Wie sich die SPD neue Wohlfahrtstaatspolitik vorstellt
Die Spitze der Sozialdemokraten hat sich auf ein neues Konzept zur Sozialpolitik geeinigt. Allerdings ist das wenigste ganz neu
Die SPD lobt ihr neues Wohlfahrtsstaatskonzept in den höchsten Tönen. Doch was beinhaltet es wirklich?
Es sind große Worte, die SPD-Parteichefin Andrea Nahles am Wochenende vor der Presse wählt: Nichts weniger als eine »neue sozialdemokratische Politik« sei die Partei mit ihrem neuen Papier nun bereit zu formen. Nach einem Erneuerungsprozess, der »beispiellos in der Geschichte der SPD« gewesen sei, habe man »wegweisende Entscheidungen« getroffen, lobte Nahles weiter. Anlass für ihre überschwänglichen Worte ist die einstimmige Verabschiedung ihres Sozialstaatskonzepts durch den Parteivorstand am Sonntag. Doch hält das Papier, was die Chefin ankündigt? Das »nd« stellt vor, was die Partei will.
Worum geht es?
Das SPD-Wohlfahrtstaatsprogramm ist mit dem Titel »Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit« überschrieben. Es beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Arbeitswelt. Weitere Konzepte sollen folgen – zu den Themen Pflege, Gesundheit, Wohngeld und Alterssicherung. Natürlich geht es dabei auch um eine inhaltliche Positionierung für die anstehenden Wahlen des Europaparlaments und der Landtage in Sachsen, Brandenburg und Thüringen.
Bessere Arbeitslosenversicherung
Zentraler Punkt der SPD ist, dass Menschen nicht mehr so schnell in den Arbeitslosengeld-II-Bezug fallen sollen wie bisher. Das Arbeitslosengeld I (ALG I) hat den Vorteil, dass die Beschäftigten einen prozentualen Anteil ihres vorherigen Lohns erhalten – und weniger Druck vom Amt haben. Das ALG I soll Personen, die länger als 20 Jahre gearbeitet haben, bis zu drei Jahren gezahlt werden. Derzeit sind es maximal 24 Monate. Auch will die SPD die Schwelle für den Bezug senken. Derzeit müssen Beschäftigte zwei Jahre am Stück vor ihrer Arbeitslosigkeit durchgearbeitet haben. Konkrete Details, wie die SPD den Zugang vereinfachen will, nennt sie allerdings nicht. Neu sind diese Forderungen der SPD nicht: Grüne und LINKE fordern Ähnliches bereits seit Längerem.
Hartz IV soll »Bürgergeld« werden
Die SPD hofft, Hartz IV endgültig hinter sich zu lassen. Das Ganze nennt sie »Bürgergeld«. Allerdings tastet sie die Leistungshöhe gar nicht an. Auch die Sanktionen sollen beibehalten werden. Nur »sinnwidrige und unwürdige« Sanktionen sollen abgeschafft werden. Was genau damit gemeint ist, lässt die SPD offen. Zudem ist für die ersten beiden Jahre eine Art Schonfrist geplant, in der bisheriges Ver- mögen nicht aufgebraucht und auch die Unterkunft nicht auf »Angemessenheit« überprüft werden soll. Sozialverbände monieren bereits seit Langem, dass der Hartz-IV-Satz künstlich niedriggerechnet wird. LINKE und Grüne sehen das auch so und fordern zudem eine Abschaffung aller Sanktionen.
Qualifizierung
Zum Thema Qualifizierung hatte die SPD bereits in dieser Legislatur einige Ideen formuliert – konnte sich damit aber nicht gegen den Koalitionspartner Union durchsetzen. Dafür finden sich einige dieser Ideen nun in dem neuen Papier wieder. Das Recht auf Weiterbildungsberatung, das in der jetzigen GroKo auf den Weg gebracht wurde, soll zu einem Recht auf Weiterbildung ausgeweitet werden. Für Beschäftigte, deren Jobs vom Strukturwandel bedroht sind, möchte die SPD eine Qualifizierungsgarantie. Während dieser Zeit soll es eine Lohnersatzleistung geben. Auch Martin Schulz »Arbeitslosengeld Q« erlebt im Papier eine Renaissance. Es bedeutet, dass sich der ALG-I-Anspruch für die Dauer der Qualifizierung bis zu 24 Monate verlängert. Problem dabei: ALG-II-Empfänger*innen, die am deutlichsten von Qualifizierung profitieren würden, werden von den Sozialdemokrat*innen ganz vergessen.
Mindestlohn auf 12 Euro rauf
Finanzminister Olaf Scholz fordert es, die LINKE noch etwas länger: 12 Euro Mindestlohn. Nun bekennt sich auch die SPD in ihrem Papier offiziell zu dieser Höhe, allerdings »perspektivisch«. Mit dem derzeitigen Koalitionspartner ist diese Mindestlohnerhöhung jedoch in keinem Fall zu machen. Auch Andrea Nahles hatte sich in ihrer Zeit als Arbeitsministerin einem höheren Mindestlohn verwehrt und beschlossen, dass eine Kommission die Höhe festlegen soll. Derzeit sind es 9,19 Euro. 2018 hätte der Mindestlohn laut eigener Berechnung der Bundesregierung bei 12,63 Euro liegen müssen, damit Empfänger*innen auf eine Rente überhalb der Grundsicherung kommen.
Natürlich geht es auch um eine inhaltliche Positionierung für die anstehenden Wahlen.