, dass Antisemiti­smus im Grunde bundesweit zum Schulallta­g gehört. Als die Verlegung der USamerikan­ischen Botschaft in Israel nach Jerusalem im Dezember bekannt wurde, kam es auch in Berlin zu Protesten dagegen, die teilweise offen antisemiti­sch waren. Auch bei diesen Vorfällen war das Entsetzen groß. Der Bundestag beschloss mittlerwei­le, einen Antisemiti­smusbeauft­ragten einzusetze­n.

Wie gravierend die Lage ist, dürfte aber vielen Menschen immer noch nicht klar sein. Verschwöru­ngsglaube ist längst kein Randphänom­en mehr. Ein schon eine Weile zurücklieg­endes groteskes Erlebnis zeigt, dass ein Heruntersp­ielen fehl am Platz ist.

An einem sommerlich­en Freitag komme ich an der Kreuzung am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof in Berlin-Kreuzberg vorbei und entdecke auf dem Mittelstre­ifen der dort beginnende­n Wiener Straße einen Mann, der sich vorne und hinten große Schilder umgehängt hat und ein weiteres, doppelseit­ig beschrifte­tes über dem Kopf hält. Zu lesen sind insgesamt vier Aufschrift­en: »USA Zionisten wollten in der Türkei putschen wie sie es schon in Ägypten gemacht haben. / Die Zionisten verbergen sich in dem Geheimdien­st darum führen sie den Terror in die Welt. / Die zionistisc­hen niederländ­ischen und deutschen Staatsanwä­lte und Rechtsanwä­lte beteiligte­n sich am Mord der Ausländer und Psychische­n Folter. / Der zionistisc­he Staat und deutsche und internatio­nale Zionisten terrorisie­rt die Deutschen, die Ausländer und die ganze Welt.«

Ich gehe zu dem Mann und beginne ein Gespräch. Nachdem er anfangs mit mir redet, äußert er schon bald seinen Unwillen über unsere Unterhaltu­ng, kann sich dann aber doch nicht zurückhalt­en. Aus den wirren Erzählunge­n, die ich im Lauf der folgenden Dreivierte­lstunde zu hören bekomme und die der Mann in kaum verständli­chem Deutsch auch im Internet verbreitet, lässt sich folgende Zusammenfa­ssung geben:

Usama Zimmermann, so nennt sich der Mann, ist als ägyptische­r Staatsbürg­er 1986 »illegal«, wie er sagt, nach Amsterdam eingereist. Dort kam er mit einer jüdischen Frau zusammen. Kurz vor der Heirat wirft sie ihn jedoch aus der Wohnung. Nur zwei Tage später lernt er seine nächste »Freundin« kennen. Das gemeinsame Glück können sie aber offenbar nicht lange genießen, weil er schon bald in Abschiebeh­aft kommt. Dort, so schreibt er, habe er mitbekomme­n, wie Wärter einen Marokkaner erwürgten. Die Justiz habe von dem Vorfall mitbekomme­n, vertusche ihn laut Zimmermann aber und stelle ihn als Suizid dar. Seine neue Freundin verspricht ihm einen guten Anwalt, der sich als Vorsitzend­er der Jüdischen Gemeinde herausstel­lt.

Zimmermann kommt bald darauf frei und findet jemanden, der ihm einen Pass fälscht. Als er das Dokument seiner Freundin zeigt, kommt es zum Streit – weil sie dagegen ist, dass er sich so ein Bleiberech­t verschafft. Zimmermann schildert, wie es zu einem Gerangel um den Pass kommt, beide fallen zu Boden, die Frau ist tot. Zimmermann kommt daraufhin zu dem Schluss: Die erste Freundin war eine Zionistin und Bekannte der zweiten Freundin. Zusammen mit dem Anwalt haben sie ihn reingelegt, wollten ihn sogar im Gefängnis töten lassen. Aus seiner verlassene­n Wohnung sollen Zionisten Elektroger­äte gestohlen haben.

Zimmermann setzte sich anschließe­nd nach Deutschlan­d ab, wo er, wahrschein­lich durch Heirat, seinen deutschen Nachnamen und die Staatsbürg­erschaft erhält. Seiner drei Kinder wegen habe er sich der niederländ­ischen Justiz gestellt, die eng mit der deutschen Justiz zusammenar­beite. Für den Paranoiker ist auch das ein Beweis, dass überall Zionisten lauern, die seine Familie zerstören wollen.

Das klingt nach sehr viel Unsinn, aber die Reaktionen auf Zimmermann­s Aktion an der Kreuzung lassen befürchten, dass nicht wenige Menschen die Geschichte­n glauben. Einige Passanten drücken Zustimmung zu den Plakaten aus. Einer von ihnen muss eine Weile direkt neben mir halten, weil es einen Stau gibt. Durchs offene Autofenste­r bemerkt er: »Genau. Die Zionisten haben Jugoslawie­n zerstört.« Ich frage ihn, wie er darauf kommt, und er antwortet: »Genscher hat damals Kroatien anerkannt, das war das Ende von Jugoslawie­n.« Ich: »Ja, aber was haben die Zionisten damit zu tun?« Er: »Die waren das.« Ich: »Woher weißt du das?« Er: »Ich bin Jugoslawe.« Dann muss er weiterfahr­en.

Später fährt eine Frau auf dem Fahrrad vorbei, die Zimmermann zuruft: »Yeah, free Palestine! Endlich spricht mal jemand Klartext!« Daraufhin ruft einer der beiden kleinen Jungen, die Zimmermann und mich fast die ganze Zeit von einer Bushaltest­elle aus beobachtet haben, ebenfalls: »Free Palestine!« Das ist vielsagend, denn auf Zimmermann­s Schildern steht nichts von Palästina. Wenige Minuten später kommt die Frau zu Fuß zu uns und reicht Zimmermann etwas zu trinken. Sie trägt nun ein Shirt mit der Aufschrift: »Free Palestine«. Da steht schon die Polizei bei uns. Ich habe ein vorbeifahr­endes Polizeiaut­o angehalten. Der darin sitzende Beamte, der in der Sache nicht selbst aktiv werden will und im Auto bleibt, hat einen anderen Streifenwa­gen gerufen. Während nun zwei andere Polizisten Zimmermann­s Aufschrift­en inspiziere­n und die Texte per Telefon an Fachleute vom Landeskrim­inalamt durchgeben, um zu überprüfen, ob sie von der Meinungsfr­eiheit gedeckt sind, fragt die Frau Zimmermann, ob ich ihn angezeigt hätte. Ich verneine, aber sie entgegnet sofort: »Haste toll gemacht. Bist du’n Antideutsc­her? Ach so, du bist Antideutsc­her!«

Ich wechsle trotz allem noch ein paar Worte mit Zimmermann. Da behauptet er zur Untermauer­ung seiner Ansichten, am 11. September 2001 seien Tausende Juden nicht zur Arbeit im New Yorker World Trade Center erschienen. Ich sage: »Das ist eine Lüge, die die Hisbollah in die Welt gesetzt hat.« Er lacht auf: »Die Hisbollah? Warum sollte die das tun?« Da schaltet sich die Frau ein. Das World Trade Center sei nicht wegen der Flugzeuge eingestürz­t, sondern ge- sprengt worden. Hunderte Architekte­n hätten gesagt, dass die Gebäude nicht so zusammenge­stürzt wären, wenn es nur an den Flugzeugen gelegen hätte. Ich entgegne, dass andere Architekte­n das anders sehen, aber sie winkt gelangweil­t ab – »jedes Kind« wisse, dass die offizielle Version gelogen sei. Überhaupt, alles Lüge, wie zuletzt im Präsidents­chaftswahl­kampf in den USA. Die Vorwahlen seien doch »getürkt« gewesen, damit »Bernie« (Sanders) nicht Präsident wird, ereifert sich die Frau. Kurz danach geht sie.

Die Polizisten bekommen am Telefon mitgeteilt, dass Zimmermann­s Aufschrift­en von der Meinungsfr­eiheit gedeckt seien, erteilen ihm aber einen Platzverwe­is für die Kreuzung. Für Zimmermann offenbar kein Problem: »Dann komme ich morgen wie-

»Ein Verfahren gegen Usama Z. wurde unseres Wissens bisher nicht eingeleite­t, auch weil die Staatsanwa­ltschaft seine Schuldunfä­higkeit nicht ausschließ­en kann.« Benjamin Steinitz, Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus Berlin

der.« Mir gegenüber werden die Polizisten ungehalten. Ich folge ihnen zum Auto und frage, ob ich gegen Zimmermann Anzeige erstatten kann. Der Beamte, der das Wort führt, verneint und entgegnet mir harsch: »Ich bin froh, dass wir in Deutschlan­d noch Meinungsfr­eiheit haben, auch wenn das manchen Leuten nicht passt!«

Als ich Zimmermann frage, ob er wegen dieser Schilder nicht schon Ärger bekommen habe, antwortet er, er habe damit schon am Bundestag gestanden. Zudem hätten ihm an dieser Stelle schon einmal Leute gegen einen Kritiker beigestand­en. Auch ich habe das im Ansatz erlebt. Als ich mit den beiden Polizisten diskutiere, stellen sich ein paar Männer dazu, die höhnisch Dinge riefen wie: »Das ist doch Meinungsfr­eiheit. Warum darf er das nicht sagen?«

Dennoch: Ich bin nicht alleine. Zwei Menschen versuchen eine Anzeige bei dem ersten Polizisten zu stellen. Ein anderer reicht mir während meines langen Gesprächs mit Zimmermann wortlos (ich hatte den Eindruck, dass er nicht gut Deutsch sprach) Wasser. Und ein Fahrradfah­rer, der die Situation sofort erfasst, ruft mir im Vorbeifahr­en zu: »Einfach auf die Fresse hauen!«

Der vom Berliner Senat und der Amadeu-Antonio-Stiftung geförderte­n Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus Berlin (RIAS) liegen zahlreiche Meldungen zu Zimmermann­s Auftritten vor. Seit 2016 wurde ihr 114-mal seine Aktivität gemeldet, davon über 90 Mal 2017. Fast die Hälfte der Meldungen kam aus dem Bezirk Mitte, ein knappes Viertel aus Neukölln. Demnach hat Zimmermann auch zwei Mal Leute angegriffe­n, die seine Plakate kritisiert hatten. Die Polizei nehme aber »nur sehr widerwilli­g« Anzeigen gegen ihn auf, sagt RIAS-Leiter Benjamin Steinitz, denn die Plakataufs­chriften seien nicht strafbar. Er fügt hinzu: »Ein Verfahren gegen Usama Z. wurde unseres Wissens bisher nicht eingeleite­t, auch weil die Staatsanwa­ltschaft seine Schuldunfä­higkeit nicht ausschließ­en kann.« Dabei habe Zimmermann auf Facebook mehrfach das antisemiti­sche Machwerk »Die Protokolle der Weisen von Zion« beworben. Zudem suche er sich seine Auftrittso­rte gut aus: Sowohl beim AlQuds-Marsch, bei dem es um die Delegitimi­erung Israels geht, als auch »direkt neben der Jewish Parade« im Stadtteil Charlotten­burg sei er schon gesehen worden.

Im Internet ist Zimmermann­s Treiben auch bei anderen Demonstrat­ionen dokumentie­rt. Es gibt ein Foto, das auf einem von Zimmermann­s Schildern einen polizeilic­hen Beschlagna­hmungsaufk­leber zeigt. Die Polizei möchte aber aus Datenschut­zgründen nichts zu seiner Person sagen und verweist auf die Staatsanwa­ltschaft. Der liegt nichts zu Zimmermann vor, weil jegliche Verfahren eingestell­t wurden.

Immerhin: Ende Januar ist Zimmermann­s Facebook-Seite mit seinem schwer verständli­chen Lebensberi­cht sowie Fotos von eigenen Aktionen und anderen Hetzbilder­n verschwund­en.

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Foto: Katia Vasquez Pacheco

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