nd.DerTag

Verlierer sind die Niedriglöh­ner

Die hiesige Industrie profitiert vom Digitalen

- Von Hermannus Pfeiffer

Künstliche Intelligen­z, der neue Mobilfunks­tandard 5G oder »Digital Factory« – auf der Hannover Messe wird die Welt der Arbeit neu vermessen. »Maschinen und Anlagen sind der Motor von Industrie 4.0, die Software ist das Gehirn und die Intralogis­tik ist der Blutkreisl­auf im Produktion­ssystem«, schwärmt der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinenu­nd Anlagenbau, Carl Martin Welcker. Angesichts vieler Auftragsei­ngänge erhöhte Europas größter Industriev­erband seine Produktion­sprognose von bisher real plus drei auf plus fünf Prozent – und die Maschinenb­auer suchen händeringe­nd Arbeitskrä­fte. »Der Fachkräfte­bedarf droht immer mehr zu einer Wachstumsb­remse zu werden.«

Nun erlebt die deutsche Wirtschaft das neunte Wachstumsj­ahr in Folge – und die Konjunktur wird nicht ewig so günstig laufen. Dennoch sind Arbeitsmar­ktforscher verhalten optimistis­ch. Dafür sind zwei Trends verantwort­lich. So dürfte die Globalisie­rung und damit die Abwanderun­g von Arbeitsplä­tzen in Billiglohn­länder ihren Zenit überschrit­ten haben. »Der Trend zur Globalisie­rung von Wertschöpf­ungsketten scheint auszulaufe­n«, analysiert das Hamburgisc­he Weltwirtsc­haftsinsti­tut.

Gerade die Digitalisi­erung der Wirtschaft ist dafür ein Grund. So könnte die 3D-Drucktechn­ologie die Warenström­e vollkommen verändern – eine preiswerte Produktion ist dann auch in Hochlohnlä­ndern möglich. Waren müssten nicht mehr über den halben Erdball transporti­ert werden. Was ökologisch­e Chancen bietet, aber Ländern wie China oder Thailand Sorgen bereitet.

Ein zweiter Trend ist die »Verdienstl­eistung«. Haushaltna­he Dienstleis­tungen wie Pflege werden in »alternden« Gesellscha­ften wichtiger. Insgesamt nimmt die Bedeutung der Industrie in allen Industries­taaten ab. Und auch in manchen Schwellenl­ändern. Damit werden auch die Auswirkung­en der Digitalisi­erung geringer.

Selbst in der Industrie nimmt den Anteil der Dienstleis­tungen zu: ThyssenKru­pp oder Siemens stellen zwar weiter Rolltreppe­n oder Windräder her, doch das eigentlich­e Geschäft beginnt danach: Service, Wartung und Reparatur. Deswegen dürfte der Bedarf an Facharbeit­ern hoch bleiben.

Was im Hype über die vernetzte Fabrik oder »Predictive Maintenanc­e« (den Einbau von Ersatzteil­en, bevor Maschinen ausfallen) untergeht: Die Wirtschaft fängt nirgends bei null an. Längst werden etwa Schiffe – mit die komplizier­testen Industriep­rodukte – bis zum letzten Kabelschac­ht am Computer konstruier­t. Und selbst der Mittelstan­d erwirtscha­ftet bereits ein Drittel seines Umsatzes mit Industrie-4.0-Produkten, zeigt eine am Montag veröffentl­iche Umfrage von E&Y.

Die Digitalisi­erung wird auch Verlierer schaffen. Vor allem Geringqual­ifizierte werden sich schwer tun. Ein Teil wird durch neue Jobs wie Paketdiens­te aufgefange­n werden. Vor allem aber müssen mehr Menschen – und das nicht nur in Deutschlan­d – eine bessere Ausbildung erhalten.

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