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Die Nummer 1 an der Anfield Road

Von Mainz nach Liverpool: Wie der Deutsche Loris Karius Stammtorhü­ter der Reds wurde

- Von Frank Hellmann

An diesem Dienstag trifft der FC Liverpool im Halbfinalh­inspiel der Champions League auf den AS Rom. Das Tor der Reds wird wieder Loris Karius hüten, der eine erstaunlic­he Entwicklun­g genommen hat. »Alles Gute!« Oder einfach nur: »Good luck!« Das eine Mal reicht eine Kurznachri­cht, um Anteilnahm­e auszudrück­en. So manch anderes Mal brauchte es aber ein längeres Telefonat, wenn die Torwartwel­t bei Loris Karius mal wieder in Unordnung geraten war, was wohl zwangsläuf­ig vorkommt, wenn einer mit 23 auszieht, um die Anfield Road zu erobern. »Wir haben immer noch Kontakt, reden oft miteinande­r«, erzählt Stephan Kuhnert, Über den FC Liverpool, aber auch den FSV Mainz 05, wo der Ex-Torhüter Kuhnert auch als Torwarttra­iner noch Kultstatus genießt.

»Typ Jungprofi, der um den Tritt in den Allerwerte­sten bettelte.« Stephan Kunert, Entdecker und Torwarttra­iner von Loris Karius in Mainz

In den vergangene­n Tagen aber herrschte eher Funkstille: Tipps für das Halbfinale in der Champions League zwischen dem FC Liverpool und AS Rom an diesem Dienstag braucht Kuhnert nicht zu geben. »Aber ich schaue mir das natürlich am Fernseher an.« Dass er vom Sofa mitfiebert, versteht sich von selbst, mischt sich doch auch etwas Stolz in die Beobachtun­g. Mit der Ernennung zum Stammkeepe­r seit Jahresbegi­nn sei bei Karius nicht nur das Selbstvert­rauen gewachsen: »Loris ist viel athletisch­er geworden, wirkt körperlich noch stabiler und hat an Masse zugelegt.«

Der blonde Deutsche ist beim FC Liverpool zur Stütze gereift. Im Viertelfin­ale gegen Manchester City hielt er das sechste Mal seinen Kasten in der Königsklas­se sauber. So oft wie kein anderer Keeper. Abgelegt hat der jetzt 24-Jährige das, was sein einstiger Ausbilder das »Manuel-Neuer-Syndrom« nennt: unbedingt bei wenigen Gelegenhei­ten zeigen zu wollen, was man kann. Verbunden mit dem Risiko, Bälle anlaufen oder abgreifen zu wollen, wo ein Torwart besser wegbleibt. Dass Karius dabei Fehler unterliefe­n, verwundert­e Kuhnert nicht: »Er war es aus Mainz gewohnt, dass er mehr zu tun bekommt.«

Am Bruchweg begann die Zusammenar­beit 2011, als Karius zunächst Spielpraxi­s in der zweiten Mainzer Mannschaft sammelte. Kuhnert erkannte schnell das Talent – aber auch den Nachholbed­arf. »Anfangs hat er sich schwer getan, den richtigen Fleiß zu entwickeln. Er war der Typ Jungprofi, der förmlich um den Tritt in den Allerwerte­sten bettelte.« Es brauchte erst einige Kapriolen und verletzung­sbedingter Auszeiten der Platzhalte­r Christian Wetklo und Heinz Müller, dass Karius zeigen durfte, was er drauf hat. In der Spielzeit 2015/2016 war der 1,90-Meter-Mann dann schon so gut geworden, dass Jürgen Klopp von der Insel anrief.

Karius sagte sofort zu, wohl wissend, dass schmerzvol­le Lernprozes­se zur Methode des ehemaligen Mainzer Trainers gehören. In seiner ersten Saison beim FC Liverpool erlitt der Neuzugang zunächst einen Handbruch, rückte trotzdem schnell unter die Latte, um den Platz bald wieder an den Belgier Simon Mignolet zu verlieren. Der Deutsche hatte sich einige Wackler zu viel geleistet. Denn in kaum einem anderen Klub zählt das Wort der Legenden aus den glorreiche­n Epochen der 70er und 80er Jahre so viel: Wenn alte Kämpen wie Phil Thompson oder Kenny Daglish in der Torwartfra­ge den Daumen senken, kann sich selbst Klopp der Meinung kaum entziehen. Die Versöhnung begann in dieser Spielzeit mit klassische­r Arbeitstei­lung: Mignolet spielte in der Premier League, Karius in der Champions League, was letzterem nur bedingt gefiel: »Befriedige­nd war das natürlich nicht.«

Sein beschwerli­cher Aufstieg zur Nummer eins weist viele Parallelen zu Marc-André ter Stegen beim FC Barcelona auf. Der Schlussman­n besitzt nun beste Chancen, die WM als Nummer eins zu bestreiten, sollte Manuel Neuer nicht rechtzeiti­g genesen. Dass für die Mission in Russland gerade ernsthaft über die Nominierun­g von Sven Ullreich, nicht aber über Karius diskutiert wird, findet Kuhnert auf der einen Seite verwunderl­ich. Auf der anderen Seite erinnert der 57-Jährige: »Loris hat einmal in einem Interview über die Nationalma­nnschaft gesprochen und danach gleich gepatzt: Deshalb spricht er das nicht mehr an.«

Aber wenn nach der WM vielleicht deutsche Torwartkar­ten völlig neu gemischt werden müssen, wäre es sicher ein Fehler, den Rückhalt der »Reds« völlig zu vergessen. Kuhnert sieht nämlich bei Karius Qualitäten, die im Business helfen können: »Er ist einfach eine coole Socke. Und jetzt hat er das Standing, das er lange vermisst hat.« Das Duell gegen die Roma wird aus Sicht des Förderers sachdienli­che Hinweise höchster Güte geben, zumal Karius’ Gegenüber Alisson Ramses Becker, kurz Alisson, laut dem »Expected Goals«-Modell, sogar der beste Torwart Europas ist.

Als den brasiliani­schen Ballfänger von Internacio­nal Porto Alegre nur einige Experten kannten, »fiel er mir in einem Freundscha­ftsspiel gegen Bayer Leverkusen auf«, erzählt Kuhnert, »leider war er da schon zu teuer.« Die Mainzer verpflicht­eten dann 2016 den Dänen Jonas Lössl, während Alisson zum AS Rom wechselte. Nun ist der 25-Jährige auch Stammtorwa­rt von Brasiliens Nationalma­nnschaft und darf sich bei der Weltmeiste­rschaft in Russland auf großer Bühne beweisen. Aber die bietet auch ein ChampionsL­eague-Halbfinale, in dem sich laut Kuhnert »zwei richtig gute Torhüter« gegenübers­tehen.

 ?? Foto: imago/Andy Rowland ?? Resolut gegen Freund und Feind: Torwart Loris Karius (M.) nimmt im Luftkampf mit seinem Liverpoole­r Kollegen Virgil van Dijk (r.) und Manchester Citys Stürmer Raheem Sterling keine Rücksicht.
Foto: imago/Andy Rowland Resolut gegen Freund und Feind: Torwart Loris Karius (M.) nimmt im Luftkampf mit seinem Liverpoole­r Kollegen Virgil van Dijk (r.) und Manchester Citys Stürmer Raheem Sterling keine Rücksicht.

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