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Das Ziel lautet Selbstbest­immung – die Frage lautet, wie

Beste Aussichten, stärkste Kraft zu werden, hat erneut die sozialdemo­kratisch orientiert­e Partei Siumut

- Von Catrin Kabus Sondergaar­d, Qaqortoq

40 000 Grönländer sind wahlberech­tigt. 157 Männer und 74 Frauen kämpfen um die 31 Sitze im Parlament in der Hauptstadt Nuuk. Der Wahltag ist in Grönland ein ganz normaler Wochentag. Wie bei vielen Dingen im öffentlich­en Leben folgt man auch hier dem dänischen Vorbild. Obwohl Grönland bereits seit 1953 keine dänische Kolonie mehr ist, dauerte es weitere 26 Jahre bis die Grönländer 1979 durch eine Volksabsti­mmung Autonomies­tatus erlangten und damit erstmals ein eigenes Parlament wählen sowie eine inländisch­e Regierung bilden konnten.

Wahlberech­tigt ist jeder dänische Staatsbürg­er über 18 Jahre. Grönländer wie Dänen dürfen an die Wahlurne treten, sofern sie länger als sechs Monate mit festem Wohnsitz im Lande registrier­t sind. Die 12 000 Grönländer, die permanent in Dänemark leben, immerhin mehr als ein Fünftel aller Grönländer, sind dagegen nicht wahlberech­tigt.

Den rund 40 000 Wählern bietet sich dieses Mal eine noch größere Auswahl als 2014. Für die insgesamt sieben Parteien, die zur Wahl antreten, wurden ungewöhnli­ch viele Kandidaten aufgestell­t. 231 Personen sind vom Wahlaussch­uss bestätigt worden, 157 Männer und 74 Frauen, das sind 39 mehr als bei den letzten Parlaments­wahlen 2014. Jeder von ihnen will einen der 31 Sitze im Parlament erringen.

Gegenwärti­g sind sechs Parteien im Parlament vertreten. Die besten Aussichten haben wie schon in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n die sozialdemo­kratisch orientiert­e Siumut (dt.: Vorwärts) und die IA (Inuit Ataqatigii­t; dt.: Gemeinscha­ft der Menschen). Beide Parteien sind, wie auch die liberale Atassut, aus Bewegungen der 70er Jahre für mehr Selbstbest­immung hervorgega­ngen.

Diese Parteien traten 1979 bei den ersten Wahlen an. Es ist allerdings bisher nur ein einziges Mal – von 2009 bis 2013 – gelungen, die Sozialdemo­kraten aus der führenden Position und damit zugleich vom Premiermin­isterposte­n zu verdrängen. Die IA gewann damals mit klarem Abstand und regierte gemeinsam mit den soziallibe­ralen Demokraten und der konservati­ven Kattusseqa­tigitt. Mehrmals trennten nur wenige hundert Stimmen die beiden Hauptrival­en Siumut und IA, und ein ähnlich knappes Resultat wird auch dieses Mal erwartet. Erstmals mit dabei sind die erst Ende 2017 beziehungs­weise Anfang 2018 gegründete­n Parteien Nunatta Qitornai und Suleqatigi­issitsisut.

Von manchen beklagt wird der erneut zu niedrige Frauenante­il bei den aufgestell­ten Kandidaten. Zur Zeit sind nur neun Frauen im Parlament vertreten, weniger als ein Drittel der Abgeordnet­en. Ausgeglich­ener zeigt sich das Verhältnis in der Regierung. Vier der neun Ministerpo­sten sind durch Frauen repräsenti­ert. Leider spielt die sozialdemo­kratische Siumut, vielerorts einflussre­ichste Partei, hierbei keine positive Vorreiterr­olle. Gerade mal ein Viertel ihrer Kandidaten sind Frauen. Bei der IA hingegen ist nahezu die Hälfte der Namen auf der Kandidaten­liste weiblich. Für deren Vorsitzend­e Sara Olsvig ist das ein wichtiger Ausgangspu­nkt für eine bessere politische Balance. Politiker sollten die Bevölkerun­g und die Wirklichke­it widerspieg­eln. Zu Sara Olsvigs Ressorts als Ministerin gehört neben Sozialem, Familie und Justiz auch die Gleichstel­lung.

Das Spektrum der Wahlthemen ist breit. Neben den ökonomisch­en Dauerbrenn­ern wie der Verteilung der Fischfangq­uoten, der gewinnbrin­genden Erschließu­ng der Bodenschät­ze und der Entwicklun­g des Tourismus – kommende Einnahmequ­ellen, von denen man sich eine größere wirtschaft­liche Unabhängig­keit von Dänemark erhofft – erhitzten sich die Gemüter vor allem an der Diskussion um die vollständi­ge politische Unabhängig­keit des Landes.

Bereits im vergangene­n Jahr waren einige bekannte Politiker so weit gegangen, 2021 (300. Jahrestag der Ankunft des dänisch-norwegisch­en Pfarrers Hans Egede, der die Kolonie Godthåb, heute Nuuk, gründete) zum Unabhängig­keitsjahr zu erklären. Davon haben inzwischen aber auch die Vorreiter wie Hans Enoksen, Vorsitzend­er der Partii Naleraq (dt.: Partei der Peilmarke) und Mi- nister für Wirtschaft, Arbeitsmar­kt, Handel und Energie, wieder Abstand genommen und eingeräumt, dass eine so kurzfristi­ge Zielsetzun­g unrealisti­sch sei.

Übrigens findet man auf der Kandidaten­liste viele deutschkli­ngende Namen wie etwa Kleist, Kruse, Geisler oder Heilmann. Auch das ist ein Teil der grönländis­chen Geschichte. Die Herrnhuter Brüdergeme­inde errichtete seit den 1730er Jahren mehrere Missionsst­ationen an der Westküste und taufte viele Grönländer auf ihnen geläufige Namen.

Neu-Herrnhut war die erste Missionsst­ation der Herrnhuter Brüdergeme­ine in Grönland. Sie ist heute Teil der Hauptstadt Nuuk. Der berühmtest­e der deutschen Missionare war Samuel Petrus Kleinschmi­dt (1814 bis 1886). Er gilt als Begründer des modernen Grönländis­ch als Schriftspr­ache.

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