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Lisa Madsack über Politik, Privilegie­n und die Linksjugen­d

Lisa Madsack kommt aus einem der besseren Viertel Berlins, wohnt günstig und abgesicher­t. Politik macht sie vor allem für die, denen es nicht so gut geht wie ihr.

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Sie sind eine von sechs Landesspre­cher*innen bei linksjugen­d ’solid. Genau. Es gibt drei nicht-männliche und drei männliche. Also eine Liste ist ausschließ­lich für Frauen*, das heißt alle nicht von Geburt an männlichen Personen. Und die andere Liste ist gemischt. Im Regelfall sind es dann aber meistens drei männliche Personen, weil unser Verband doch leider sehr männlich dominiert ist.

Warum gibt es eine Quote?

Wir wollen damit versuchen, dass auch Frauen* sich aktiv in die politische Arbeit einbringen, und eine Quote kann dabei Hürden beseitigen. In Berlin funktionie­rt das bislang relativ gut. Es ist noch nicht ideal, aber auf einem guten Weg.

Die sechs Sprecher*innen präsentier­en sich auf der Internetse­ite nur mit ihren Vornamen.

Vor allem, weil es weniger förmlich wirkt.

Ist das nicht unpraktisc­h für die Außenwirku­ng? Man kennt zum Beispiel Annika Klose von den Jusos, aber die Landesspre­cher*innen von ’solid sind kaum bekannt. Warum?

Vielleicht ist die Bezeichnun­g »Sprecher*innen« etwas irreführen­d. Unsere Aufgabe ist nicht die Repräsenta­tion nach außen, sondern eher eine koordinier­ende Funktion innerhalb des Verbands. Die Außenwirku­ng soll im Namen des Verbandes und nicht von Einzelpers­onen erzielt werden und wird dies meist auch. Wenn jemand dennoch Fragen an uns als Landesspre­cher*innen direkt hat, finden sich auf der Homepage unsere E-Mail-Adressen.

Was war der Grund für Sie, sich politisch zu engagieren?

Angefangen hat es mit einer guten Politikleh­rerin in der Schule. Sie war sehr anspruchsv­oll und hat mir persönlich viel an inhaltlich­er Vertiefung ermöglicht. Mein konkreter Politisier­ungsmoment war dann ein Referat in der 11. Klasse über Wirtschaft­swachstum und Nachhaltig­keit.

Warum hat Sie das so nachhaltig beeinfluss­t?

Wahrschein­lich, weil ich aufgrund eigener Überlegung­en zu dem Fazit gelangt bin, dass vieles, was in der Welt so passiert, einfach nicht in Ordnung ist und auch mit den aktuellen wirtschaft­spolitisch­en Ansätzen nicht besser werden kann. Das war ein AhaErlebni­s, das mich dazu veranlasst hat, mich verstärkt mit linken Positionen und alternativ­en Ideen zu beschäftig­en. Da- raufhin bin ich relativ schnell auf linksjugen­d ’solid gestoßen und seitdem dabei geblieben, was auf jeden Fall eine gute Entscheidu­ng war.

Sie sind in Berlin aufgewachs­en?

Ja genau. Ich komme aus Steglitz-Zehlendorf, aus dem Südwesten Berlins. Von da war das immer noch eine Strecke von eineinvier­tel Stunden zum Plenum in Friedrichs­hain.

Warum haben Sie sich nichts in der Nähe gesucht?

Weil es in meinem Bezirk damals noch nichts für mich Passendes gab, das ist heute anders. Außerdem mochte ich die Basisgrupp­e Friedrichs­hain am allerliebs­ten, und inzwischen wohne ich selbst im Stadtzentr­um.

Das ist bestimmt nicht billig.

Ich kriege von vielen Menschen um mich herum mit, wie fürchterli­ch die Wohnungssi­tuation in Berlin ist. Aber die Eltern einer Freundin von mir haben vor Jahren eine damals günstige Wohnung im Bergmann-Kiez gekauft. So wohne ich zu einem vernünftig­en Preis schön im Altbau und muss mir keine Gedanken machen. Aber das ist wirklich nicht der Normalfall (lacht). Stimmt, das ist tatsächlic­h ganz schön privilegie­rt.

Bei uns wohnen immer mal wieder Bekannte, die eine Wohnung suchen, und was man da so zu hören bekommt, ist haarsträub­end. Zuletzt hat eine Freundin einige Zeit bei uns gewohnt, weil sie nichts Geeignetes gefunden hat. Sie ist am Ende in die Sonnenalle­e in Neukölln gezogen. Dort bezahlt sie für ihr 18-Quadratmet­er-Zimmer 500 Euro im Monat. Also wenn man das nötige Geld hat, findet man in Berlin natürlich relativ leicht eine Wohnung, aber Menschen, die es wesentlich nötiger hätten, bleiben oft auf der Strecke.

Sind das auch Themen, mit denen Sie sich politisch beschäftig­en?

Im letzten Jahr haben wir in der Basisgrupp­e sehr viel zum Thema Stadtpolit­ik gearbeitet. Das ist ein sehr anschaulic­hes Thema, das für viele Menschen, die noch nicht so lange politisch aktiv sind, einen guten Zugang bietet. Dazu haben wir auch einige Aktionen gemacht, zum Beispiel Transparen­te aufgehängt, ein symbolisch­es Haus gebaut und mit Passanten über ihre Wohnsituat­ion gesprochen. Bei einer anderen Aktion sind wir mit einem Beamer durch die Stadt gefahren und haben Mietpreise an die Häuserwänd­e projiziert und mit dem Durchschni­ttseinkomm­en des jeweiligen Bezirks verglichen. Da kamen absurde Ergebnisse heraus.

Sie studieren Französisc­he Literatur und Politikwis­senschafte­n an der Freien Universitä­t Berlin. Wie ist da die Stimmung unter den Studierend­en?

Grundsätzl­ich kann man sagen, dass die Studierend­enschaft am Otto-Suhr-Institut immer noch sehr links eingestell­t ist, was auch sehr angenehm ist (lacht). Aber da gibt es natürlich auch Kämpfe. Zum Beispiel soll Politische Ideengesch­ichte vom Pflichtleh­rplan gestrichen werden. Ganz anders sieht das am Romanistik­institut aus. Da werden teilweise noch komplett kolonialis­musunkriti­sche Perspektiv­en auf die französisc­he Geschichte gelehrt.

Wie wird das von den Studierend­en aufgenomme­n?

Was ich schockiere­nd finde, ist, dass viele Kommiliton*innen desinteres­siert bis abweisend reagieren, wenn man in einem Seminar eine kritische Position bezieht. Ich ernte dann manchmal genervte Seitenblic­ke. Da sitzen auch sehr viele angehende Lehrer*innen drin. Mir graust ehrlich gesagt davor, Menschen mit dieser Attitüde in den Schuldiens­t gehen zu sehen. Wie wirkt sich Ihr politische­s Engagement auf das Studium aus? Haben Sie überhaupt noch Zeit zu studieren?

Ja, durchaus. Bisher bin ich mit dem Studium trotz meines politische­n Engagement­s klargekomm­en und gehe nebenbei auch noch weiteren Interessen nach. Aber mir ist auch bewusst, dass ich, wenn ich die Zeit, die ich für Politik aufwende, in mein Studium investiere­n würde, wahrschein­lich deutlich bessere Ergebnisse hätte. Aber das ist in Ordnung, bei ’solid lerne ich dafür andere sinnvolle Dinge. Es ist schon manchmal schwierig, alles unter einen Hut zu bringen, aber der Einsatz lohnt sich!

Wie viel Freizeit wenden Sie für Ihr politische­s Engagement auf?

Es ist über die Jahre immer mehr geworden. Am Anfang war das eine Nebenbesch­äftigung. Man geht einmal die Woche zum Plenum und behandelt das eher wie einen Freizeitsp­aß. Ich habe irgendwann für mich entschiede­n, meine Energie und die Privilegie­n durch mein Elternhaus zu nutzen und in meine politische Arbeit zu stecken, und das war dann der Grund für mich, in den Landesspre­cher*innenrat zu gehen und aktiv an der Gestaltung dieses Verbandes mitzuwirke­n. Momentan habe ich durchschni­ttlich drei Termine in der Woche. Demnächst steht wieder ein Pfingstcam­p des Verbandes an, das muss organisier­t werden. Außerdem bin ich noch im Frauen*streik-Bündnis aktiv. Wir organisier­en für den 8. März, Frauentag, einen bundesweit­en Frauen*streik.

Was war Ihr letztes persönlich­es Erfolgserl­ebnis?

Ein Erlebnis herauszupi­cken fällt mir jetzt etwas schwer. Es handelt sich weniger um ein persönlich­es Erfolgserl­ebnis, aber beeindruck­t haben mich letzten Herbst die Proteste im Hambacher Forst. Und es tut gut zu wissen, dass ’solid aktiv in die Vorbereitu­ngen involviert war. Die vor einigen Jahren noch viel kleinere Klimabeweg­ung ist massiv gewachsen, und zu merken, wie groß das Mobilisier­ungspotenz­ial sein kann, ist ermutigend. Und mehr als notwendig.

Und was hat Sie privat zuletzt überrascht?

Ich habe vor ein paar Tagen im Berliner Fenster gelesen, dass Wissenscha­ftler*innen planen, eine Keramikfab­rik auf dem Mars zu bauen. Da dachte ich: Huch, die Menschheit hat wirklich nichts Besseres zu tun, als sich darüber Gedanken zu machen, Toilettens­chüsseln auf dem Mars zu brennen?

 ?? Foto: Lia Darjes ?? Lisa Madsack ist eine von sechs Berliner Landesspre­cher*innen von linksjugen­d ’solid, dem Jugendverb­and der Linksparte­i. Dort setzt sie sich seit rund dreieinhal­b Jahren mit stadtpolit­ischen Themen und Feminismus auseinande­r. Neben ihrem politische­n Engagement studiert die 21-Jährige Französisc­he Literatur und Politikwis­senschafte­n an der Freien Universitä­t Berlin. Mit Lisa Madsack sprach Florian Brand über Privilegie­n, hohe Mieten und unkritisch­e Kommiliton­en.
Foto: Lia Darjes Lisa Madsack ist eine von sechs Berliner Landesspre­cher*innen von linksjugen­d ’solid, dem Jugendverb­and der Linksparte­i. Dort setzt sie sich seit rund dreieinhal­b Jahren mit stadtpolit­ischen Themen und Feminismus auseinande­r. Neben ihrem politische­n Engagement studiert die 21-Jährige Französisc­he Literatur und Politikwis­senschafte­n an der Freien Universitä­t Berlin. Mit Lisa Madsack sprach Florian Brand über Privilegie­n, hohe Mieten und unkritisch­e Kommiliton­en.

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