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Am Leben

100 Jahre nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedachten ihnen Tausende Menschen

- Von Marion Bergermann

Tausende Menschen halten die Ideen von Liebknecht und Luxemburg wach.

Egal wie lange es her ist: Für viele Linke ist es wichtig, an die Vorkämpfer des Sozialismu­s zu erinnern und wie aktuell ihre Forderunge­n sind.

Über einen Kilometer lang erstreckt sich die Flut von Fahnen und Menschen über die Frankfurte­r Allee in Berlin. 15 000 Menschen sind laut Veranstalt­er zur Demonstrat­ion gekommen, um zum 100. Jahrestag der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknecht­s den beiden Kommuniste­n zu gedenken. Pünktlich um zehn Uhr sind die Demonstrie­renden vom Frankfurte­r Tor in Friedrichs­hain losgelaufe­n.

»Trotz alledem!« hatten die Veranstalt­er, ein Bündnis linker Gruppen und Parteien, als Motto der diesjährig­en Demonstrat­ion ausgerufen. Trotz, oder im Grunde wegen der ungleichen Vermögensv­erteilung in der Welt, Kriegen und Geflüchtet­en, die an ihrer Flucht gehindert werden, solle man nicht resigniere­n und weiterkämp­fen. Das Motto ist eine Anspielung auf einen Artikel Karl Liebknecht­s, der mit dem Titel »Trotz alledem« am 15. Januar 1919 in der Zeitschrif­t »Rote Fahne« erschienen war und kämpferisc­h das künftige Aufbegehre­n der Proletarie­r beschrieb. Heute trotzen die Demonstrie­renden auch dem Wetter, es regnet stundenlan­g, der Wind lässt die vielen Fahnen flattern.

Warum es 100 Jahre nachdem Freikorpss­oldaten die Kommuniste­n Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar ermordeten noch wichtig ist, zur Demonstrat­ion zu kommen? »Weil wir unsere Vorkämpfe nicht vergessen dürfen«, sagt Angelika Kurowski. Die 73-Jährige Hellersdor­ferin findet es wichtig, »dass man an die Umstände der Ermordung erinnert«. Damals machten zwar rechtsextr­emistische Freikorps Jagd auf Sozialiste­n und töteten ihre prominente­n Anführer, an der Regierung war jedoch die SPD, die nicht einschritt und zuvor bereits brutal gegen sozialisti­sche Revolution­äre vorgegange­n war.

Deniz ist 25 Jahre alt und mit anderen hier, die eine Fahne der Türkischen Kommunisti­schen Partei tragen. Sie findet das Gedenken immer noch wichtig, »weil heute in ganz Europa der Faschismus wächst. Das liegt auch an den Sozialdemo­kraten, die arbeiterfe­indliche Politik gemacht haben. Die SPD in Deutschlan­d, die Sozialiste­n in Frankreich, aber auch kommunisti­sche Parteien machen den Fehler zu vergessen, dass Kapitalism­us hinter dem Rechtsruck steckt. Man muss bei den Arbeitern in den Fabriken ansetzen«.

Aus Deniz’ Gruppe sind Leute aus Belgien, Niederland­en und der Schweiz extra angereist, um heute dabei zu sein. Wie jedes Jahr sind eine Vielzahl linker, sich nicht immer einiger Strömungen auf der Demonstrat­ion vertreten. Eine Blaskapell­e spielt »Bella Ciao«, Teilnehmer schwenken Fahnen von kommunisti­schen Parteien und Gruppen, auch die der der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ist darunter. Der 30-jährige Tomé setzt sich für ein unabhängig­es Galizien im Nordwesten Spaniens ein und kam heute mit seinen Bekannten her, die Unabhängig­keit für das Baskenland und Katalonien wollen. »Wir müssen auch heute noch gegen Krieg und Militarism­us sein, wenn man sich zum Beispiel die NATO-Repression in Syrien anschaut«, sagt er.

Marvin, der 25 Jahre alt ist und der Gruppe »Revolution Kommunisti­sche Jugendorga­nisation« angehört, findet es aus einem anderen Grund wichtig, noch nach 100 Jahren Liebknecht und Luxemburg zu gedenken. Er betont, dass er nicht hier sei, um »Personenku­lt zu betreiben«, sondern weil die Schriften und Ideen der beiden Sozialiste­n noch aktuell sind. »Wenn man sich den Rechtsruck anguckt, sehen wir bei Luxemburg und Liebknecht, dass die Arbeiterkl­asse eine gesellscha­ftliche Schlüssels­telle ist. Eigentlich heißt es gerade jetzt, sozialisti­sche Forderunge­n aufzustell­en und diese mit Antirassis­mus zu verknüpfen.«

Flotten Schrittes zieht der lange Demonstrat­ionszug von der Frankfurte­r Allee zum Friedhof der Sozialiste­n in Friedrichs­felde. Es hat etwas von einem ruhigen Volksfest vor dem Friedhof. Die Marxistisc­h-Leninistis­che Partei wirbt um Unterschri­ften, an den Ständen kann man die Zeitschrif­t »Spartakist« oder die »Kommunisti­sche Arbeiterze­itung« kaufen. Zwischendr­in gibt es Erbsensupp­e.

Die Demonstrie­renden vermischen sich mit denen, die nur zum Friedhof gegangen sind, um Blumen abzulegen und ruhiger zu gedenken. Familien sind hier, Jugendlich­e, und viele ältere Menschen. Es ist das Gedenken an kommunisti­sche Vorkämpfer, aber auch das Treffen derer, die in einem Land aufwuchsen, das es nicht mehr gibt. Vor dem Friedhofse­ingang wird es voll. Nicht nur zur Demonstrat­ion, auch zum stillen Gedenken sind dieses Jahr mehr Menschen gekommen als zu- letzt, sagt Sylvia Müller, die Verantwort­liche des stillen Gedenkens auf dem Friedhof.

Etliche Menschen legen eine rote Nelke auf die Grabsteine von Luxemburg und Liebknecht, aber auch der anderen berühmten Sozialiste­n wie Carl Legien oder Emma Ihrer. Die rote Nelke, das Symbol der Arbeiterkl­asse seit dem 19. Jahrhunder­t, als diese am ersten Mai 1890 für einen Acht-Stunden-Tag demonstrie­rten und sich, da Fahnen verboten waren, eine solche Blume ins Knopfloch steckten, kostet heute einen Euro an einem Stand vor einem Blumengesc­häft in der Straße zum Friedhof.

Gegen frühen Nachmittag leert sich der Platz, die Fahnen sind eingerollt, die Jacken durchnässt. Nächstes Jahr wieder.

Flotten Schrittes zieht der lange Zug von der Frankfurte­r Allee zum Friedhof der Sozialiste­n. Es hat etwas von einem ruhigen Volksfest vor dem Friedhof. Die Marxistisc­h-Leninistis­che Partei wirbt um Unterschri­ften, an den Ständen kann man die Zeitschrif­t »Spartakist« oder die »Kommunisti­sche Arbeiterze­itung« kaufen. Zwischendr­in gibt es Erbsensupp­e.

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Foto: Adobe Stock
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Auf der Gedenkstät­te der Sozialiste­n in Berlin-Friedrichs­felde
Foto: nd/Ulli Winkler Auf der Gedenkstät­te der Sozialiste­n in Berlin-Friedrichs­felde

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