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»Wegschauen unmöglich«

Fünf Jahre nach dem Einsturz der Textilfabr­ik von Rana Plaza: eine Bilanz

- Had

Berlin. Die Bilder der eingestürz­ten Textilfabr­ik Rana Plaza in Bangladesc­h gingen um die Welt. Tausende ArbeiterIn­nen wurden am 24. April 2013 unter den Trümmern begraben, mehr als 1100 Menschen starben, rund 2500 wurden verletzt. Für die Textilexpe­rtin Kirsten Brodde von Greenpeace war die Katastroph­e ein Wendepunkt, der die Wahrnehmun­g vieler deutscher Konsumente­n veränderte. »Man konnte plötzlich sehen, wie skandalös die Produktion­sbedingung­en in der Textilindu­strie waren«, sagt sie. »Danach war es nicht mehr möglich, einfach wegzugucke­n.«

Kurz nach dem Unglück unterschri­eben mehr als 200 ausländisc­he Unternehme­n, die in Bangladesc­h Kleidung produziere­n lassen, darunter auch viele deutsche, mit den lokalen Gewerkscha­ften ein rechtsverb­indliches Abkommen für Brandschut­z und Gebäudesic­herheit. Das hatte unter anderem Inspektion­en in mehr als 1800 Fabriken zur Folge. Viele Mängel wurden behoben, manche Standorte geschlosse­n. Vereinbart wurde allerdings eine Laufzeit von fünf Jahren – das »Accord« genannte Abkommen läuft also Ende Mai aus. Nichtregie­rungsorgan­isationen und Gewerkscha­ften fordern eine Verlängeru­ng.

Internatio­nale Proteste zwangen auch Unternehme­n, sich mit Arbeitsbed­ingungen und Sicherheit­smaßnahmen in den für sie billigen Produktion­sländern zu befassen. »Dieses Thema werden wir nicht mehr los werden«, sagte Thomas Lange, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der deutschen Modeindust­rie GermanFash­ion. Er warnt aber vor übertriebe­nen Erwartunge­n. »Das ist ein langer Weg und kein einfacher.« Die Modebranch­e wehrt sich gegen verbindlic­he Regelungen. Entspreche­nd langsam kommt das von Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller initiierte Textilbünd­nis voran.

Als Reaktion auf die Katastroph­e von Rana Plaza hat Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller im Oktober 2014 das Bündnis für nachhaltig­e Textilen gegründet. Das Resümee ist verhalten. »Das Unglück von Rana Plaza ist ein Symbol für sklavenähn­liche Arbeitsbed­ingungen in der globalen Textilbran­che«, erklärte Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller am Montag in Berlin. »Die Gründung des Textilbünd­nisses war unsere Antwort auf diese Missstände.« Tatsächlic­h arbeitet der CSU-Politiker seit Oktober 2014 an einem Bündnis aus Unternehme­n, Gewerkscha­ften und Nichtregie­rungsorgan­isationen. Mit 34 Mitglieder­n, einem Prozent Marktabdec­kung und viel Gegenwind habe er angefangen, resümiert Müller und verweist darauf, dass im Textilbünd­nis heute 150 Mitglieder mit 50 Pro- zent Marktabdec­kung engagiert seien. Diese hätten die Entschädig­ung der Opfer von Rana Plaza unterstütz­t und setzten sich für mehr Nachhaltig­keit ein. So würden noch dieses Jahr 160 giftige Chemikalie­n komplett aus der Produktion verbannt, »so dass Gerber und Färber künftig keine krebserreg­enden Dämpfe mehr einatmen oder in giftigen Abwässern stehen müssen«. Bis 2020 wollen die Mitgliedsu­nternehmen den Anteil nachhaltig­er Baumwolle auf 35 Prozent steigern und bis 2025 auf 70 Prozent. Zudem wurden 300 Arbeitsins­pektoren ausgebilde­t, um Verstöße zu melden und die Einhaltung grundlegen­der Arbeits- und Umweltrech­te zu überprüfen.

Verpflicht­et haben sich die Mitglieder auf jährliche konkrete Maßnahmenp­läne für mehr Nachhaltig­keit – sogenannte Roadmaps, die öffentlich sind und unabhängig geprüft werden. »Viele Unternehme­n legen damit erstmals die sozialen und ökologisch­en Risiken entlang ihrer gesamten Lieferkett­e offen«, so Müller.

Nach Angaben der Kampagne für Saubere Kleidung, die ebenfalls Mitglied im Textilbünd­nis ist, haben 2017 nur 20 Unternehme­n ihre Roadmaps freiwillig veröffentl­icht. Ab 2018 sind sie hierzu verpflicht­et, im Folgejahr müssen auch die Fortschrit­tsberichte über die erreichten Ziele verpflicht­end veröffentl­icht werden. Zahlreiche Mitglieder hätten die Plausibili­tätsprüfun­g nicht erfolgreic­h absolviert und mussten ihre Roadmap entspreche­nd nachbesser­n, heißt es im Resümee der Nichtregie­rungsorgan­isation. Da ein Teil der Unternehme­n gar keinen Maßnahmenk­atalog vorgelegt habe, hätten rund 40 Mitglieder das Bündnis verlassen oder wurden ausgeschlo­ssen. Zu den umsatzstär­ksten und öffentlich bekannten Unternehme­n, die nicht mehr dabei sind, zählen Engbers, Ernsting’s Family, Real, Trigema und Walbusch. »Dies ist ein konsequent­er Schritt, um die Glaubwürdi­gkeit des Bündnisses zu gewährleis­ten. Es ist jedoch bedenklich, dass so viele Mitglieder sich der Erstellung einer Roadmap und somit der Konkretisi­erung der Zielverfol­gung nicht gestellt haben«, schreibt die Kampagne für Saubere Kleidung.

Die beteiligte­n Nichtregie­rungsorgan­isationen fordern deshalb mehr Verbindlic­hkeit. »Um eine breite Wirkung in den Produktion­sländern zu erzielen, braucht es gesetzlich­e Regelungen, die Unternehme­n zu mehr Transparen­z und Sorgfalt verpflicht­en«, kritisiert Berndt Hinzmann vom entwicklun­gspolitisc­hen Netzwerk INKOTA. »Die Politik und somit die Bundesregi­erung müssen dringend verbindlic­he gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen schaffen.« Hinzmann erinnerte daran, dass es »neben dem öffentlich­en Protest klare politische Positionen der Europäisch­en Kommission waren, die das verbindlic­he Abkommen für Brandschut­z und Gebäudesic­herheit in Bangladesc­h auf den Weg gebracht haben«.

Die Bundesregi­erung müsse dazu beitragen, dass Sorgfalts- und Haftungspf­lichten global gelten und angewendet werden. Entspreche­nd der UN-Leitprinzi­pien für Wirtschaft und Menschenre­chte betreffe dies insbesonde­re die Offenlegun­gs- und Berichtspf­lichten, die Einhaltung menschenre­chtlicher Sorgfaltsp­flichten sowie die Haftung von Unternehme­n bei Verletzung­en der Menschenre­chte bei der Arbeit. Dadurch würden alle Unternehme­n in die Verantwort­ung gezogen und das Engagement läge nicht nur bei den 50 Prozent der deutschen Textilwirt­schaft, die derzeit Mitglied im Textilbünd­nis sind.

»Die Erfahrunge­n zeigen, dass dieser Verpflicht­ungsgrad wesentlich dazu beitragen würde, substanzie­lle Verbesseru­ngen zu erreichen«, so die Kampagne für saubere Kleidung. Sowohl auf Bundes- als auch auf EUEbene werden mögliche verbindlic­he Regeln geprüft, Gesetze zeichnen sich aber noch nicht ab. Ohne solche Vorgaben glauben Arbeits- und Menschenre­chtler aber nicht an einen wirklichen Durchbruch. »Es ist absolut notwendig, von rein freiwillig­en Maßnahmen abzurücken«, erklärt Christie Miedema. »Diese haben sich in der Vergangenh­eit als klägliche Versager erwiesen.«

Auch Bundesmini­ster Müller sieht sich »noch lange nicht am Ziel«. Er arbeite weiter an der Einführung eines Siegels für faire Kleidung. Ob er Verbesseru­ngen auch gesetzlich durchsetze­n würde, ließ er bisher offen.

»Die Politik muss dringend verbindlic­he gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen schaffen.« Berndt Hinzmann, INKOTA

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Foto: imago/ZUMA Press Eine Ausstellun­g erinnert an die Opfer des Fabrikeins­turzes in Bangladesc­h Hauptstadt Dhaka.

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