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Verleugnet­e Wirklichke­it

Im westafrika­nischen Mali wirbt die Nichtregie­rungsorgan­isation Temedt für ein gesetzlich­es Verbot

- Von Odile Jolys, Bamako

Offiziell gibt es in Mali keine Sklaverei mehr, faktisch schon. Die Nichtregie­rungsorgan­isation Temedt wirbt für ein gesetzlich­es Verbot.

Offiziell gibt es in Mali keine Sklaverei mehr. Faktisch gehört das Halten von Sklaven für die Mittelund Oberschich­t zum Prestige. Ein paar hunderttau­send Menschen leben so noch in Leibeigens­chaft. Die 35-jährige Aïchatou Walette Touka sitzt allein in den karg eingericht­eten Raum ihres Hauses am Rande von Bamako, der Hauptstadt Malis. In ihrer Hand hält sie verschiede­ne Rechnungen – für Telefon, Ärzte und Medikament­e. Ohne ein Wort, denn sie spricht kein Französisc­h, reicht sie diese mir. Das Gespräch hat noch nicht angefangen. Ihr Mann, Intamat Yattara, der übersetzen wird, ist kurz weggegange­n. Sie ist müde und hat sichtlich keine Lust, ihre Geschichte noch einmal zu erzählen.

Aïchatou Touka war Sklavin. Sie war sieben Jahre alt, als ihre Mutter starb und der Meister kam, um sie und ihre drei Geschwiste­r mitzunehme­n. Machtlos fügte sich auch ihr Vater dem Willen des Meisters. Die Familie war eine Sklavenfam­ilie, ein sozialer Status in Mali. Der Vater konnte nichts unternehme­n, seine Kinder gehörten dem Meister. Sklaverei dauert in Mali in allen ethnischen Gruppen an und ist besonders im Norden des Landes anzutreffe­n, wo die Tuaregs, das Nomaden-Volk der Sahara, zu Hause sind. Es ist unmöglich die Zahl der Sklaven genau zu beziffern. Lediglich eine Studie aus dem Jahr 2012, herausgege­ben vom malischen Anthropolo­gen Naffet Keita, belegt ihre Existenz.

Aïchatou Touk lebte im Zeltlager ihres Meisters in der Region um die Stadt Meneka, im Nordosten des Landes in der Grenzregio­n zu Niger. Sie musste auf die Kamele und Schafe aufpassen und holte Wasser aus dem Brunnen. Sie wurde regelmäßig geschlagen und bekam von niemandem menschlich­e Zuwendunge­n. Mit 20 verheirate­te sie ihr Meister an einen Mann, der selber Sklave war. Sie entschied sich, zu fliehen.

2006 war Temedt, eine malische Nichts regierungs organisati­on von Menschen, die mit dem Sklavensta­tus geboren sind, sogenannte­n Bellas, gegründet worden. Ihr zukünftige­r Mann Intamat Yattara gehörte der Organisati­on an. Er ist auch Bella, aber seine Eltern konnten sich befreien und er war groß geworden mit der Überzeugun­g, dass er nie Sklave sein wird. Die Unabhängig­keit Malis im Jahr 1960 und die verschiede­nen großen Dürren in den 1970er und Anfang der 1980er Jahren, die die Tuaregs als Viehzüchte­r sehr hart trafen, nutzten viele, um sich aus der Sklaverei zu befreien.

Intamat Yattara war Viehzüchte­r und Krankenhel­fer, was ihn dazu brachte, viel bei den verschiede­nen Gemeinscha­ften unterwegs zu sein. Er sprach Sklaven an und bot seine Hilfe bei der Flucht an. Um die 30 Menschen hat er zur Flucht verholfen. 2006 auch seiner Frau. Sie war damals 22 Jahre alt.

An einem Markttag ging sie zu ihrem Lehrer und er brachte sie zu Intamat. Er fuhr mit ihr in die Stadt, nach Meneka zu Temedt. Der Meister suchte sie, auch ihr Mann. Intamat wurde von den Söhnen des Meisters in einem Dorf zusammenge­schlagen. Nur die Annullieru­ng der Ehe durch einen Imam und der Einfluss von Temedt veranlasst­en den Meister, auf seinen Anspruch auf Aïchatou zu verzichten. Ihre Geschwiste­r leben weiter als Sklaven, erzählt Intamat.

Manchmal rächen sich die Meister und es kommt zu Gewalt. 2005 verlor ein Mann, so sein Leben, weil sein Neffe geflüchtet war. Der Meister konnte ihn nicht finden, also griff er den Onkel an. Er verletzte ihn am Fuß, das Bein musste amputiert werden. Doch der Arzt in Meneka weigerte sich, weil der Onkel kein Geld hatte. Der Mann starb. »Ich war so schockiert von dieser Geschichte«, erklärt Ibrahim Ag Idbaltanat, Gründer und Vorsitzend­er von Temedt. »Keiner wollte helfen. Selbst die Gendarme- rie nicht. Also habe ich mit anderen Temedt gegründet.«

Ziel von Temedt, ist ein Gesetz gegen die Sklaverei im Parlament durchzuset­zen, wie es in Mauretanie­n und Niger existiert. Es geht darum, Sklaverei als Verbrechen im Strafgeset­zbuch aufzunehme­n. Dreimal wurde der Gesetzesen­twurf in der Regierung diskutiert und dann immer wieder verschoben. »Die Leute verleugnen die Realität der Sklaverei. Sie haben einen Komplex«, erklärt Ibrahim Ag Idbaltanat. Es stört das Selbstbild des Landes. »Sie brauchen CNN, damit man sich traut über Sklaverei in Afrika zu reden«, bedauert er weiter. Er spielt auf die Veröffentl­ichung durch den US-amerikanis­chen TV-Sender an, der über den Verkauf von Migranten in Libyen als Sklaven berichtete.

»Die Sklaverei ist tief verwurzelt in unserer Kultur, sodass sie normal erscheint. Es gibt hier eine Mentalität der Differenzi­erung. ›Ich gehöre nicht zur selben Gruppe‹. Und die Hierarchis­ierung ist sehr lebendig in der Gesellscha­ft«, führt Ibrahim Ag Idbaltanat hinzu, um zu erklären, wieso die Sklaverei hingenomme­n wird. Temedt wurde vorgeworfe­n, die soziale Ordnung auf den Kopf stellen zu wollen, und dem Westen zu dienen.

Bis 2012 hat Temedt zwölf Fälle vor Gericht gebracht. Ohne Folgen. Seit Temedt das Thema Publik gemacht hat, ist es jedoch weniger tabuisiert. 2014 gab Temedt ein Buch mit den Zeugnissen der Opfer der Sklaverei heraus. Und es gab ein Symposium über Sklaverei an der Universitä­t Malis. Auch mischen sich die Sklavennac­hfahren verstärkt in der Politik ein, ein soziales Feld, wo es reicht, wenn einem als Person der Sklavensta­tus anhaftet, um ausgeschlo­ssen zu werden. Das Stigma ist stark. »Sie sehen erfolgreic­he hohe Angestellt­e, wie sie sich vor ihrem Meister erniedrige­n, sobald sie wieder im Dorf sind«, erzählt Ibrahim Ag Idbaltanat. Der Status der Sklaverei findet sich in allen sozialen Schichten. »In der Kolonialze­it«, erzählt Intimat Yattara, »wollten die Meister ihre Söhne nicht in die kolonialen Schulen schicken, so haben sie ihre Sklaven geschickt.« Die Armut aber macht es schwierig für diejenige, die noch in sklavische­n Zuständen leben, sich zu befreien.

Seit 2012 kämpft das Land mit der politische­n Krise, die durch das Eindringen von Dschihadis­ten, darunter viele Tuaregs ausgelöst wurde. »Das Thema Sklaverei ist zweitrangi­g geworden«, erklärt Ibrahim Ag Idbaltanat. »Die Lösung der politische­n Krise in Mali ist aber nur möglich, wenn die Menschenre­chte respektier­t werden. Wir sind so gewöhnt, Menschen als Tiere zu betrachten. Wir sollten über das Thema weiter sprechen.«

Aïchatou und Intimat hatten ein bescheiden­es Leben in Meneka bis sie 2012 von den Tuaregs der MNLA, eine Gruppe, die für einen eigenständ­igen Tuareg-Staat kämpft, fliehen musste. Um die Flucht zu bezahlen, verkaufte Intimat seine Tiere. Sie zogen erst nach Gao, wo dann die Dschihadis­ten sie verdrängte­n. Nun leben sie als interne Flüchtling­e am Rande von Bamako, wo die Wüste anfängt.

Das Leben im Süden des Landes ist hart, es gibt viele Vorurteile gegen die Tuaregs, die viele Malier im Süden für die politische Krise verantwort­lich machen. Eine Zeit lang traute sich Intimat nicht, mit seinem Turban auf die Straße zu gehen. Sie haben ein paar Schafe, mehr nicht, kein Einkommen und sie leben von der Solidaritä­t der Gemeinscha­ft. Es reicht, um die Miete zu zahlen. Das Flüchtling­swerk der Vereinten Nation hat vier Monate lang mit Reis und ein bisschen Geld geholfen, dann nicht mehr. Aïchatou will nun einen Garten anlegen, sonst wird sie noch verrückt. Sie hat das noch nie gemacht, aber eine Nachbarin wird ihr das zeigen.

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Foto: Odile Jolys
 ?? Foto: Odile Jolys ?? Intamat Yattara und Aïchatou Touka haben eine Vergangenh­eit als Sklaven und eine Gegenwart als Flüchtling­e.
Foto: Odile Jolys Intamat Yattara und Aïchatou Touka haben eine Vergangenh­eit als Sklaven und eine Gegenwart als Flüchtling­e.

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