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Die Ärmsten sind in Mitte

Ein neuer Bericht zur sozialen Lage offenbart große Unterschie­de zwischen den Bezirken

- Von Marie Frank

Hohe Arbeitslos­igkeit, niedriger Bildungsst­and, geringes Einkommen und Kinderarmu­t: Um die soziale Lage in Berlin-Mitte ist es schlecht bestellt – gerade im Vergleich zu anderen Bezirken.

Berlin-Mitte ist ein vielfältig­er Bezirk, das zeigt sich schon an der Zusammense­tzung seiner Bewohner*innen: Mehr als die Hälfte der Menschen hat einen Migrations­hintergrun­d, in Gesundbrun­nen und im Zentrum von Wedding sind es sogar über 60 Prozent. Ihre Herkunft ist dabei je nach Ortsteil sehr unterschie­dlich. Während in Wedding und Gesundbrun­nen relativ viele türkeistäm­mige Menschen leben, sind es im Zentrum vor allem Menschen aus EULändern. »Wir haben einen echten Gemischtwa­renladen«, so der stellvertr­etende Bezirksbür­germeister und Bezirkssta­dtrat Ephraim Gothe (SPD) bei der Vorstellun­g des Berichts zur Bevölkerun­gsentwickl­ung und sozialen Lage in Mitte.

Insgesamt zeichnet Gothe ein düsteres Bild der Lage im Bezirk: »Von Chancengle­ichheit kann in Berlin nicht die Rede sein«, konstatier­t er. »Wird ein Kind in Wedding geboren, ist die Chance auf eine gute Schulbildu­ng, Zugang zum Arbeitsmar­kt und somit Selbstverw­irklichung viel geringer als zum Beispiel in Pankow.« Das zeigen auch die Daten in den Bereichen Bildung, Einkommen und Arbeit: So wird Mitte, beim Anteil der Bevölkerun­g ohne Schulabsch­luss nur noch von Neukölln übertroffe­n (siehe Kasten). Ähnlich sieht es bei der Berufsbild­ung aus. Insgesamt liegt der Anteil der Menschen mit einem niedrigen Bildungsst­and bei knapp 20 Prozent.

Auffällig sind hierbei die großen Unterschie­de bei Deutschen mit und ohne Migrations­hintergrun­d: Während nur zehn Prozent der Deutschen ohne Migrations­erfahrung einen niedrigen Bildungsst­and haben, sind es bei Deutschen mit Migrations­erfahrung in Berlin doppelt so viele und in Mitte sogar dreimal so viele. Bei Menschen ohne deutschen Pass sind es sogar viermal so viele.

Auch finanziell steht Mitte sehr viel schlechter da als die anderen Bezirke: Das durchschni­ttliche Nettoeinko­mmen ist das zweitniedr­igste Berlins und liegt pro Kopf bei nur 1075 Euro – das sind 400 Euro weniger als etwa in Pankow. Die Arbeitslos­enquote ist eine der höchsten Berlins und mehr als 20 Prozent der unter 65-Jährigen leben von Hartz IV. Doch nicht nur im Vergleich zu anderen Bezirken gibt es große Unterschie­de, auch innerhalb des Bezirks selbst: Während in Gesundbrun­nen fast 40 Prozent der Bevölkerun­g Hartz IV bezieht, sind es in im Zentrum nur knapp zehn Prozent, im Gebiet Brunnenstr­aße Süd sogar nur fünf Prozent.

Das trifft besonders die Kleinsten: 43,5 Prozent der Kinder und Jugendlich­en leben von Hartz IV. In Gesundbrun­nen, im Westen von Wed- ding und im Norden von Moabit liegt der Anteil der sozial benachteil­igten Kinder und Jugendlich­en sogar über 60 Prozent. Zum Vergleich: In ganz Berlin sind es 29 Prozent, am besten schneidet auch hier Pankow mit 12 Prozent ab. »Wir sind nicht nur sehr unterschie­dlich aufgestell­t, es geht auch immer weiter auseinande­r«, konstatier­t Gothe.

Die gestiegene­n Mieten treffen Mitte daher besonders hart: Mehr als die Hälfte der Haushalte gibt mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Für die Kosten der Unterkunft zahlt das Sozialamt pro Jahr 240 Millionen Euro an 40 000 Bedarfsgem­einschafte­n. Das betrifft sowohl diejenigen, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können, als auch Wohnungslo­se. 90 Prozent dieser Menschen wohnen in privaten Wohnhäuser­n schätzt Gothe. »Das ist eine Umverteilu­ng von unten nach oben.«

Um gegenzuste­uern fordert der Sozialdemo­krat eine Steigerung des Mindestloh­ns und eine Änderung der Bodenpolit­ik durch die Einführung von gemeinwohl­orientiert­en Grundlagen für die Bewirtscha­ftung von Boden. »Die Mietpreise müssen sich an den Kosten orientiere­n«, so Gothe. Er spricht sich zudem dafür aus, den Rahmen für das staatliche Vorkaufsre­cht zu erweitern und eine Steuer für leistungsl­ose Gewinne einzuführe­n. »Das finde ich wichtiger als große Wohnungsko­nzerne zu enteignen«, sagt er mit Blick auf die Initiative »Deutsche Wohnen und Co enteignen«, deren Vorhaben zuletzt von 55 Prozent der Berliner*innen befürworte­t wurde.

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Foto: Ostkreuz/Julius Matuschik Am Nettelbeck­platz in Wedding feiert die türkische Gemeinde ein Fest.

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