Tsipras stellt Vertrauensfrage
Mazedonien-Kompromiss löst in Griechenland Koalitionskrise aus
Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos ist am Sonntag zurückgetreten und will die Koalition mit der Regierungspartei SYRIZA von Premier Alexis Tsipras aufkündigen. Grund dafür ist der Namenskompromiss mit Mazedonien – der rechte Politiker Kammenos will den neuen Namen Nord-Mazedonien für das Nachbarland nicht mittragen. Tsipras forderte daraufhin eine Vertrauensabstimmung im Parlament, das in Kürze über die Umbenennung des Nachbarlandes Mazedoniens abstimmen soll.
Nach Angaben der halbamtlichen Nachrichtenagentur ANA könnte die Parlamentsdebatte über ein Misstrauensvotum bereits Dienstag beginnen und am Donnerstag abgeschlossen sein. Kammenos kündigte an, dass er gegen die Regierung stimmen werde.
Tsipras plant, bis zu den Parlamentswahlen im Oktober dieses Jahres mit den Stimmen von unabhängigen Abgeordneten und Parlamentariern kleinerer Parteien weiterzuregieren. Der bisherige Koalitionspartner, die rechte Partei der Unabhängigen Griechen (ANEL) von Kammenos, verfügt im griechischen Parlament über sieben Sitze und war in den vergangenen vier Jahren bei allen wichtigen Entscheidungen der Mehrheitsbeschaffer für den Premier. »Gemeinsam haben wir das Land aus den Hilfsprogrammen geführt«, sagte Kammenos. Dem Abkommen zum neuen Namen für das Nachbarland könne er jedoch nicht zustimmen.
Athen und Skopje hatten im Juni 2018 vereinbart, dass sich die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien in Nord-Mazedonien umbenennt. Konservative und Nationalisten beider Länder kritisieren das Abkommen. Griechenland fordert seit Jahrzehnten von Mazedonien, seinen Namen zu ändern, weil es in Nordgriechenland eine gleichnamige Provinz Mazedonien (altgriechisch: Makedonia) gibt.
Wer ist Panos Kammenos? Die Frage stellt sich seit gestern nicht mehr. Der auf der politischen Weltbühne bisher weitgehend unbekannte Chef der »Unabhängigen Griechen« (ANEL), dem Juniorpartner der linken Syriza von Regierungschef Alexis Tsipras ließ Nachrichtenagenturen zu Hochform auflaufen, als er am Sonntag den Rückzug der ANEL-Minister aus dem Kabinett bekanntgab. Begründung: Seine Partei könne den Kompromiss im Namensstreit mit Mazedonien nicht länger mittragen.
Gemeint war ein Abkommen, das Tsipras mit seinem mazedonischen Amtsbruder Zoran Zaev im Juni nach jahrzehntelangem Streit ausgehandelt hatte. Athen hatte den Namen Makedonien bisher allein für seine eigene Nordregion beansprucht und Mazedoniens NATO- und EU-Beitritt per Veto verhindert. Auch in der Uno und anderen internationalen Organisationen firmiert das Land daher offiziell als »ehemalige jugoslawische Teilrepublik Mazedonien.«
Sie, so die Kompromissformel, soll sich künftig Nordmazedonien nennen. Die Namensänderung und die dazu nötigen Grundgesetzänderungen verabschiedete die Sobranie – das mazedonische Parlament – nach monatelangem Ringen mit sehr knapper Zweidrittelmehrheit.
Zaev strahlte und fand sogar warme Worte für sein ungeliebtes Parlament. Die Sobranie habe mit ihrer »großartigen und verantwortungsbewusste Entscheidung« … den »ersehnten Weg in die europäische Völkerfamilie und in die NATO« frei gemacht« Mit Blick auf Russland, das seinen Einfluss auf dem Westbalkan restaurieren will, lobte auch der Westen das Ergebnis.
Doch das war dem Ausstieg von ANEL aus der Koalition. Zwar verfügt Tsipras im griechischen Parlament, das den Vertrag ebenfalls noch ratifizieren muss, weiter über die dazu nötige einfache Mehrheit. Allerdings über eine ähnlich hauchdünne wie Zaev.
Sollten die Hellenen das Abkommen nicht ratifizieren, will auch Mazedonien Namens- und Verfassungs- änderungen rückgängig machen. Und die Architekten des Kompromisses könnten dabei ihr Amt verlieren. Denn beide haben die Opposition gegen sich. Und die hat hier wie dort bereits neue Massenproteste gegen den Deal für Mitte Januar angekündigt. Genau dann, wenn Griechenland ratifizieren will.
Bei den Protesten in Skopje ist die der Führungsriege der 2016 abgewählten Nationalkonservativen: der euroskeptischen und moskau- freundlichen VMRO mit dabei. Sie fordert schon seit dem Referendum zum Namenskompromiss im September vorgezogene Neuwahlen. Denn die Abstimmung scheiterte: 63 Prozent der Wähler blieben fern. Das, so das VMRO-Narrativ, käme einem Misstrauensvotum gegen Zaev und einer Absage an dessen prowestlichem Kurs gleich.
Genauso miese Zustimmungsraten befürchten Experten auch bei Neuwahlen, die Zaev sich nach eigenen Worten »ernsthaft« überlegen will. Europa habe auf dem Westbalkan an Strahlkraft verloren. Vor allem wegen Kroatien, das fünfeinhalb Jahre nach dem Beitritt noch immer zu den EUSchlusslichtern gehört. Dazu kommt, dass vor allem ethnische Albaner – mindestens 25 Prozent der Bevölkerung – am Referendum teilnahmen. Die Titularnation blieb den Urnen fern. Aus Frust über das neue Sprachengesetz und andere Konzessionen, von denen zwei Albaner-Parteien 2017 eine Koalition mit Zaevs Sozialdemokraten abhängig machten.
Doch selbst, wenn Griechenland ratifiziert und Zaev im Amt bleibt: Mazedoniens Staatspräsident Giorge Ivanov, der die Namens- und Verfassungsänderungen per Unterschrift in Kraft setzen muss, ist gegen den Kompromiss mit Athen. Auch droht auf den letzten Metern nach Europa noch Widerstand von Bulgarien.
Trotz Freundschaftsvertrag, so Außenministerin Ekatarina Zaharieva, gebe es »offene Fragen zu Geschichte und Kultur.« Gemeint ist die Vereinnahmung von Herrschern mittelalterlicher Reiche, die das Gebiet beider Staaten umfassten, sowie von Dichtern und Denkern für den jeweils eigenen Ethnos. Die beiden Sprachen unterscheiden sich kaum. Mit einer »derartigen Mentalität« Bulgariens, so Vizepremier und Verteidigungsminister Krasimir Karakatchanov, dürfe Mazedonien nicht NATO-Mitglied werden.
Sollten die Hellenen das Abkommen nicht ratifizieren, will auch Mazedonien Namensund Verfassungsänderungen rückgängig machen.