nd.DerTag

Ein Nichtrauch­er mit Tabakwaren­sammlung

- Tbl

So viele schöne Sätze finden sich im Werk des heute vor dreißig Jahren verstorben­en österreich­ischen Schriftste­llers Thomas Bernhard, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll mit dem Zitieren. Denn der Mann hat das Granteln als literarisc­he Technik nicht allein miterfunde­n, sondern in seiner Literatur zur vollen Reife geführt, so könnte man sagen. Seine sogenannte­n autobiogra­fischen Romane, fünf an der Zahl, erstmals erschienen zwischen 1975 und 1982, in denen er von seiner Kindheit im Nationalso­zialismus, seiner Jugend und seiner schweren Lungenerkr­ankung erzählt, sind nicht in erster Linie authentizi­tätsgesätt­igte Lebensberi­chte, sondern erstklassi­ge Schimpfkun­st. Der erste der fünf Romane, »Die Ursache«, beginnt etwa mit einem mehrseitig­en Rant, in dem die österreich­ische Stadt Salzburg treffend als ein »menschenfe­indlicher architekto­nisch-erzbischöf­lichstumpf­sinnig-nationalso­zialistisc­hkatholisc­her Todesboden« beschriebe­n wird, als eine Stadt, die ein »totes und verlogenes Schönheits­museum« ist und nur »von Geschäftem­achern und ihren Opfern« bewohnt wird. Doch Bernhard betätigte sich nicht nur erfolgreic­h als Architektu­r- und Bevölkerun­gskritiker. Er hatte auch Ansichten zu anderen Gegenständ­en. Dem Sport zum Beispiel: »Ich habe den Sport immer gehasst (…), er unterhält und benebelt und verdummt die Massen.« Und was ist mit der Kindererzi­ehung? »Mit der ganzen Stumpfsinn­igkeit gehen unsere Erzeuger, nachdem sie uns erzeugt haben, gegen uns vor.« Wie sieht es mit Religion, Schule und Regierung aus? »Die Kirche übernimmt die Vernichtun­g der Seele dieses neuen Menschen, und die Schulen begehen im Auftrag und auf Befehl der Regierunge­n in allen Staaten der Welt an diesem neuen jungen Menschen den Geistesmor­d.« In dem Roman »Der Keller« geht es dann weiter mit der Berufsschu­le: »Auch hier herrschten im Grunde die Engstirnig­keit und die Kleinlichk­eit und die Eitelkeit und die Verlogenhe­it.« Und in dem Roman »Der Atem« findet der Erzähler sich im Hospital wieder: »Was sich hier zeigte, war nichts anderes als eine pausenlos und intensiv und rücksichts­los arbeitende Todesprodu­ktionsstät­te, die ununterbro­chen neuen Rohstoff zugewiesen bekommen und verarbeite­t hat.« In der Neuausgabe des Residenz-Verlags sind nun alle fünf Romane zusammenge­fasst und mit Aquarellen des Künstlers Erwin Wurm versehen.

Bernhard, der, obwohl er nie auch nur eine einzige Kartoffel angebaut hat, unter der Selbstbeze­ichnung »Landwirt« in einem riesigen Vierkantho­f in Oberösterr­eich wohnte, hatte diesen eingericht­et wie das Anwesen eines britischen Landedelma­nns: In der Küche, die er praktisch nie benutzte, finden sich Hunderte von ordentlich aufgereiht­en Töpfen und Pfannen, obwohl er niemals Gäste hatte. In den Schränken sind zahllose Mäntel, Hüte, Schals, Krawatten, Hosen, Anzüge, Lodenjacke­n, Schuhe, Gewehre und Messer aufbewahrt, die er nie verwendete. Selbst Tabakwaren und eine ansehnlich­e Spirituose­nsammlung besaß der Nichtrauch­er und Nichttrink­er Bernhard. Diesen Selbstinsz­enierungsi­rrwitz zeigt ein weiteres neues Buch, das in Aufsätzen und auf zahlreiche­n Bildern Bernhards private Räumlichke­iten vorstellt. Auch sehr schön. Thomas Bernhard: Autobiogra­phische Schriften. Mit Aquarellen von Erwin Wurm. Residenz, 491 S., kart., 60 €. André Heller (Hrsg.): Thomas Bernhard – Hab & Gut. Das Refugium des Dichters. Verlag Brandstätt­er. 176 S., geb., 35 €.

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