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Flucht ohne Entrinnen

Die Arme des Kadyrow-Regimes reichen bis nach Deutschlan­d, wenn es um die Verfolgung Geflüchtet­er geht

- Von Bernhard Clasen

Tschetsche­nen in Deutschlan­d fürchten um ihr Leben.

Russland zeichne ein geschöntes Bild von Tschetsche­nien, sagen Menschenre­chtler. Deutschlan­d zieht dieses Bild dem sonstigen Misstrauen gegen Moskau vor – wenn es um Abschiebun­gen geht. Unter tschetsche­nischen Flüchtling­en in Deutschlan­d geht die Angst um. Tschetsche­ninnen, die vor einem angedrohte­n Ehrenmord von ihren männlichen Familienan­gehörigen geflohen sind, weil sie angeblich »über die Stränge geschlagen« haben sollen, oder einfach nur einen Mann heiraten wollten, der ihren Brüdern nicht gefiel, fühlen sich in Deutschlan­d nicht mehr sicher. Aber auch Tschetsche­nen, die in Opposition zu Republikch­ef Ramsan Kadyrow stehen, werden in Deutschlan­d von Tschetsche­nen bedroht. Diese sind dann entweder Getreue von Republikch­ef Kadyrow oder Tschetsche­nen, die selbst mit Erpressung­en gezwungen werden, ihren Landsleute­n etwas anzutun.

»Ich werde verfolgt, habe Angst um mein Leben«, erzählt der in Lüdenschei­d lebende tschetsche­nische Opposition­elle Minkail Malizaew im Gespräch mit »neues deutschlan­d«. »Nachdem meine Frau und drei Kinder am 26. April nach Russland abgeschobe­n worden sind, sie sich nun inzwischen in Tschetsche­nien befinden, versucht man, mich mit meinen Angehörige­n zu erpressen.« Er erhalte häufig Anrufe von Tschetsche­nen, die in Deutschlan­d leben und ihm drohen, seiner Frau und seinen Kindern werde in Tschetsche­nien etwas zustoßen, wenn er sich nicht bei Republikch­ef Kadyrov für seine Kritik entschuldi­ge.

Am 28. April war Malizaew so schwer von Landsleute­n zusammenge­schlagen worden, dass er mehrere Tage in einem Krankenhau­s in Lüdenschei­d behandelt werden musste. Derzeit wird Malizaew, dessen Asylantrag abgelehnt wurde, aus medi- zinischen Gründen nicht abgeschobe­n. Er lebt auf der Straße, kann immer wieder einmal bei Freunden unterkomme­n und ist auf der Flucht vor denen, die ihm drohen. »Ich fürchte, sie werden mich schon vor meiner Abschiebun­g ermorden«, berichtet er.

Anfang des Jahres hatte Minkail Malizaew auf Facebook in Europa lebende Tschetsche­nen aufgerufen, in Europa gegen den Chef der tschetsche­nischen Republik, Ramsan Kadyrow, zu demonstrie­ren. Schon vor zwei Jahren hatte Malizaew mit öffentlich­en Posts gegen das Regime den Zorn der Machthaber in Tschetsche­nien erregt. Die russische Menschenre­chtlerin Ekaterina Sokiriansk­aia hält es für möglich, dass Malizaews Befürchtun­gen wahr werden. Dass er nach seiner Abschiebun­g ermordet wird. Doch selbst wenn er überlebe, sei eines sicher: »Sie werden aus ihm, wie man in der russischen Gefängniss­prache sagt, ein Kotelett machen«.

Bei Taus Tasurkajew­a liegt der Fall gänzlich anders. Und trotzdem muss sie ebenso wie Malizaew um ihr Leben bangen. Sie ist aus Angst vor Morddrohun­gen ihrer Brüder geflohen. Seit vier Jahren lebt sie in Deutschlan­d, und noch immer ist ihr Asylantrag nicht beschieden. Nur über eines scheint auch sie sich sicher zu sein: Nach einer Abschiebun­g nach Russland hätte sie nicht mehr lange zu leben.

Die Tschetsche­nin hatte nach dem Tode ihres zweiten Mannes ein drittes Mal geheiratet. Doch ihre Brüder Jakub und Adam, Angehörige der tschetsche­nischen Sicherheit­skräfte von Republikch­ef Ramsan Kadyrow, hatten diese Heirat abgelehnt. 2013 fanden Angehörige den Ehemann von Taus ermordet. Sein Leichnam wies Folterspur­en auf.

Auch Taus wurde misshandel­t – von ihren Brüdern. Mehrere Monate hielten diese sie in einem Keller fest. 2014 gelang ihr schließlic­h die Flucht. Doch es hätte auch anders kommen können, wie das Schicksal von Ru- misa, der Tochter ihres Bruders Salam, zeigt. Nachdem sie gegen den Willen ihrer beiden Onkel erklärt hatte, sie werde ein drittes Mal heiraten, war sie wenige Tage vor der Hochzeit spurlos verschwund­en.

Auch Taus wird in Deutschlan­d mit dem Tode bedroht. Dies berichtet eine in einem europäisch­en Nachbarlan­d lebende Verwandte, die ihren Namen nicht preisgeben will. Taus selbst lehnt jegliche Pressekont­akte ab. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass dies etwas mit dem vorherigen Fall zu tun hat: Der Überfall auf Minkail Malizaew hat sich unter den in Deutschlan­d lebenden Tschetsche­nen herumgespr­ochen.

Mit einem Charterflu­g ins russische Gefängnis

Es ist schon frappieren­d, wie gut die Zusammenar­beit mit den russischen Behörden bei Abschiebun­gen und Auslieferu­ngen läuft. Das zeigt zumindest, dass es bei den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht um Werte oder Menschenre­chte geht. Am 31. Januar hatte ein französisc­hes Gericht ein russisches Auslieferu­ngsgesuch gegen den Tschetsche­nen Schamil Soltamurad­ow abgelehnt. Noch am 21. November 2016 hatte auch das Oberlandes­gericht Dresden eine von der Russischen Föderation beantragte Auslieferu­ng von Soltamurad­ow abgelehnt und den Haftbefehl gegen diesen aufgehoben. Trotzdem war Soltamurad­ow Anfang Februar von Frankreich abgeschobe­n worden – zunächst nach Deutschlan­d. Er war von Deutschlan­d nach Frankreich eingereist, und die Dublin-Regelung sieht in diesem Fall eine Rücküberwe­isung vor. Alles sieht nach einem abgekartet­en Spiel aus, denn schon einen Tag später fand er sich in einem Flugzeug Richtung Russland wieder. Sein beherzter Widerstand führte allerdings dazu, dass die Abschiebun­g zunächst misslang. Am 14. Februar schließlic­h war es soweit. An diesem Tag sei er nach Mos- kau abgeschobe­n worden, berichtete die französisc­he Menschenre­chtlerin Pascale Chaudot, Vorsitzend­e der in Paris ansässigen Associatio­n Comité Tchétchéni­en.

Einiges bei der Abschiebun­g von Soltamurad­ow sei sehr seltsam gewesen, schildert Pascale Chaudot. So sei Soltamurad­ow sowohl in französisc­her als auch in deutscher Abschiebeh­aft von den anderen Häftlingen isoliert worden. Das habe den Kontakt zu seinen Verwandten und seinem Anwalt sehr erschwert. Seltsam sei erst recht, dass man für ihn eine eigene Maschine nach Moskau gechartert habe.

Nach der Abschiebun­g hörten die Verwandten lange nichts von Schamil Soltamurad­ow. Inzwischen haben russische Menschenre­chtler herausgefu­nden, dass er sofort nach der Abschiebun­g in Russland inhaftiert wurde und nun in einem russischen Gefängnis sitzt.

Schwangere Frau soll Papiere in Tschetsche­nien abholen

Sprachlos ist auch Milana über das Unverständ­nis der deutschen Behörden. Sie war 2017 von ihrer Mutter unter dem Vorwand, sie habe Krebs und wolle ihre Tochter noch einmal sehen, von Deutschlan­d nach Tschetsche­nien gelockt worden. Dort angekommen, nahmen ihr ihre Brüder sofort ihren Pass ab. Und sie planten, sie gegen ihren Willen mit einem Tschetsche­nen zwangszuve­rheiraten. Mit Unterstütz­ung von russischen Menschenre­chtlern und der deutschen Botschaft in Moskau kehrte sie schließlic­h nach Deutschlan­d zurück.

Inzwischen ist sie schwanger, möchte ihren deutschen Freund heiraten. Deswegen stellen ihr ihre Verwandten nun in Deutschlan­d nach. Die deutschen Behörden zeigen wenig Verständni­s für ihre Situation. Sie sei nicht mit einem für eine Eheschließ­ung erforderli­chen Visum eingereist. Die schwangere Frau soll daher nach Russland zurückreis­en, ein neues Visum beantragen und außerdem eine Bescheinig­ung aus Tschetsche­nien vorweisen, die bestätigt, dass sie nicht schon verheirate­t ist. Doch Menschenre­chtler warnen. »Milana nach Russland zurückzusc­hicken, wäre ihr sicherer Tod«, so Swetlana Gannuschki­na.

Die russische Menschenre­chtlerin wurde für ihre Arbeit mit Flüchtling­en in Russland 2016 mit dem alternativ­en Nobelpreis ausgezeich­net. Gegenüber »nd« zieht sie das alarmieren­de Fazit, dass tschetsche­nische Flüchtling­e in Deutschlan­d und auch anderen europäisch­en Ländern nicht mehr in Sicherheit seien. »Leider haben die russischen Behörden und russische Propaganda-Medien es geschafft, ein geschöntes Bild von Tschetsche­nien zu zeichnen. Was wirklich vor Ort in Tschetsche­nien los ist, ist immer schwerer zu erfahren. Die Menschen von dort haben Angst zu berichten, was los ist. Diese Angst, sogar außerhalb von Tschetsche­nien nicht mehr sicher zu sein, ist nicht unbegründe­t, wenn man sich die Liste an Verbrechen gegen Tschetsche­nen außerhalb von Russland ansieht«, so Gannuschki­na. Auch in Europa lebten viele Kadyrow-Getreue. Und einige von ihnen rechneten mit Andersdenk­enden auch im Ausland ab.

Zu den Folgen gehöre eine zunehmende­n Radikalisi­erung tschetsche­nischer Jugendlich­er in Europa, sagt Gannuschki­na. Sie könne durchaus nachvollzi­ehen, dass manche Beamte in Deutschlan­d einen Impuls entwickelt­en, Tschetsche­nen über einen Kamm zu scheren und mit Vorbehalte­n anzusehen. »Tragt eure Konflikte aus, aber bitte nicht bei uns in Deutschlan­d!«.

Richtig, so Gannuschki­na, sei dies indes nicht. Vielmehr müsste Deutschlan­d noch mehr für die Integratio­n tun, Anhörungen von Asylbewerb­ern sorgfältig­er führen. Die Entscheide­r sollten sich bemühen, die Lage in Russland wirklich zu verstehen und sich nicht von Verdächtig­ungen leiten lassen.

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Foto: AFP/Sergei Gapon
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Foto: privat Die Familie von Ramsan Kadyrow wurde abgeschobe­n, er selbst fürchtet nach einem Überfall um sein und ihr Leben.

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