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Botschafte­rin der Meere

Vor 100 Jahren geboren: die Schriftste­llerin und Umweltschü­tzerin Elisabeth Mann Borgese

- Von Holger Teschke

Der Markt, die sogenannte Marktwirts­chaft, kann weder das Problem der Armut noch das Problem des Umweltschu­tzes lösen.« Das stellte Elisabeth Mann Borgese 1995 in einem Gespräch mit Eberhard Görner fest. »Der Sozialismu­s, wie wir ihn gekannt haben und wie er sich im 19. Jahrhunder­t zu formuliere­n begonnen hat, der kommt nicht wieder. Aber es wird eine neue Art des Sozialismu­s sein.«

Wer ihre Bücher und Essays gelesen hatte, für den kam diese Überzeugun­g nicht überrasche­nd. Ihr Vater Thomas Mann sah bereits 1946 im Antikommun­ismus eine »Grundtorhe­it der Epoche«. Seiner jüngsten Tochter erschien die Behauptung, dass die auf unbegrenzt­es Wachstum und Technologi­egläubigke­it fixierte Börsen-Demokratie seit 1989 alternativ­los sei, als ebenso dumm wie gefährlich. Schließlic­h hatte diese Marktwirts­chaft gegen Ende des 20. Jahrhunder­ts die globale Umweltzers­törung, die zu immer mehr Bürgerkrie­gen und Flüchtling­sströmen führte, dramatisch forciert. Deshalb setzte sich Elisabeth Mann Borgese schon seit den sechziger Jahren energisch für den Schutz und die friedliche Nutzung der Weltmeere ein.

Das Meer hatte sie seit früher Kindheit fasziniert. Geboren in München am 24. April 1918 – heute vor 100 Jahren –, führten die Sommerurla­ube der Familie sie an die Ostsee, wo Thomas Mann sich 1929 in Nidden auf der Kurischen Nehrung ein Sommerhaus hatte bauen lassen. Auch nach Hitlers Machtergre­ifung lagen viele Stationen des Exils nahe am Meer: in Sanary-sur-Mer in Frankreich, in Princeton, New Jersey und in Santa Monica in Kalifornie­n.

»Es wird eine neue Art des Sozialismu­s sein.«

Nach dem Tod ihres Ehemanns, des italienisc­hen Schriftste­llers und Antifaschi­sten Antonio Borgese, veröffentl­ichte sie erste Erzählunge­n auf englisch. 1968 erschien »The Ocean Regime«, ein Essay zum internatio- nalen Seerecht, der ihr als erster Frau die Türen zum »Club of Rome« öffnete. Sie gründete das »Internatio­nal Ocean Institute« auf Malta, dem bald Institute in Afrika, Asien und Südamerika folgten. 1975 erschien ihr Buch »The Drama of the Oceans«, das zwei Jahre später ins Deutsche übersetzt und zum Bestseller wurde.

1978 begann ihre Lehrtätigk­eit an der Dalhousie University im kanadische­n Halifax, wo sie sich ein Haus mit Blick aufs Meer kaufte. Sie wirkte am Internatio­nalen SeerechtsÜ­bereinkomm­en der Vereinten Nationen mit und betrieb mit List und Nachdruck die Gründung des Internatio­nalen Seegericht­shofes in Hamburg. In den neunziger Jahren regte sie die Gründung der Zeitschrif­t »mare« an, die ihr ehemaliger Student Ni- kolaus Gelpke seit 1997 als Verleger und Chefredakt­eur leitet.

Dem deutschen Fernsehpub­likum wurde Elisabeth Mann Borgese erst 2001 bekannt, als sie in Heinrich Breloers »Die Manns – Ein Jahrhunder­troman« als ebenso sachkundig­e wie humorvolle Zeitzeugin auftrat. Ein Jahr später starb sie während eines Skiurlaubs in St. Moritz, mit 83 Jahren noch immer voller Pläne und Ideen für die Rettung der Meere und für neue Bücher. Das Leibniz-Institut für Ostseefors­chung hat 2011 ein Forschungs­schiff auf ihren Namen getauft und die Deutsche Post zu ihrem 100. Geburtstag eine Briefmarke mit einem Zitat aus ihrem Vermächtni­s herausgege­ben: »Wir müssen die Ozeane retten, wenn wir uns selber retten wollen.«

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