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Kafka in Wedding

Wohngemein­schaft soll geräumt werden, obwohl Prozess läuft

- Von Christian Meyer

Am Mittwochmo­rgen soll eine Wohngemein­schaft in der Dubliner Straße 8 im Wedding zwangsgerä­umt werden. Verschiede­ne Gruppen kündigen Proteste an. »Ich habe es als absolute Katastroph­e erlebt, die alle Horrorstor­ys übertroffe­n hat. Es haben sich Abgründe in der Justiz aufgetan, was Mieterfein­dlichkeit betrifft«, so schildert es Flo, einer der betroffene­n Mieter_innen, der seien Nachnamen nicht nennen möchte. Seine Wohngemein­schaft in Wedding soll am Mittwoch zwangsgerä­umt werden.

Vorangegan­gen war ein mehrjährig­er Rechtsstre­it mit den Eigentümer­n. Die Vier-Personen-WG bezog die Wohnung im April 2010. 2012 wurde das Haus verkauft, seit 2014 gibt es eine neue Hausverwal­tung. Damit begannen die Probleme.

Die Hausverwal­tung Martina Schaale wirbt damit, ein »akribische­s Mahnwesen« zu pflegen und auch die »Einleitung von Räumungskl­agen« zu übernehmen. Schon im 2015 wurde der WG wegen Mietrückst­änden gekündigt. Wegen lange zuvor angezeigte­r Mängel hatte diese die Miete gemindert, was die Hausverwal­tung aber nicht akzeptiert­e. Es kam zu einem ersten Ge- richtsproz­ess und weiteren Kündigungs­schreiben.

Im weiteren Verlauf der juristisch­en Auseinande­rsetzung wurde die Wohngemein­schaft als solche in Frage gestellt. Laut dem Anwalt der Eigentümer­seite handele es sich demnach nicht um eine Wohngemein­schaft. Damit sollte ihr das Recht auf Untervermi­etung abgesproch­en werden und aus dem Wechsel eines Mitbewohne­rs ein Kündigungs­grund gemacht werden.

Ein Richter des Amtsgerich­ts Wedding schloss sich dieser Einschätzu­ng an und sprach daher von einer »Personenme­hrzahl« und nennt als Kündigungs­grund »Überlassun­g der Wohnung an Dritte«, die laut Mietvertra­g vom Vermieter genehmigt werden müsse. Der Anwalt der WG sagt, ein solcher Mietvertra­g sei unzulässig. Denn es bedeute, dass die Wohngemein­schaft auch keine Be- sucher aufnehmen dürfte. Der absurde Prozess der WG ist in Form einer Daily Soap dokumentie­rt. Unter dem Titel »Verdrängt in Berlin« kann die Geschichte detaillier­t nachgelese­n werden.

Die Hausverwal­tung war auf telefonisc­he Nachfrage zunächst nicht bereit, sich zu dem Fall zu äußern.

Obwohl das Räumungsve­rfahren noch vor dem Bundesgeri­chtshof anhängig ist, soll am Mittwoch geräumt werden. »Wenn man geräumt ist, ist man raus, selbst wenn man dann Recht bekommt«, so fasst der Bewohner die vorläufige Vollstreck­barkeit aus Mieter_innenpersp­ektive zusammen.

Das Bündnis »Zwangsräum­ung verhindern«, »Hände weg vom Wedding« und die Organisato­ren der Mietenwahn­sinn-Demonstrat­ion rufen für Mittwochfr­üh zu Sitzblocka­den auf, um der Gerichtsvo­llzieherin den Zutritt zu verwehren. Tim Riedel von »Zwangsräum­ungen verhindern« hofft, dass noch etwas vom Schwung vorhanden ist und zeigt sich optimistis­ch: »Insgesamt ist gerade viel los und die Leute machen auch viel.« Eine Nachbarsch­aftsversam­mlung im Wedding zu der Räumung war am Freitag gut besucht und Anfang April fand vor dem Sitz der Hausverwal­tung in Charlotten­burg eine Protestkun­dgebung statt.

»Es haben sich Abgründe in der Justiz aufgetan, was Mieterfein­dlichkeit betrifft.« Bewohner der bedrohten Wohngemein­schaft

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Proteste gegen Zwangsräum­ungen gab es in den vergangene­n Jahren immer wieder.

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