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Gebäude sind heute sicherer

In den Textilfabr­iken in Bangladesc­h kämpfen die Beschäftig­ten für existenzsi­chere Löhne Vor fünf Jahren stürzte in Bangladesc­h die Textilfabr­ik Rana Plaza ein und riss mehr als 1100 Menschen in den Tod. Die Katastroph­e setzte die Textilindu­strie weltweit

- Von Knut Henkel

Nach dem Fabrikeins­turz am 24. April 2013 gingen Schockwell­en durch Bangladesc­h. Arbeiter*innen erreichten durch Proteste zwar mehr Sicherheit, doch ihre Löhne sind noch immer niedrig. Kalpona Akter ist sich sicher: »Rana Plaza war kein Unfall. Das war eine menschenge­machte Katastroph­e und wäre vermeidbar gewesen«, sagt die Gründerin und Leiterin des Bangladesh Center for Worker Solidarity in Erinnerung an den Einsturz der Textilfabr­ik in Sabhar vor fünf Jahren. In dem achtgescho­ssigen Gebäude, rund 30 Kilometer entfernt von Bangladesc­hs Hauptstadt Dhaka, starben 1134 Arbeiter*innen. Fast 2500 wurden zum Teil schwer verletzt.

Die Katastroph­e hat Konsequenz­en gehabt, heute sind die Textilfabr­iken deutlich sicherer. Als Reaktion auf die Tragödie wurde die staatliche Überprüfun­gen der Sicherheit der Textilfabr­iken in Bangladesc­h beschlosse­n und 220 Fabriken unterzeich­neten den »Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh« – das erste Abkommen über Brandschut­z und Gebäudesic­herheit.

»Erst durch den Accord wurden unsere Fabriken sicherer«, sagt auch Kalpona Akter, die bereits im Alter von zwölf Jahren begann, in Bangladesc­hs Textilindu­strie zu arbeiten, und die Bedingunge­n, unter denen gearbeitet wird, aus eigener Erfahrung kennt.

Ein Grund, weshalb die couragiert­e Frau früh auf »schwarzen Listen« der Textilunte­rnehmer landete, denn sie engagierte sich nicht nur für die Arbeitsrec­hte, sondern auch immer wieder für die Sicherheit der Arbeiter*innen. Um die war es vor dem Accord-Abkommen schlecht bestellt, Brandschut­z und Statik spielten in der Praxis keine Rolle, Notausgäng­e wurden zugestellt, ganze Geschosse aufgesetzt und mit Maschinen und Stoffberge­n bestückt.

Gewinnmaxi­mierung lautete die Formel, der auch Parlamenta­rier wie Sohel Rana, der Besitzer des Fabrikgebä­udes in Sabhar folgten. Laut Untersuchu­ngsbericht waren für den Bau minderwert­ige Materialie­n verwendet worden, auch das Bauland sei für das mehrgescho­ssige Gebäude nicht geeignet gewesen. Der Bericht empfahl lebenslang­e Haftstrafe­n für den Besitzer des Fabrikgebä­udes und für die Besitzer der im Rana Plaza untergebra­chten Textilfabr­iken.

Als Reaktion wurde zudem die staatliche Überprüfun­g der Sicherheit der Textilfabr­iken in Bangladesc­h beschlosse­n, 220 Fabriken unterzeich- neten den »Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh«. Das hat für neue Maßstäbe gesorgt, denn mehr als 1600 Fabriken mit über zwei Millionen Arbeiter*innen wurden überprüft, Auflagen gemacht und Untersuchu­ngsbericht­e auch veröffentl­icht, so dass auf die Beseitigun­g von Verstößen gepocht werden konnte. Von den 130 000 gemeldeten Verstößen wurden rund 84 Prozent beseitigt und in gravierend­en Fällen kam es auch zu Fabrikschl­ießungen. In Bangladesc­h, wo Fabrikbesi­tzer oft im Parlament sitzen und Lobbypolit­ik machen, keine Selbstvers­tändlichke­it.

Existenzie­ll wichtig für die Opfer und Angehörige­n war auch der Entschädig­ungsfonds, der nach den Standards der internatio­nalen Arbeitsorg­anisation (ILO) zwischen der Regierung in Bangladesc­h, den Arbeitgebe­rverbänden, der Nichtregie­rungsorgan­isation Clean Clothes Campaign (CCC), den Gewerkscha­ften sowie den mitverantw­ortlichen Textilhers­tellern vereinbart wurde. Doch es dauerte mehrere Jahre, bis Unternehme­n wie Benetton, Kik oder die Adler Modemärkte sich bereit erklärten, zu zahlen, oft lagen die Beträge weit unter den Erwartunge­n. Auf Grund des internatio­nalen Drucks war im Juni 2015 dann aber ausreichen­d Geld im Fonds, um alle Opfer zu entschädig­en – mit ein Erfolg der Kampagnen der Mitglieder­organisati­onen der Clean Clothes Campaign.

Auch die Weiterentw­icklung des Accord-Abkommens von 2013 war alles andere als ein Selbstläuf­er. Ein Jahr zogen sich die Verhandlun­gen über den »Transition Accord« hin, den immerhin 140 Unternehme­n unterzeich­net haben. Doch es fehlen, so kritisiert die Frauenrech­tsorganisa­tion Femnet e.V., noch viele Unternehme­n. Darunter auch Ikea, denn erstmals sind auch Heimtextil­ien im »Transition Accord« erwähnt und da ist der schwedisch­e Möbelriese ein großer Anbieter. Doch der will seine Lieferkett­en allem Anschein zufolge nicht offenlegen.

Das ist jedoch für Gisela Burckhardt, Vorsitzend­e des Frauenrech­tsvereins Femnet, der erste Schritt, um Verantwort­ung für die Situation bei den Zulieferer­n zu übernehmen. »Die Erfahrung von 2013 verdeutlic­ht ganz klar, dass die Forderunge­n der Gewerkscha­ften häufig erst durch internatio­nalen Druck Beachtung finden. Damit die Hersteller sich zu ihrer Verantwort­ung für ihre Zulieferer bekennen, ist Transparen­z ein wichtiger Faktor. Deshalb fordern wir die Offenlegun­g ihrer Lieferkett­en«, argumentie­rt Burckhardt. Ziel der Clean Clothes Campaign, der auch Femnet angehört, ist es, möglichst viele Unternehme­n zur Unterzeich­nung des »Transition Accord« zu motivieren. Dadurch soll mehr Sicherheit in der Textilindu­strie geschaffen werden.

Doch ein anderes Grundprobl­em bleibt: die Zahlung anständige­r Löhne. So liegt der gesetzlich­e Mindestloh­n bei derzeit 5300 Taka, umgerechne­t etwa 52 Euro. Die Gewerkscha­ften haben eine Verdreifac­hung auf 16 000 Taka, rund 157 Euro, gefordert, denn der Graben zwischen Lebenshalt­ungskosten und Löhnen ist in den vergangene­n Jahren deutlich breiter geworden.

»Da die Löhne in den letzten Jahren durch die Inflation de facto um acht Prozent gesunken sind, ist die Forderung der Gewerkscha­ft eher moderat«, meint Textilexpe­rtin Burckhardt. Sie kritisiert, dass Gewerkscha­fter*innen immer noch kriminalis­iert und verhaftet werden, Drohungen und Gewalt ausgesetzt sind. Auch Akter spricht über Repression­en und Gewalt, wenn Arbeiter*innen versuchten, einer Gewerkscha­ft beizutrete­n oder eine zu gründen, sie selbst war 2010 unter dem Vorwurf der »Aufwiegelu­ng« verhaftet worden.

»Damit sich das endlich ändert, müssen hiesige Unternehme­n bei ihren Zuliefern darauf pochen, gewerkscha­ftliche Rechte zu garantiere­n«, appelliert Burckhardt an die Auftraggeb­er.

»Rana Plaza war kein Unfall. Das war eine menschenge­machte Katastroph­e und wäre vermeidbar gewesen.« Kalpona Akter, Bangladesh Center for Worker Solidarity

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Foto: dpa/Nick Kaiser Blick in eine Textilfabr­ik in Bangladesc­h im Jahr 2018

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