Game of Balkan
EU-Perspektiven von Ländern im Südosten Europas
Europaratspräsident Donald Tusk reist ab Dienstag durch Albanien und jene Spaltprodukte Jugoslawiens, die noch nicht EU-Mitglied sind: Bosnien/Herzegowina, Kosovo, Mazedonien. Montenegro und Serbien. Tusk, bis 2014 Regierungschef in Warschau, werden diplomatisches Geschick und die Fähigkeit zuzuhören, nachgesagt. Qualitäten, die bei der Vorbereitung des EU-Westbalkan-Gipfels am 17. Mai in Sofia dringend gefragt sind. Der Pole selbst hatte das Vorhaben, als Bulgarien zu Jahresbeginn für sechs Monate die EU-Präsidentschaft übernahm, spannender als »Game of Thrones« abkonterfeit.
Denn mit am Tisch sitzt auch das Kosovo. Aus Furcht vor Signalwirkung für Katalonien hat Spanien die Unabhängigkeit der mehrheitlich von Albanern bewohnten Region, die sich 1999 von Serbien abspaltete, nicht anerkannt. Ebenso die Republik Zypern wegen des türkischen, derzeit nur von Ankara anerkannten Separatstaates im Norden. Auch Griechenland, Rumänien und die Slowakei fürchten Sezession ihrer Minderheiten. Wie die fünf Staaten beim Sofioter Gipfel vertreten sein werden, ist daher so unklar wie die Form des Abschlussdokumentes. Beobachter halten eine juristisch verbindliche Deklaration für eher unwahrscheinlich.
Dazu kommt, dass es zwischen den EU-Staaten handfeste Differenzen zu Europas Westbalkan-Strategie gibt. Deutschland, das die Region lange vernachlässigte, drängt jetzt auf mehr Tempo bei der Integration. Frankreichs Emmanuel Macron dagegen will die Europäische Union vor einer neuen Erweiterung reformieren und konsolidieren.
Zwar versuchte Erweiterungskommissar Johannes Hahn Mittwoch im mazedonischen Skopje zu beruhigen. Schon bald könnten im Europarat Entscheidungen nicht mehr einheitlich, sondern mehrheitlich fallen. Und die Mehrheit sei für schnelle Integration. Haupthindernis für Mazedonien ist derzeit ein Veto Griechenlands, das wegen seiner Nordprovinz Makedonien den Namen exklusiv beansprucht. Beim Mehrheitsprinzip wäre auch das Problem vom Tisch.
Auf schnelle Integration drängte auch Ratspräsident Tusk letzte Woche in seiner Rede vor dem Europaparlament. Er habe für »unsere Freunde« auf dem Westbalkan eine »klare Botschaft«: Europa sei und bleibe der verlässlichste Partner für die Staaten der Region, der Gipfel in Sofia solle die europäische Perspektive für alle sechs bestätigen. Anderenfalls, so hatte mehrfach auch Kommissionschef Jean Claude Juncker gewarnt, drohe die Region erneut in Konflikten zu versinken. Die EU-Mitgliedschaft falle aber nicht vom Himmel, sondern müsse von den Anwärtern hart erarbeitet werden. Der Jahresbericht zum Westbalkan, den die Kommission kürzlich dem Europaparlament vorlegte, aber fällt sehr gemischt aus.
Ein konkretes Beitrittsdatum – 2025 – peilt Brüssel bisher nur für Montenegro und für Serbien an. Vorausgesetzt, Belgrad grenzt sich von Russland ab und normalisiert sein Verhältnis zum Kosovo. Um der Expansion der Türkei, Chinas und vor allem Russlands auf dem Balkan feste Grenzen zu setzen, könnten schon im Juni auch mit Albanien und Mazedonien Vorverhandlungen über einen Beitritt mit konkreter Timeline beginnen. Zwar sieht Brüssel vor allem in Mazedonien, wo seit knapp einem Jahr eine prowestliche Regierung im Amt ist, Fortschritte auf dem Weg zu europäischen Standards. Bei Korruption, Ineffizienz der Institutionen, Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Beilegung von Grenzstreitigkeiten und gegenseitigen Gebietsansprüchen gebe es jedoch in allen Staaten der Region nach wie vor akuten Handlungsbedarf.